OP-Technik Navigationssystem für Chirurgen

Ausgefeilte technische Assistenzprogramme halten Einzug in den Operationssaal. Teilautonome Roboter, Navis für Operationsgeräte und Warnsysteme ermöglichen schnellere und gezieltere Eingriffe, zum Wohle des Patienten - und der Wirtschaftlichkeit der Kliniken. Die Technik birgt allerdings auch Risiken.

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Hybrid-Operationssaal der Uniklinik Heidelberg: High Tech ermöglicht den Chirurgen präzise und schnelle Operationen. Quelle: dapd

BERLIN. Piloten weist der Computer schon seit langem den Weg: Im Flugzeugcockpit zeigen sogenannte Moving Maps die voraussichtliche Flugroute an. Der Lübecker Medizintechnikhersteller Dräger hat das Prinzip nun auf die Narkoseführung übertragen: Sein Smart-Pilot genanntes System errechnet aus den Konzentrationen der Schlaf- und Schmerzmittel den weiteren Verlauf der Narkose. Änderungen in der Dosierung lassen sich so erst simulieren - und danach optimal anpassen.

Früher habe man sich eher auf das Bauchgefühl verlassen, sagt Georg Breuer, Anästhesist und Oberarzt am Uniklinikum Erlangen, das an der Entwicklung maßgeblich beteiligt war. Nun liefere das System durch die Visualisierung des künftigen Narkoseverlaufs Anhaltspunkte, an denen sich Ärzte orientieren könnten. "Das erleichtert die richtige Dosierung, so dass die Patienten schneller wieder aufwachen und weniger Nebenwirkungen davontragen", sagt Breuer.

Virtuelle Reise durch den Körper

Auch die Operateure erhalten zunehmend Rückendeckung durch smarte Technik. Teilautonome Roboter, Navis für Operationsgeräte und Warnsysteme, die eine Verletzung sensibler Strukturen verhindern - all das wird laut Gero Strauß bald Standard sein. "Wir erleben eine Automatisierung der gesamten OP-Umgebung", sagt der Direktor des Internationalen Referenz- und Entwicklungszentrums für Chirurgische Technologien (IRDC) der Uniklinik Leipzig.

Das vom Medizintechnikhersteller Karl Storz finanzierte Zentrum hat beispielsweise ein Warnsystem mit millimetergenauer Distanzkontrolle entwickelt: Der Operateur fertigt vor der OP per Röntgen- oder Magnetresonanztomographie hochauflösende 3D-Bilder an. Darauf trägt er die Gebiete ein, die er abtragen will, und sensible Bereiche, die er nicht verletzen darf. Bei der Operation erfasst das System exakt, wo sich die Fräse befindet. Kommt der Chirurg in den Gefahrenbereich, erhält er eine Warnung. Bevor er die Struktur verletzt, schaltet sich die Fräse automatisch ab.

"Dadurch lassen sich nicht nur Komplikationen vermeiden, sondern man kann eine Operation auch schneller beenden", sagt Strauß, der das System getestet hat. Etwa sieben Minuten sparten die Chirurgen pro Eingriff, so eine Studie. Ähnliche Systeme sind auch für andere Fachgebiete in Entwicklung: In dem vom Bundesforschungsministerium finanzierten Projekt Somit (Schonendes Operieren mit innovativer Technik) arbeiten Forscher und Unternehmen an Navigations- und Warnsystemen für Operationen an Knie und Hüfte sowie für Leber-OPs.

Der Siegeszug der minimal-invasiven Chirurgie erweist sich als treibender Faktor. Die Anwendungsgebiete für die Methode, bei der Operateure Instrumente und Kameras über immer kleine Zugangsschnitte einführen, nehmen stetig zu. Diese Vorgehensweise erfordert bildgebende Verfahren: Die Hersteller - vor allem Siemens und Philips - reagieren mit sogenannten Hybrid-OPs, in denen ein Computertomograph oder ein Magnetresonanztomograph hochauflösende 3D-Bilder während der Operation erzeugt. So können Mediziner in Echtzeit verfolgen, wie sie ihre Instrumente im Patienten positionieren.

Herzchirurgen etwa benötigen für den Aortenklappenersatz, bei dem sie früher das Brustbein aufschneiden mussten, inzwischen nur noch winzige Schnitte. "Dadurch können Herzchirurgen auch gebrechliche Patienten operieren, die bisher nur medikamentös therapiert wurden", sagt Georg Nollert, Marketingleiter für chirurgische Bildgebungssysteme bei Siemens.

Der Medizintechnikhersteller hat weltweit bereits 300 Hybrid-OPs installiert und hält nach eigenen Angaben zwischen 60 und 70 Prozent des Weltmarktanteils. Das Wachstum in diesem Segment sei stark. Im vergangenen Jahr habe sich das Umsatzvolumen fast verdoppelt, sagt Nollert. In fünf Jahren würden Hybrid-OPs in der Gefäß- und Herzchirurgie zum Standard gehören.

Die technische Unterstützung beschränkt sich nicht nur auf den Eingriff an sich. Im OP-Saal der Zukunft sorgen deckenmontierte Stative für Bewegungsfreiheit, computergesteuerte Tische und Instrumentenschalen passen sich automatisch den Notwendigkeiten der jeweiligen Operation an. Die Beleuchtung wechselt auf Zuruf ihre Farbe oder Helligkeit, alle Geräte lassen sich zentral über einen Touchscreen oder per Gestensteuerung bedienen. Über Displays schalten sich per Videokonferenzen Experten zu. "Die Herausforderung ist es, die Elemente miteinander zu verbinden", sagt Strauß. Hersteller wie Karl Storz und Olympus haben schon erste Angebote für solche Operationssäle auf dem Markt.

Einsparpotenzial für Kliniken

Die Technik birgt einerseits die Chance auf mehr Wirtschaftlichkeit für die Kliniken - etwa durch geringere OP-Dauer oder kürzere Liegezeiten der Patienten dank schonender Eingriffe. Andererseits dürften aber die Investitionskosten deutlich steigen. Und die Modernisierung birgt auch Risiken: "Man muss die Werte, die Geräte wie der Smart-Pilot liefern, immer wieder mit der Realität abgleichen und das Handwerk beherrschen", sagt der Anästhesist Georg Breuer.

Anders ausgedrückt: Piloten müssen im Zweifelsfall auch auf Sicht fliegen können - nicht anders sieht es im OP-Saal aus. Am Leipziger IRDC trainieren die Spezialisten daher das Verhalten beim Ausfall von Geräten regelmäßig. Eines stehe fest, sagt Institutsleiter Strauß: "Der Chirurg wird abhängiger von der Technik."

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