Psychologie "Angst hat eine große Anziehungskraft "

Der Psychiater und Psychoanalytiker Egon Fabian über Terrorwarnungen, Angstlust und Verarmungsängste in Zeiten der Eurokrise.

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Fabian_Egon

WirtschaftsWoche: Wir haben in den vergangenen Tagen mit Terrorwarnungen gelebt. Hat das Ihr eigenes Verhalten, das Verhalten Ihrer Mitarbeiter oder Patienten in irgendeiner Weise beeinflusst?

Egon Fabian: Solche Warnungen vermehren ganz allgemein die Angstbereitschaft. Wobei diese im Fall des Terrorismus verstärkt verbunden ist mit Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühlen. Man weiß nicht, wann und wo ein Anschlag stattfinden wird. Andererseits ist es immer wieder erstaunlich, wie leicht wir Menschen Ängste wegstecken können. So schnell, wie Ängste kommen, gehen sie normalerweise auch wieder. Eine Art Schutz vor der Überflutung mit Ängsten, gegen die wir uns nicht wehren können.  

Die Warnungen sind gut eine Woche alt und man hat das Gefühl, die Bedrohung ist schon weit weg - weil wir Menschen von Natur aus vergesslich sind?

Na ja, wir sind durch die Medien abgestumpft. Schon durch die jeweils nächste Nachricht wird die Aufmerksamkeit abgelenkt. Die Medien sorgen dafür, dass eine Angst die andere ersetzt. Wer hat heute noch Angst vor einem Tsunami? Wahrscheinlich niemand mehr, noch nicht einmal auf Sumatra. Das heißt nicht, dass die Ängste allgemein weniger werden, im Gegenteil, aber sie verändern ihr Substrat: Heute ist es die Angst vor dem Terror, die uns in Atem hält, morgen die Angst vor einem Krieg zwischen Nord- und Südkorea, der sich ausbreiten könnte. Das wechselt in so rascher Folge ab, dass man sich auf eine Angst gar nicht mehr konzentrieren kann. Gleichzeitig wird die Angst allgegenwärtig.

Sie meinen, die Medien schaffen eine Art Angstkultur?

Das tun sie schon lang. Angst hat eine große Anziehungskraft, sie sorgt für Spannung. Deshalb auch die Beliebtheit von Gruselfilmen und Ähnlichem. Sie projizieren unsere eigenen Ängste in eine äußere Situation, die wir immerhin kontrollieren könnten. Der britisch-ungarische Psychoanalytiker Michael Balint sprach treffend von einer Angstlust. Er dachte an die Jahrmärkte mit ihren Achterbahn- und Karussellfahrten, wo man den Schwindel als Thrill genießt. Die modernen Medien bedienen ganz ähnliche Bedürfnisse. Sie ermöglichen sowohl Projektion der Angst als auch ihren Genuss ohne Risiko. 

Aber bei der Angst vor Terroranschlägen handelt es sich doch um eine Reaktion auf höchst reale Gefahren.

Richtig, wäre es anders, könnten wir diese Angst kaum aushalten. Die unerträglichsten Ängste sind ja die, die nicht real begründet, nicht rational fassbar sind. In dem Maße, wie dem Menschen eine Objektivierung dieser diffusen Angst gelingt, wie er sie also an etwas Konkretes binden kann, fühlt er sich ein Stück weit erleichtert. Er kann dann eine Distanz zu dieser Angst aufbauen. Da kann es bei Terrorgefahr schon hilfreich sein zu wissen, dass man bestimmte Plätze meiden sollte. Allein schon die Möglichkeit, dass man sich in einer kleineren Ortschaft von solchen Drohungen kaum tangiert fühlt, schafft eine Art innere Entspannung. Allerdings: In dieser Strategie der Konkretisierung könnte auch eine Art unbewusster Rationalisierung von Angst stecken. 

Was meinen Sie damit?

