Modellmetropole Der geplatzte Traum der Wüstenstadt Masdar

Die Wüstenstadt Masdar sollte das Silicon Valley für nachhaltige Technologien werden. Doch zwei Jahre nach Baubeginn steckt das Projekt in der Krise. Die Technik streikt, Bewohner klagen über Baumängel und die grüne Stromversorgungn stockt. Das Protokoll eines geplatzten Traums.

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Masdar City

Das kleine Karo ist des Sultan Ahmed al-Jabers Sache nicht. Er soll schließlich mit 22 Milliarden Dollar die Welt retten. Oder ihr wenigstens zeigen, wie sie sich selbst vor dem Niedergang -bewahren kann. Der Araber ist Chef von Masdar, dem Unternehmen, das am Rande von Abu Dhabi eine urbane Oase schaffen soll, eine Stadt, die vollkommen CO2-neutral ist, „eine Blaupause für Städte der Zukunft“, sagt al-Jaber, den seine Mitarbeiter lakonisch nur Dr. Sultan nennen. Wann immer er seine Mission vorträgt, klingt es, als stehe hinter jedem Satz ein Ausrufezeichen: Masdar ist einzigartig! Masdar ist eine Stadt zum Arbeiten! Masdar ist Zukunft!

Dr. Sultan kann überzeugen, andere Menschen mitnehmen, begeistern. Spaniens Premier José Luis Rodríguez Zapatero und Siemens-Chef Peter Löscher waren schon da, und vor wenigen Wochen reiste auch Angela Merkel an, um Dr. Sultans Baustelle zu besichtigen.

Fata Morgana

Bei ihrem Besuch führt ein junger Architekt die Kanzlerin durch das grüne Utopia. Es fallen Begriffe wie „ecomagination“, „clean technology cluster” und „sustainability“. Fotografen knipsen hübsche Bilder der Kanzlerin in der Zukunftsstadt – einem Ort faszinierender Ideen: Kleine weiße Kapseln sollen die Bewohner durch die Stadt kutschieren, silbrig schimmernde Luftkissen an den Hausfassaden die Hitze abhalten. Und die Solarpaneele auf den Dächern sollen den Strom liefern, der die Rechner der Bewohner antreibt.

„Wir werden Werbung machen für Masdar“, sagt Merkel kurz vor ihrer Abreise. Denn hier in der Wüste, wo das Öl so billig ist wie an kaum einem anderen Ort der Erde, soll die Zeit nach dem Öl beginnen.

Wenn doch die Solaranlagen bloß richtig funktionieren, wenn nicht schon die ersten Fassaden-Dämmungen platzen und wenn bloß Masdar-Chef al-Jaber nicht einige der besten Mitarbeiter davonlaufen würden. Tatsächlich sieht es gerade so aus, als ob die grüne Oase, die Dr. Sultan mit seinen Ausrufezeichen beschreibt, nicht viel mehr ist als ein Luftschloss, eine Fata Morgana, die sich auflöst, je näher man kommt, um sie zu betrachten.

Die Geschichte von Dr. Sultans Masdar gewährt nicht nur Einblicke in die Zukunft von Metropolen, die neue Wege gehen müssen, um Antworten auf den Klimawandel, den Rohstoffmangel und die zunehmende Umweltverschmutzung zu finden.

Ban K-Moon und Masdar-Chef Quelle: dapd

Sie ist auch ein Lehrstück dafür, wie Größenwahn, handwerkliche Fehler und vor allem schlechte Planung einer faszinierenden Idee die Glaubwürdigkeit rauben können.

Dabei hatte alles so gut begonnen. 2006 rief Scheich Mohammad Bin Zayed al-Nahyan, Kronprinz von Abu Dhabi, das Projekt ins Leben. Er beauftragte den Ingenieur und Ökonom al Jaber, seine grünen Visionen umzusetzen. Zwei Jahre später schon rückten die Bagger an.

Während sie in der Herrscherfamilie noch über den Sinn einer Ökostadt für 50.000 Einwohner diskutierten, erwuchs die Baustelle am internationalen Flughafen von Abu Dhabi zu einer Projektionsfläche für grüne Träume in aller Welt.

Testfeld für Technologien

Der britische Stararchitekt Sir Norman Foster sollte das Gegenteil dessen schaffen, was – wenige Kilometer entfernt – in Abu Dhabi City in Form von Glas, Stahl und Beton als energiefressende, ökologisch fragwürdige arabische Moderne aus dem Boden wuchs.

