Nanotechnik Licht am Ende des Tunnels

Die Nanotechnik erobert die Medizin. Die winzigen Teilchen bringen Medikamente gezielt in erkrankte Organe, decken Wunden ab, ohne zu verkleben, und ermöglichen winzige Batterien, etwa für Hörgeräte.

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Krebstherapie beim Berliner Nanomedizin-Unternehmen Magforce

Sie ist radikal, rabiat und wegen ihrer Nebenwirkungen gefürchtet – und doch greifen Mediziner im Kampf gegen lebensbedrohliche Krebserkrankungen immer wieder zur Chemotherapie. Mangels wirksamer Alternativen setzen sie mit dem chemischen Dauerfeuer gegen die wuchernden Zellen den Patienten noch zusätzlich zu.

Nun jedoch scheinen Forscher einen schonenderen Weg gefunden zu haben – ganz am anderen Ende der Behandlungsmethodik. Statt zum chemischen Dampfhammer, greifen sie zum Präzisionswerkzeug: Die Hoffnung ruht auf neuartigen, nanotechnischen Behandlungstechniken. Nanopartikel sollen die Behandlung von Krankheiten dramatisch verbessern.

So spritzt das Berliner Nanotechnik-Unternehmen Magforce Eisenoxid-Nanopartikel direkt in Tumore und setzt sie dort einem elektromagnetischen Wechselfeld aus. Das bringt die Nanomagnete zum Tanzen: Wie kleine Magnetnadeln schwingen sie hin und her, erzeugen Wärme und heizen den Tumor bis auf 70 Grad Celsius auf. Mehrfach wiederholt, wird der Krebs so regelrecht abgekocht.

Potenzial entdeckt

Gerade hat Magforce jüngste Studienergebnisse an 59 Patienten mit einem besonders bösartigen Hirntumor, dem Glioblastom, veröffentlicht. Die Überlebenszeit der als „austherapiert“ geltenden und damit todgeweihten Kranken verlängerte sich bei gleichzeitiger Bestrahlung um gut sieben Monate. Keine Heilung, aber immerhin Licht am Ende des Tunnels. Seit Juni haben die Berliner die EU-Zulassung für ihr Verfahren. „Anfang nächsten Jahres beginnen wir mit der Behandlung“, verspricht Magforce-Chef Peter Heinrich.

Vom Vorstoß in die Nanometer-Dimension profitieren längst nicht nur Krebspatienten. Quer durch alle Disziplinen entdecken Mediziner das Potenzial der Nanotechnik: So bringen winzige Transporter Medikamente gezielt in erkrankte Organe, spezielle Nanoüberzüge lassen Implantate besser verheilen, und nanobeschichtete Verbände decken Wunden ab, ohne zu verkleben. Gleichzeitig werden mit Nanopartikeln winzige, aber extrem leistungsstarke wiederaufladbare Batterien möglich – etwa für Hörgeräte.

Die Dimensionen, die Medizintechnologen erschließen, sind kaum vorstellbar klein: Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Die Größenverhältnisse entsprechen der Relation eines Fußballs zur Erde.

So winzig Substanzen und Wirkstoffe einerseits sind, so immens ist andererseits ihr wirtschaftliches Potenzial: Heute liegt der Umsatz mit nanotechnologisch aufbereiteten Medikamenten bei 3,4 Milliarden Euro weltweit, so die spanische Technologieberatung Cientifica. Bis 2015 soll das Marktvolumen für Nanotechnik-Medikamente 220 Milliarden US-Dollar erreichen.

Große therapeutische Vorteile verspricht die Nanomedizin in der Chirurgie, etwa da, wo künstliche Gelenke zum Einsatz kommen. So können nanostrukturierte Beschichtungen für mehr Stabilität bei künstlichen Hüft- oder Kniegelenken sorgen.

Die bestehen normalerweise aus Metallen wie Titanlegierungen – und sind daher Fremdkörper. Damit die Körperzellen dort besser anwachsen, haben Forscher das Metall mit nanodünnen Schichten verschiedenster Verbindungen versehen, etwa dem Hydroxylapatit, das 40 Prozent der natürlichen Knochensubstanz beim Menschen ausmacht. Daran können Körperzellen besser andocken, als am glatten Metall.

