Medizin Dubiose Stammzell-Therapien

Dubiose Kliniken versprechen, mithilfe von Stammzell-Therapien Lähmungen, Diabetes oder Parkinson zu heilen. Doch vor allem gefährden sie Menschenleben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

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Stammzellenkolonie: Dubiose Quelle: dpa

Der Bauingenieur Raheed Kokaz aus Bagdad wollte doch nur, dass sein Sohn Mohammed gesund wird. Dass er ein normales Leben führen kann, wie Millionen andere Kinder auch: Der Zwölfjährige hat von Geburt an einen Hirnschaden und deshalb noch nie ein Wort gesprochen. Er kann sich kaum bewegen und bekommt epileptische Anfälle.

Auf der Suche nach Hilfe fand Kokaz die Web-Seite des deutschen XCell-Centers. Die Ärzte der Düsseldorfer Firma versprechen, dass sie mithilfe von Stammzellen, die sie aus dem Knochenmark im Beckenknochen entnehmen und ins Gehirn spritzen, die Behinderungen beheben können. 18.500 Euro kostet der Eingriff. Viel Geld für den Iraker. Doch das war es Kokaz wert: Erst recht, nachdem ihm eine Ärztin versicherte, die Operation sei sehr sicher und die Chance, dass Mohammed geheilt werde, läge bei 95 Prozent. „Wenn eine deutsche Ärztin das sagt, muss es stimmen“, dachte Kokaz. Das Gegenteil trat ein: Die Operation vor wenigen Tagen ging gründlich schief, und der Junge wurde mit Krampfanfällen in die Universitätsklinik eingeliefert.

Millionen Kranke in aller Welt hoffen auf Stammzelltherapien: Wie ein universelles Reparatur-Set des Körpers könnten sie eines Tages zerstörtes Gewebe wieder aufbauen – seien es infarktgeschädigte Herzmuskel oder Nervenzellen im Hirn nach einem Schlaganfall. Doch während seriöse Forscher gerade erst erproben, an welchen Stellen des Körpers die Therapie überhaupt anschlägt, versprechen rund 130 Unternehmen weltweit längst sensationelle Heilungschancen und schlagen Kapital aus der Hoffnung Schwerkranker.

Behandlungen sind sogar lebensgefährlich

Was sie verschweigen: Ihre Verfahren sind völlig experimentell, die Wirkung ist unbelegt, und in manchen Fällen sind die Behandlungen sogar lebensgefährlich. Als die WirtschaftsWoche darüber berichtete und XCell befragte, bestritt ein Sprecher, dass es je Komplikationen gegeben habe. Erneute Anfragen ließ XCell unbeantwortet. Nun sind die dubiosen Stammzellheiler ein Fall für die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft: „Wir ermitteln gegen XCell“, heißt es dort. Zugleich ging bei den Göttern in Grau die Klage eines Patienten ein: Vor wenigen Monaten behandelten sie einen zehnjährigen Jungen aus Aserbaidschans Hauptstadt Baku, der wegen jahrelanger epileptischer Anfälle in seiner Entwicklung stark verzögert war.

Der Eingriff brachte den Jungen fast ins Grab. Nur eine Notoperation in der Universitätsklinik konnte ihn retten. Nicht verhindern konnten die Ärzte, dass der Junge den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen wird. „Wir haben 18.500 Euro bezahlt für ein Experiment, an dem unserer Sohn beinahe gestorben wäre“, sagt seine Mutter, die XCell nun verklagt. Überall auf der Welt stehen die Stammzellheiler unter zunehmend scharfer Beobachtung. Erst vor wenigen Wochen ließ Costa Rica die Cell Medicine Clinic schließen, eine Klinik, die ähnlich wie XCell hoffnungslos kranken Menschen heilsame Therapien mit Stammzellen zu Preisen bis 30.000 Dollar versprach. Die Begründung des Gesundheitsministeriums: Es gebe keinen Beweis für die Wirksamkeit der Behandlung.

Seriöse Stammzellforscher wünschen sich Durchgreifen

Seriöse Stammzellforscher wünschen sich für Deutschland ein ähnlich rigoroses Durchgreifen. Sie fürchten, dass Anbieter wie XCell den Ruf ihres Forschungszweigs ruinieren, noch bevor seriöse Studien herausgefunden haben, welche Krankheiten die Therapien tatsächlich heilen und welche nicht. Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster, hält die XCell-Therapie sogar für Etikettenschwindel: „Ich bezweifle sehr, dass XCell seinen Patienten überhaupt wirksame Stammzellen überträgt“.

Rein rechtlich ist XCell auf der sicheren Seite. Stammzelltherapien müssen erst ab 2012 bei der europäischen Gesundheitsbehörde (EMA) zugelassen werden. Bis dahin gilt in Deutschland eine Übergangsfrist, die XCell geschickt nutzt. So hat das Unternehmen klinische Studien, die für eine solche Zulassung benötigt werden, zunächst in Deutschland beantragt. Die Erlaubnis wurde offenbar nicht erteilt. Nun hat XCell einen Antrag in Frankreich gestellt und bewilligt bekommen. Warum ausgerechnet Frankreich? XCell beantwortete die Frage nicht.

Klar ist: Der XCell-Gründer Cornelis Kleinbloesem ist geschickt darin, Gesetze – und deren Lücken – zu nutzen. So hatte der Niederländer mit einem ganz ähnlichen Unternehmen in seinem Heimatland 2006 einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Als die Regierung ein Verbot erließ, ging Kleinbloesem kurzerhand nach Deutschland und gründete XCell.

Dort nahm ihn zunächst das katholische Eduardus-Krankenhaus in Köln-Deutz auf, später das ebenfalls katholische Domenikus-Krankenhaus in Düsseldorf-Heerdt. Das Erzbistum habe darauf maßgeblich Einfluss genommen, behauptet ein renommierter Stammzellforscher. Das Bistum bestreitet das. Tatsächlich hat die katholische Kirche jedoch großes Interesse daran, dass Therapien mit adulten Stammzellen, die aus erwachsenen Menschen gewonnen werden, Erfolg haben. Denn damit würden die ethisch höchst problematischen embryonalen Stammzellen überflüssig.

Sicher ist allerdings auch: Die beiden katholischen Kliniken haben sich ein echtes Problem ins Haus geholt. Denn abgesehen davon, dass sie hoffnungslos Kranken zu Wucherpreisen eine vermutlich völlig nutzlose Therapie verkaufen, richten sie wie im Fall des kleinen Jungen aus Baku auch immensen Schaden an.

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