Dass die Angst vor Terroranschlägen auf eine tiefer liegende Angst verweist, dass sie eine Art maskierter Abkömmling jener existenziellen Ur-Angst ist, mit der wir auf die Welt kommen, die uns zeitlebens begleitet, von der Geburt bis zum Tod. Diese Ur-Angst ist Teil unseres menschlichen Schicksals. Wir Menschen sind immer angewiesen auf andere Menschen, um diese Angst mit ihnen zu teilen. Die Einsamkeit kann die Angst ins Unermessliche steigern. Das wird besonders deutlich bei kleinen Kindern, die ganz und gar angewiesen sind auf die Liebe und den Schutz der Mutter und Familie. Wo es daran mangelt, entsteht pathologische Angst: Die Menschen leben dann in ihrem Erwachsenenleben ständig in ängstlicher Erwartung, ihre gesamte Wahrnehmung ist durch Angst grundiert, weil sie diese Ursicherheit, dieses Urvertrauen der frühen Kindheit nicht mitgenommen haben.

Die Funktion von Angst

Warum reagieren wir auf Gefahren überhaupt mit Angst statt mit kühler Abschätzung unserer Handlungsmöglichkeiten? Anders gefragt: Was für einen “Sinn” hat es, Angst zu haben?

Angst signalisiert eine drohende Gefahr - und dient damit unserem Schutz und unserem Überleben. Aber sie kann eben auch überhandnehmen. Man muss nach dem Psychiater Günter Ammon eine konstruktive Angst, die uns klug und handlungsfähig macht, von einer destruktiven Angst unterscheiden, die uns lähmt und handlungsunfähig macht. Die Panik ist dafür ein Beispiel. Darüber hinaus hat Angst eine zwischenmenschliche Funktion. Sie ist Teil unserer psychischen Reifung. Wer gar keine Angst kennt, verarmt emotional und ist in der Regel auch unfähig, tiefe menschliche Beziehungen einzugehen. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Menschen, die völlig angstfrei sind, sehr nett und sympathisch sein können, dass ihnen aber die menschliche Tiefe fehlt - auch das Gespür für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und die anderer Menschen sowie für die Begrenzungen des menschlichen Lebens.

Das klingt, als müsse man sich in Acht nehmen vor Leuten, die gar keine Angst haben?

Das kann man nicht genug betonen. Es gibt dieses Märchen "Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen". Ein sehr kluges Märchen, das vom Weg zur Menschwerdung durch die Erfahrung von Angst erzählt. Was die Abwesenheit von Angst, die wir auch defizitäre Angst nennen, anrichten kann, sieht man bei Terroristen und Kriminellen. Aber leider auch bei manchen Politikern und Wirtschaftsführern. Erfolgreiche Menschen mit defizitärer Angst werden leicht für gesunde Menschen gehalten, werden bewundert für ihren Mut und ihre Durchsetzungskraft. Dabei sind sie oft emotionale Krüppel, die kein Gefühl haben für die Risiken, die sie eingehen, und ganze Völker ins Unglück stürzen können.

Wenn Sie die Reaktionen auf die Terrorwarnungen mit den Reaktionen auf die Eurokrise vergleichen: Wo sehen Sie Ähnlichkeiten, wo Unterschiede?

Ich sehe graduelle Unterschiede. Die Terrorwarnungen beleben, wie gesagt, unsere latente Ur- oder Todesangst. Die Angst vor einer Währungskrise kann man als Variante dieser Urangst deuten. Sie tarnt sich als Angst vor Verarmung, vor dem Verlust des Wohlstands. Dabei spielt auch die Erinnerungen an traumatische historische Ereignisse eine Rolle. Etwa an die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise. Das sind Dinge, die im kollektiven Gedächtnis gespeichert und abrufbar sind.

Die Angst vor Wohlstandsverlusten kann auch etwas Pathologisches haben?

Die Übergänge zwischen normaler und pathologischer Angst sind oft fließend. Wenn, laut einer Umfrage, Dreiviertel der Deutschen glauben, dass uns der schlimmste Teil der Finanzkrise noch bevorsteht, dann sind das vermutlich keine imaginären, sondern realistische Ängste. Wir haben in der Finanzkrise ja gesehen, wohin die Kombination aus Intelligenz, Abenteurertum und defizitärer Angst führen kann: in den Ruin. Etwas anderes ist der Fall reicher Leute, bei denen die Angst, alles zu verlieren, sozusagen wahnhafte Züge annimmt. Der Verlust des Wohlstands bedeutet für sie den Verlust einer mühsam aufgebauten Identität. Sie kann echte Identität, gekoppelt mit Sinngebung, kreativem Lebensstil und guten menschlichen Beziehungen, ersetzen. Verarmungsangst steht hier für die Angst, nichts mehr wert zu sein - und ist für nicht wenige ein Grund zum Selbstmord.