Ein Forscher des Instituts Quelle: AP

Genau anders herum sieht der Ansatz von Forschern aus Aachen aus: Dass Zellen sich an ihren Materialien festhalten, das wollen Mitarbeiter eines Instituts der RWTH verhindern. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die sogenannte Soft-Matter-Nanotechnologie. Dabei geht es unter anderem um Wundauflagen, die nicht mit dem Körper und seinen Zellen verkleben. Dafür haben RWTH-Forscher Martin Möller (siehe Interview) und seine Kollegen das Wundmaterial mit einer nanodünnen Hydrogelschicht überzogen, damit es sich beim Wechseln des Verbandes leicht ablöst und frisch gebildete Haut nicht wieder zerstört.

Auch bei Operationen im Bauchraum hält die Nanobeschichtung Einzug. Netze und Gewebe, die im Körper eingesetzt werden – etwa um Leistenbrüche zu stabilisieren –, statten Möller und sein Team mit einem Antiklebeschutz aus. Bisher passiert es immer wieder, dass das Netz verrutscht und sich zusammenschiebt. Die Folge: eine erneute Operation.

Zusätzlich lassen sich Hydrogel-schichten auch mit Nanopartikeln mitsamt Wirkstoffen anreichern. Entsprechende Techniken untersuchen Mediziner der RWTH unter anderem mit dem Pharmaunternehmen Bayer Schering. Was die Forscher sich vorstellen, ist eine Art Hydrogeldepot im Körper, das gleichmäßig kleine Mengen des Wirkstoffs abgibt. So ließe sich beispielsweise mit einem Hormondepot im Unterleib besser und sicherer verhüten als mit der Pille, die täglich geschluckt, gelegentlich aber auch vergessen wird.

Noch gezielter sollen sogenannte Nano-Transporter die Medikamente durch den Körper schiffen: Und diese Technik steht gerade kurz davor, die Pharmabranche nachhaltig zu verändern.

Medikamentendepot im Körper

Dabei werden Medikamente zum Beispiel mit Zuckermolekülen ummantelt oder in Fetttröpfchen – sogenannte Liposome – verpackt und an Stellen des Körpers transportiert, die sie sonst kaum oder gar nicht erreichen. Damit werden neben Krebstherapien auch viele Behandlungen im Gehirn wesentlich einfacher und effektiver. „Der Wirkstofftransport ist in der Nanomedizin das Gebiet mit dem größten wirtschaftlichen Potenzial“, sagt Claus Michael Lehr, der an der Universität des Saarlandes erforscht, wie sich mit Nanopartikeln biologische Barrieren wie die Haut, die Darmwand oder die Blut-Hirn-Schranke überwinden lassen.

In vielen Fällen macht die Nanotechnik aggressive Substanzen sogar erst verträglich. Zum Beispiel das Camptothecin, das als natürlicher Inhaltsstoff eines chinesischen Baumes schon in den Sechzigerjahren gegen Krebs erprobt wurde. Es ist ein hochwirksames Gift, das die Zellteilung blockiert und so schnell wachsende Zellen wie etwa in Tumoren in den Selbstmord treibt. Doch das Molekül erwies sich in klinischen Studien als viel zu giftig und gefährdete die Patienten mehr, als es ihnen half.

Nun könnte die Karriere des potenten Zellgifts noch eine späte Wendung nehmen – dank Nanotechnologie. Das US-Unternehmen Cerulean hat ein Verfahren in der Pipeline, das den Wirkstoff wie eine Art Nano-Taxi mit Zuckerketten umhüllt und so, sicher verpackt, durch die Gefäße bis zum Tumor schleust. Am Ziel angelangt, werden die beladenen Transporter von den Krebszellen aufgenommen und setzen dort ihre tödliche Fracht frei. Bösartige Zellen sterben ab. Das gesunde Gewebe bleibt weitgehend verschont.

Mit dem lotus-Effekt hat die Quelle: dpa/dpaweb

Ein immenser Fortschritt. „Der Wirkstofftransport mit Nanopartikeln bietet die Chance, die Wirksamkeit von Therapien zu erhöhen und zugleich die Nebenwirkungen zu mindern“, sagt Raymond Schiffelers, Nano-Forscher an der Universität Utrecht. Gerade in der Krebstherapie spielt das eine große Rolle, denn Chemotherapien sind alles andere als zielgerichtet. Schließlich muss der gesamte Körper mit dem Zellgift geflutet werden, um den Krebszellen den Garaus zu machen. Auch sich schnell teilende, gesunde Zellen werden dabei getötet. Nebenwirkungen wie Haarausfall, die Schwächung des Immunsystems oder Herzschäden sind die Folge.