Um den Weg in eine andere Zukunft zu finden, studierte Foster die Vergangenheit. Er versuchte zu verstehen, wie die Araber in Zeiten vor Klimageräten und Kühlschränken gelebt haben, und machte ihre Tricks zur Grundlage der neuen Stadt: Er verkleinerte die Fenster und ordnete die Häuser so an, dass zwischen ihnen die Luft optimal zirkulieren kann. Ein Windturm sollte zudem die Temperaturen mäßigen, indem er mit einem raffinierten Lüftungssystem warme Luft nach oben saugt. Die Bilder von Fosters Ideen gingen als 3-D-Modelle um die Welt.

Doch Dr. Sultan, den Kollegen als „authentisch“, aber auch als „impulsiv“ „sprunghaft“ und „unberechenbar“ beschreiben, wollte zu viel. Das Silicon Valley der erneuerbaren Energien wollte er schaffen, einen Magneten für die besten Unternehmen, die besten Forscher und die besten Studenten – und ein profitables Immobilienprojekt. All das in wenigen Jahren.

Besucher in Masdar Quelle: dapd

Was er nicht bedachte: Abu Dhabi ist zwar reich an Geld. Aber um eine solche Vision umzusetzen, braucht es auch einen anderen Rohstoff – Wissen. Dr. Sultan kaufte Ideen und Professoren. Doch er musste lernen, dass man Wissen nicht aufbauen kann wie eine Shopping Mall. Dafür braucht es Zeit und Freiraum – auch, um Fehler zu erkennen und Irrtümer zu korrigieren.

Beides aber fehlt in Masdar oft. Dr. Sultan peitsche immer wieder halbgare Projekte durch. Vieles sei „nicht zu Ende gedacht“, sagt ein Projektmanager, der eng mit al-Jaber zusammengearbeitet hat. An den Fassaden etwa strahlen selbst mittags zahlreiche Zierleuchten mit der gleißenden Wüstensonne um die Wette, weil offenbar keiner an eine Abschaltautomatik gedacht hat; oder schlicht vergaß, sie zu aktivieren.

Fehlende Mieter

„Einst werden alle Städte so sein wie diese“, verheißt ein Werbebanner an den Bauzäunen. Tatsächlich ist Masdar drei Jahre nach Baubeginn kaum mehr als ein 1000-fach fotografierter Häuserblock mit ein paar Straßen, die ins Nichts führen – und einem Bio-Supermarkt. 

Mit fast einem Jahr Verspätung wurde lediglich das Masdar Institute of Science and Technology eingeweiht. Die rund 170 Studenten der neuen Öko-Uni sind zugleich die ersten Bewohner der Stadt, die womöglich viel teurer werden könnte als geplant.

Auf der Einnahmeseite sieht es kaum besser aus: Die Suche nach Mietern soll schleppender laufen als erwartet, berichten Insider. Aus Deutschland haben immerhin Siemens, BASF und Bayer Mietverträge unterschrieben. Im Gegenzug winken Aufträge: Siemens etwa soll in Masdar Ideen für das intelligente Stromnetz erforschen. Doch bis die Büros der Siemensianer in der grünen Vorzeigestadt fertig sind, wird es wohl noch dauern.

Fahrerloser Transport in Masdar Quelle: Getty Images

„Auf der Baustelle hat sich vergangenes Jahr kaum etwas getan“, sagt Energie-Experte Michael Forst vom Recherchedienstleister Europressedienst, der regelmäßig nach Abu Dhabi reist. Er hat die Entstehung von Masdar so genau verfolgt wie nur wenige andere Europäer. Ihn hat es daher auch nicht überrascht, dass al-Jaber inzwischen einräumen musste, dass die Ökostadt nicht wie geplant 2016 fertig wird, sondern frühestens 2025. Forst bezweifelt sogar, dass die Stadt überhaupt je einmal so aussehen wird wie ursprünglich geplant.

Allzu oft lösen sich die schönsten Visionen in Luft auf, wenn sie als Pläne und Kalkulationen auf den Tisch von Controllern geraten. Genau das scheint in Masdar immer öfter zu passieren: Seit der Finanzkrise müssen sie viele Projekte neu auf Wirtschaftlichkeit prüfen. „Das ist zwar verständlich“, sagt ein Mitarbeiter, „aber ein Widerspruch zu dem Ziel, Testfeld für die allerneusten Technologien zu sein.“

Masdar Light

Vor wenigen Wochen ließ al-Jaber die neuesten Modelle auf dem World Future Energy Summit in Abu Dhabi exponieren. Experten aus aller Welt reisten an – selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon schwärmte in die Kameras.