Wie sollten wir mit unseren realistischen Ängsten umgehen?

Wir sollten versuchen, die konstruktive Angst stärken, das heißt, sie mit Handlungsmöglichkeiten verbinden. Natürlich nicht allein, sondern mit anderen ähnlich denkenden Menschen. Ich bin kein Ökonom, aber es scheint mir nötig, dass wir Druck auf die Politik ausüben, um sie wieder an ihre Gestaltungsmöglichkeiten - die heute auch die Dimension einer moralischen Pflicht besitzt - gegenüber der Wirtschaft zu erinnern. Es kann doch nicht sein, dass die Bürger die Zeche für das wild gewordene Spekulantentum weniger zahlen. 

Die Krise des Euro zeigt, dass es offenbar nicht nur um individuelle Abstiegsängste geht. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass grundsätzlich etwas schief läuft, dass ehemals fest gefügte Koordinatensysteme nicht mehr gelten. Auch dass der Staat nicht mehr gleichsam als guter Hausvater agiert, sondern durch überstürzte Rettungsaktionen - siehe Irland und Spanien - die Grundfesten des Gemeinwesens gefährdet.

Diesen Eindruck teile ich. Das von Ihnen beschriebene Unbehagen hat aber, wie ich glaube, tiefere Gründe. Es kommt daher, dass der moderne Mensch nicht mehr auf die grundlegenden Sicherheiten zurückgreifen kann, die ihn einst vor Angst schützten. Ich meine die Religion, den Glauben, die Geborgenheit traditioneller sozialer Strukturen wie der Großfamilie, oder des Clans. Übrigens auch die Identifikationsfigur des Monarchen, der, wenn auch nur symbolisch, über sein Volk wachte und so Frieden und Schutz garantierte. Diese stabilisierenden Institutionen haben sich mit der Moderne immer mehr aufgelöst. Wenn der Philosoph Sören Kierkegaard von der Angst als dem "Schwindel der Freiheit" spricht, dann meint er nicht zuletzt diese Erfahrungen. Die Folge: Der Mensch wird mit seinen Ängsten allein gelassen - und verliert seinen existenziellen Halt. All das macht uns insgesamt krisen- und angstanfälliger. Und dann kommen auch noch die Risiken hinzu, die mit der globalisierten und dadurch nicht mehr überschaubaren technisch-ökonomischen Entwicklung verbunden sind. Kein Wunder also, dass wir im so genannten Zeitalter der Angst leben.

German Angst

Betrifft das die Deutschen in besonderem Maße? "German Angst" gilt im Ausland als geflügeltes Wort.

Diese Frage habe ich befürchtet. (Lacht) Sie ist schwer zu bejahen oder zu verneinen. Sicher, die Deutschen sind ein von der Geschichte des 20. Jahrhunderts schwer gebeuteltes Volk, sie haben Grund sich vor so manchem zu fürchten. Vielleicht wurde hier aus historischen Gründen Angst mehr und länger verleugnet, als bei anderen Völkern. Aber ich glaube nicht, dass sie als Individuen ängstlicher sind als andere.

Stellen Sie im therapeutischen Alltag fest, dass die zunehmende kollektive Verunsicherung, die wir in den vergangenen Jahren erleben, ihren Niederschlag findet in den Symptomen Ihrer Patienten?

Diese Verunsicherung ist keine alleinige Ursache für psychische Erkrankungen, aber sie ist sicher ein zusätzlicher Faktor. Wenn ich auch noch befürchten muss, meine Arbeit zu verlieren, oder meine Ersparnisse entwertet zu sehen, dann stimuliert das andere, tiefere liegende Ängst.

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