Neuromarketing Kauf mich!

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Unsere Studie, die 2004 begann, beanspruchte insgesamt fast drei Jahre meines Lebens, kostete rund sieben Millionen US-Dollar (die von acht internationalen Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden), umfasste zahllose Experimente und beschäftigte Tausende von Probanden auf der ganzen Welt sowie 200 Forscher, zehn Professoren und Ärzte und eine Ethikkommission. Eingesetzt wurden zwei der am weitesten entwickelten Apparate für Gehirnscans: ein funktioneller Magnetresonanztomograf sowie eine neue Version eines Elektroenzephalografen, dessen Arbeit als Steady-State Topography (SST) bezeichnet wird und der Gehirnwellen in Echtzeit aufzeichnet. Das Forschungsteam wurde geleitet von Dr. Gemma Calvert, Professorin für Neuroimaging an der University of Warwick und Gründerin von Neurosense in Oxford, sowie von Professor Richard Silberstein, dem Geschäftsführer von Neuro-Insight in Australien. Die gesamte Studie war 25-mal so umfangreich wie jede andere bisher durchgeführte Neuromarketing-Erhebung.

Das Forschungsergebnis? Es wird Ihre Vorstellung von den Gründen für Ihr Kaufverhalten deutlich verändern.

Marlene, eine der Raucherinnen, die sich an der Studie beteiligten, lag flach auf dem Rücken im Magnetresonanztomografen. Die Maschine tickte leise, die Plattform wurde ein wenig angehoben und rastete ein. Leise Zweifel spiegelten sich auf Marlenes Gesicht – wen wundert’s? –, aber sie lächelte tapfer, als ihr ein Techniker für den ersten Gehirnscan des Tages die Kopfspule aufsetzte.

Aufgrund des von Marlene ausgefüllten Fragebogens und des mit ihr geführten Interviews wusste ich, dass sie vor 15 Jahren mit dem Rauchen angefangen hatte. Sie betrachtete sich nicht als nikotinabhängig, sondern als „Party-Raucherin“. „Beeinflussen Sie die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen?“, hatte der Fragebogen wissen wollen. „Ja“, hatte Marlene geschrieben. „Rauchen Sie aufgrund dieser Warnhinweise weniger?“ Nochmals „ja“.

Ihre Antworten im Interview waren ziemlich eindeutig, aber nun war es Zeit, ihr Gehirn zu befragen. Marlene lag etwas mehr als eine Stunde im Tomografen. Ein kleiner Apparat von der Größe eines Autorückspiegels projizierte nacheinander einige Warnhinweise von Zigarettenpackungen aus verschiedenen Blickwinkeln auf eine Leinwand. Marlene sollte bei jedem Bild ihren Wunsch nach einer Zigarette durch Betätigung eines Druckknopfes ausdrücken, abgestuft nach der Intensität ihres Verlangens. Über die nächsten eineinhalb Monate unterzogen sich weitere Probanden den Gehirnscans.

Fünf Wochen später präsentierte mir Dr. Calvert, die Leiterin des Teams, die Ergebnisse. Ich fand sie erschreckend. Sogar Dr. Calvert war überrascht: Die Warnhinweise vorn, hinten und auf den Seiten der Zigarettenpackungen unterdrückten das Verlangen der Raucher nach einer Zigarette überhaupt nicht. Anders formuliert: Sämtliche schaurigen Fotos, staatlichen Einschränkungen, Milliarden von Euro, die 123 Länder in Nichtraucherkampagnen investiert hatten, waren letztendlich rausgeschmissenes Geld.

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