Von einer autofreien Oase ist auf einmal keine Rede mehr.

Auch die halb transparenten Fotovoltaik-Module, die wie ein alles überspannendes Sonnendach über Gehwegen und Plätzen der Stadt Schatten spenden sollten, sind nach Aussage von Afshin Afshari – verantwortlicher Energie-Manager bei Masdar – vorerst vom Tisch: „Die Halterungen für weitere Module sind vorgesehen, werden aber nicht bestückt, bis die Preise für Fotovoltaik fallen.“

Dabei könnten Dr. Sultans Leute viele Bauprojekte schon jetzt wirtschaftlicher umsetzen – wenn sie nur besser planen würden. Doch gerade die Planung wirkt in Masdar oft wie von Praktikanten gemacht. Auf den Dächern des Masdar Institute lässt sich das eindrucksvoll besichtigen: Das Flachdach des tonfarbenen Gebäudes ist mit einer ein Megawatt starken Fotovoltaik-anlage konventioneller Bauart bestückt, die etwa etwa 300 Mal größer ist als die Anlage auf einem Einfamilienhaus.

Doch das Gebäude ist so kompliziert konstruiert, dass Teile des Daches die schwarz schimmernden, schräg gegen die Wüstensonne gerichteten Solarmodule beschatten. Das ist etwa so, als würde man ein Windrad hinter einem Windfang installieren.

Zu wenig Energie

Zudem waren die fertigen Solaranlagen auf den Dächern des Studentenwohnheims monatelang nicht einmal angeschlossen. Der lokale Stromversorger wollte die Transformatoren zunächst nicht zulassen, weil die Verantwortlichen schlicht nicht miteinander gesprochen hatten.

Den fehlenden Strom konnte der Zehn-Megawatt-Fotovoltaik-Solarpark am Rande der Stadt ausgleichen, der noch Überschüsse produziert. Doch wenn Masdar tatsächlich wächst und wie geplant Abertausende neue Bewohner in die Stadt ziehen, dürfte das laut Experten nicht mehr reichen.

Mit drei Megawatt sollen zwar in wenigen Jahren auch die Fotovoltaikmodule auf dem Dach des Hauptquartiers der Betreibergesellschaft von Masdar zur Energieproduktion beitragen. Alle anderen Gebäude jedoch werden – entgegen ursprünglicher Planung – „vorerst keine Fotovoltaik mehr bekommen“, sagt Afshari. Zusammen mit der Ein-Megawatt-Anlage auf dem Studentenwohnheim verfügt die Stadt dann nur über etwa 14 Megawatt installierter Grünstrom-Leistung. Doch das ist wahrscheinlich zu wenig für 50.000 Menschen.

Strom aus erneuerbaren Energien soll deshalb aus dem rund 100 Kilometer entfernten Solarthermie-Kraftwerk Shams 1 herangeschafft werden.

Denn auch in Sachen Windkraft herrscht Flaute: Die Planer hatten weder berücksichtigt, dass es in Abu Dhabi zu wenig weht, noch, dass Masdars Mühlen zu nah am Flughafen stehen würden. Damit muss sich Chefverkäufer al-Jaber alias Dr. Sultan möglicherweise von seinem wichtigsten Ziel verabschieden, einer Vollversorgung der Zukunftsstadt mit grünem Strom: Die sei heute nicht mehr sicher, sagt Masdar-Manager Afshari.

Solarspiegel schrubben

Neben den Planungsproblemen plagen sich die Ingenieure auch mit ganz konkreten, technischen Tücken: Denn Solarenergie ist in der Wüste längst nicht so einfach produziert, wie sie gehofft hatten. Sonne gibt es zwar genug. Doch die installierten Fotovoltaik-Anlagen leiden unter einem hartnäckigen rötlichen Sandstaub, der wie Zement auf den Modulen haftet und ihre Energieausbeute mindert.

Die High-Tech-Stadt weiß sich dagegen bislang nur mit Low-Tech zu helfen: -Dutzende Hilfsarbeiter aus Somalia und Bangladesch schrubben die Anlagen immer wieder mit Besen und Wassereimer.

