Neuromarketing Kauf mich!

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Das Auge kauft mit Quelle: Olaf Hajek

Noch erstaunlicher als diese Erkenntnis war jene, auf die Dr. Calvert stieß, als sie die Daten weiter analysierte. Die Warnungen vor Zigaretten hatten ein Areal im Gehirn der Raucher aktiviert, das man als Nucleus accumbens bezeichnet oder auch „Suchtzentrum“. Diese Hirnregion ist ein neuronales Netz, das aktiv reagiert und daher in Tomografie-Bildern aufleuchtet, wenn der Körper ein unbezwingbares Verlangen nach etwas hat – sei es Alkohol, Drogen, Tabak, Sex oder Glücksspiele. Wird der Nucleus accumbens stimuliert, fordert er immer höhere Dosen zu seiner Befriedigung. Die Ergebnisse der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) zeigten also, dass die Warnhinweise Raucher keinesfalls abschreckten, sondern dazu anregten, sich eine Zigarette anzustecken.

Die meisten Raucher kreuzten „Ja“ an, wenn sie angeben sollten, ob die Warnhinweise funktionierten – vielleicht glaubten sie, dies sei die richtige Antwort oder das, was die Forscher lesen wollten, oder sie fühlten sich einfach schuldig, weil sie wussten, was Raucher ihrer Gesundheit antun. Ihr Bewusstsein konnte dies jedoch nicht erkennen. Marlene hatte nicht gelogen, als sie den Fragebogen ausfüllte. Aber ihr Gehirn hatte ihr hartnäckig widersprochen. Genau das Gleiche tun alle unsere Gehirne tagtäglich.

Von Beruf bin ich internationaler Branding-Fachmann. Es war schon immer meine Leidenschaft, und ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, herauszufinden, wie Verbraucher denken, warum sie bestimmte Waren kaufen oder nicht kaufen – und was Marketing- und Werbeleute tun können, um Produkte, die Schwierigkeiten haben, deren Umsatz stagniert oder einzubrechen droht oder die von Anfang an schlecht liefen, zum Erfolg zu führen. Mich und andere Branding-Fachleute betrachten viele Unternehmen als eine Art Markenambulanz, ein Krisenmanagementteam.

Mir war bereits 2003 ziemlich klar, dass die herkömmlichen Marktforschungsmethoden wie Befragungen und Gruppendiskussionen nicht mehr geeignet waren, um herauszufinden, was die Verbraucher wirklich dachten. Wir Menschen sehen uns selbst gerne als rationale Wesen. Aber wir alle verhalten uns laufend auf eine Weise, für die es keine eindeutige oder logische Erklärung gibt. Überlegen Sie nur einmal, wie viel Aberglaube unser Leben beeinflusst. Unter Druck oder Stress (aber auch dann, wenn das Leben so weit ganz in Ordnung ist) sagen die Leute einiges, dem ihr Verhalten vollkommen widerspricht. Natürlich ist das eine Katastrophe für die Marktforschung, die sich darauf verlässt, dass Verbraucher ehrliche und korrekte Antworten geben.

Das Forschungszentrum von DaimlerChrysler in Ulm setzte 2002 die Magnetresonanztomografie ein, um zu erfahren, was in den Gehirnen von Konsumenten vor sich ging, wenn man ihnen -eine Reihe Fotos von verschiedenen Autos zeigte, darunter Mini Coopers und Ferraris. Die Forscher entdeckten, dass beim Anblick eines Mini Coopers eine der hinteren Hirnregionen aktiviert wurde, die auf Gesichter reagiert. Die Magnetresonanztomografie hatte gerade das wesentliche Element offengelegt, das den Reiz eines Mini Coopers ausmacht. Nicht die stilisierte Form einer Bulldogge, die eckige Karosserie, der 1,6-Liter-Reihenvierzylinder-Motor oder die Airbags mit Seitenaufprallschutz machen den Charme des Wagens aus, sondern der Mini Cooper bleibt Menschen als ein liebenswertes Gesicht in Erinnerung. Ein kleines Wesen aus glänzendem Stahl, Bambi auf vier Rädern. Man spürt den Drang, in eines der Metallbäckchen zu kneifen und davonzubrausen.

Die Neurowissenschaft verdeutlichte, was ich schon lange vermutet hatte: Marken sind viel mehr als von auffälligem Design umgebene, erkennbare Produkte.

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