Die Nano-Taxis steuern dagegen zielsicher nur das Tumorgewebe an. Der Trick ist in diesem Fall, dass die Fähren mit 50 bis 100 Nanometern sogar deutlich größer sind als die Wirkstoffe, die meist nur wenige Nanometer messen. Gelangen die Wirkstoffmoleküle unverpackt in die Blutbahn, erreichen sie in der Regel jede Ecke des Körpers. Denn die Wände der Adern sind zwar dicht und undurchlässig für große Teilchen wie Nano-Taxis oder Blutkörperchen, Wirkstoffmoleküle jedoch können passieren. Ganz anders sieht das in krankem Gewebe aus: Adern, die Tumore oder Infektionsherde versorgen, sind löchrig und auch für die Nano-Taxis durchlässig, die so ihre Wirkstofffracht genau am gewünschten Ziel abladen können.

Deutlich weniger Nebenwirkungen

Die neueste Generation dieser Wirkstoff-Transporter besitzt zudem noch eine Art Navigationssystem für die zielgenaue Zustellung. Das japanische Unternehmen Mebiopharm etwa verpackt das bekannte Krebsmittel Oxaliplatin in Liposome, die auf der Oberfläche molekulare Sensoren tragen, mit denen sie an einen tumorspezifischen Rezeptor andocken.

Ob diese sogenannten Nano-Taxis im Körper auch gesundheitliche Risiken bergen, sei extrem schwer zu beurteilen, sagt DWI-Chef Möller. Doch anders als bei Nano-Brillenputzmitteln oder -Haarsprays, -Schutzlacken oder -Dachziegeln achten die Forscher bei medizinischen Anwendungen meist sehr genau darauf, dass ihre Nano-Fähren ungefährlich für den Körper sind. Meist verwenden sie lange Zuckerketten oder Fettmoleküle, die der Körper nach gewisser Zeit rückstandslos abbauen kann.

Künftig könnten sogar Medizintechnikgeräte zum Einsatz kommen, um die Wirkstoffe gezielt freizusetzen. Die amerikanische Firma Celsion etwa erhitzt die vom Krebs befallenen Körperregionen mittels Ultraschall oder Hitzesonden und verabreicht gleichzeitig ein Krebsmedikament, das in Liposome verpackt ist. ImTumor werden die wärmeempfindlichen Fettkügelchen zerstört und setzen den Wirkstoff frei.

Ähnliche Möglichkeiten sieht Mag-force-Chef Heinrich auch für seine Magnetzwerge. Sie könnten bald nicht nur Hirntumore heilen, sondern auch als Transporter mit Wirkstoffen beladen werden. Die werden mit einem hitzeempfindlichen Bioklebstoff befestigt. Ist der Magnettransporter im erkrankten Organ angelangt, wird das Wechselfeld angelegt, der Klebstoff schmilzt bei 41 Grad, und das Medikament wird frei. Im Tierversuch klappt das schon.

Heinrich ist überzeugt: „Da sind noch Quantensprünge möglich, vor allem wenn Pharmaforscher und Medizintechniker sich noch stärker zusammentun.“

In manchen Feldern funktioniert die Zusammenarbeit schon recht gut, zum Beispiel bei den Entwicklern von Batterien für den medizinischen Bereich, etwa Hörgeräte. Die sollen immer kleiner und unauffälliger werden. Doch gleicht ihr Innenleben mittlerweile einem leistungsstarken Computer, der je nach Geräuschsituation das richtige Programm anwirft. Etwa damit sein Träger auch in einer Kneipe sein Gegenüber gut versteht oder ein Konzert ohne Verzerrungen genießen kann. Und dafür brauchen Geräte immer mehr Strom.

Deshalb erforschen die Grillo-Werke in Duisburg eine Vielzahl von Nano-Vliesen, -Keramiken oder -Röhrchen um die Leistungsfähigkeit von Zink-Luft-Batterien zu erhöhen und sie vor allem wiederaufladbar zu machen. Grillo-Forscher und -Produktionsbereichsleiter Armin Melzer ist dabei zum echten Nano-Fan geworden: „Die Technik bietet große Chancen, um Energie auf kleinstem Raum zu speichern, auch weit über die Medizin hinaus.“ 

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