Über technische Probleme klagen mittlerweile sogar Studenten, die als Erste in die Stadt zogen. So können viele Nachwuchs-Weltenretter, die den lieben Tag lang über eine nachhaltige Zukunft, den Klimawandel und die technischen Möglichkeiten einer grünen Energiewende sinnieren, nicht einmal in kühlen Winternächten ihre Klimaanlage herunterdrehen.

Wassersparende Wasserhähne? Wasserfreie Pissoirs? Viele grüne Techniken, die längst Standard sind, sucht man in der Zukunftsstadt vergebens. Nicht einmal für Fahrräder ist Platz, beklagt eine Studentin in einer E-Mail an das Management.

Dr. Sultans Leute achten vor allem darauf, dass alles gut aussieht. Wie nachhaltig es ist, scheint nur wenige zu interessieren. al-Jaber und andere Masdar-Mitarbeiter waren für Stellungnahmen zu den Problemen nicht erreichbar. Auch die Architekten wollen die Probleme nicht kommentieren.

Für sie gilt: Wenn der Auftraggeber es so will, dann liefern sie.

Dr. Sultans Mitarbeiter sind da weniger pragmatisch. Bei so manchem weicht mittlerweile der Elan des Anfangs der Ernüchterung. Viele hochkarätige Experten aus Europa haben das Projekt bereits verlassen: Mitte 2010 hatte Dr. Sultan in Abu Dhabi noch etwa 400 Angestellte. Davon haben Dutzende gekündigt, sagt ein Ex-Mitarbeiter aus Europa: „Der Spirit des Anfangs ist verloren gegangen“, sagt er.

Mitarbeiter haben Angst

Ein Grund dafür sei das sogenannte Emiratisierungsprogramm, wonach Schlüsselpositionen vor allem mit Einheimischen besetzt werden sollen. Die Masdar-Betreibergesellschaft gehe dabei besonders vorbildlich voran, loben lokale Medien. Die arabischen Kollegen jedoch, sagt ein Ex-Mitarbeiter aus Europa, haben oft kaum praktische Erfahrung – dafür ein umso größeres Selbstbewusstsein: „Von denen lassen sich erfahrene Experten ungern diktieren, wie das Geschäft läuft.“

Der ehemalige Manager möchte auf keinen Fall genannt werden, wie viele andere Gesprächspartner aus dem Masdar-Umfeld auch. Sie sind oft nur anonym in Restaurants oder an Messeständen zu Gesprächen bereit. „Wir leben hier in einem unfreien Land mit völlig anderen Regeln“, sagt ein Europäer, der für die Abu Dhabi Investment Authority arbeitet, dem Investment-Arm des Emirats.

Ihnen ist die Geschichte von Hélène Pelosse noch zu gut in Erinnerung. Die Französin war Chefin der gerade in Abu Dhabi entstehenden Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, kurz: Irena. Für einige Experten steht fest: Sie ist an Machtspielchen der Araber gescheitert, weil sie versuchte, eine unabhängige Organisation aufzubauen. Mancher sagt, sie sei auch mit dem Job überfordert gewesen.

Wahrscheinlich ist an beidem etwas dran. Vergangenes Jahr jedenfalls musste Pelosse gehen. In einem bemerkenswerten Interview, in dem sie niemanden konkret beschuldigte, vertraute sie dem Fachblatt „Neue Energie“ hinterher an: Ihre Büros seien abgehört worden, sie sei bespitzelt worden, ihr Gepäck und Hotelzimmer hätte man durchsucht, ja sogar ihr Pass und ihr Computer wurden gestohlen – von den Drohbriefen ganz zu schweigen.

„Ich habe unterschätzt, wie es in Abu Dhabi sein würde”, sagt Pelosse.

Nur in Maßen grün

Von alledem merken die Masdar-Besucher nichts, die zwischen den tonfarbenen Gebäuden gen Himmel staunen. Sie laufen durch Masdar wie Kinder durch Disneyland, nicht ahnend, was sich hinter den Kulissen des potemkinschen Ökodorfs in der Wüste abspielt.

Masdar will Vorbild sein, Zukunft. Doch im Parkhaus steht vor allem Vergangenheit: polierte weiße Limousinen, Geländewagen, SUVs. Die meisten Masdar-Mitarbeiter bekommen bei Dienstantritt zinslose Darlehen für beliebig große Autos. Und den nutzen sie.

Grün sein ist eben auch in Masdar nur so lange akzeptabel, wie es die Weltenretter selbst nicht betrifft.

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