Rohstoffknappheit Fünf Schritte zur grünen Wirtschaft

Bevölkerungsexplosion, Klimawandel und exzessiver Ressourcenverbrauch bringen die Erde an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Die fünf entscheidenden Schritte zu einem grünen Wirtschaftsmodell.

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Green Economy - Die grüne Wirtschaft der Zukunft Quelle: Julian Stratenschulte dpa/lni

Europas ergiebigste Rohstoffquelle liegt im Antwerpener Stadtteil Hoboken direkt an der Schelde. Doch hier, auf dem weitläufigen Areal des belgischen Metallkonzerns Umicore, treibt niemand Stollen ins Gestein, um an wertvolle Mineralien zu gelangen. Kupfer, Palladium und Platin oder Technologiemetalle wie Lithium, Selen und Indium liegen haufenweise herum, in zersplitterten Fernsehern, ausgedienten Mobiltelefonen und alten Computerplatinen.

Pausenlos rollen Lastwagen heran und kippen neuen Elektroschrott auf meterhohe Haufen vor die hochmodernen Recyclinganlagen. Die Belgier schmelzen den Abfall in Öfen ein und trennen aus der glühenden Masse in hochkomplexen Verfahren begehrte Rohstoffe heraus.

Die Schrotthaufen in Antwerpen sind ein Blick in die Zukunft unserer Industrie. Früher wurden diese wertvollen Rohstoffe meist verbrannt oder in der Erde verscharrt. Der Schlüssel für den Wohlstand unserer immer schneller wachsenden Weltbevölkerung aber, letztlich die Grundlage für unser Überleben, ist eine Wirtschaft, die einmal gewonnene Rohstoffe immer wieder neu verwendet – in einem ewigen Kreislauf.

Notwendig dafür ist nichts weniger als eine dritte industrielle Revolution, die Schluss macht mit der Ausplünderung unseres Planeten, die eine fortschreitende Verschwendung von Bodenschätzen und Energie stoppt und das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch abkoppelt. "Maximale Wertschöpfung aus minimalem Ressourceneinsatz", fordert der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, müsse das alte Dogma von der Gewinnmaximierung aus Kapital ablösen.

Schon aus Eigeninteresse sollte sich die hiesige Industrie entsprechend rüsten. Gleich 14 Rohstoffe hat die Beratungstochter des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, IW Consult, in einer aktuellen Studie auf die rote Liste gesetzt, weil beim Bezug dramatische Engpässe drohen. Darunter befinden sich die Seltenerdmetalle Ytrium und Neodym, die dringend für Laser und Windräder gebraucht werden. Viele der High-Tech-Materialien lassen sich kaum ersetzen. Knappheit und hohe Nachfrage haben sie seit Jahresbeginn um das Vierfache verteuert. In drastischen Worten malt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, "den nahenden Bankrott vieler Unternehmen" an die Wand, sollte die Entwicklung anhalten.

Die Herausforderung

Ein nachhaltiges Produktionsmodell allein wird allerdings nicht reichen. Die Wirtschaft der Zukunft muss einen Konsumstil fördern, der statt auf Masse auf langlebige und umweltverträgliche Produkte setzt, und die freier Zeit und sozialem Austausch den gleichen Wert zumisst wie Statussymbolen und dem Anhäufen materiellen Reichtums.

Doch kann das wirklich funktionieren, ohne die Wirtschaft ihrer Triebfeder zu berauben und den Fortschritt zu gefährden?

Der Naturwissenschaftler und Leiter des internationalen Komitees für nachhaltiges Ressourcenmanagement, Ernst Ulrich von Weizsäcker, ist davon überzeugt: NachInternet und Biotechnologie, so seine These, sei die radikale Erhöhung der Ressourcenproduktivität der nächste große Innovationsmotor, der das globale Wachstum vorantreibe, schreibt er in seinem jüngsten Buch "Faktor Fünf". Und erstmals in der Geschichte der Industrialisierung könne dies ohne zusätzlichen Verbrauch von Energie, Wasser und Mineralien gelingen. "Die Technologien, um jede Einheit Wohlstand mit 80 Prozent weniger Ressourcenplünderung und Ausstoß von Klimagas herzustellen, haben wir bereits", sagt von Weizsäcker.

Konkret geht es um die Rückgewinnung von Rohstoffen, ihren produktiveren Einsatz, den Ersatz endlicher Ressourcen durch nachwachsende Ersatzstoffe und ein verändertes Konsumverhalten — bis hin zu intelligentem Verzicht.

In der Politik und unter Ökonomen haben er und Fraunhofer-Präsident Bullinger einflussreiche Unterstützer dieser These gefunden. Etwa in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), einem Zusammenschluss der führenden Industrienationen.

In einer jüngst vorgestellten Studie ("Towards Green Growth") kommen OECD-Ökonomen zu einem beunruhigenden Ergebnis: Würde die Welt weiter wirtschaften wie bisher, führe das geradewegs ins Verderben: Wasserknappheit, Umweltverschmutzung, Klimawandel und die sinkende Artenvielfalt würden die Menschheit bedrohen, warnt OECD-Generalsekretär Angel Gurría, ehemals mexikanische Finanz- und Außenminister.

Dass dies keine Panikmache ist, belegen viele Daten. Schon heute leben wir weit über unsere Verhältnisse. Forscher des Global Footprint Network schätzen, dass die Menschen die Ressourcen bereits jetzt um 30 Prozent schneller aufzehren, als die Erde sie ersetzen kann. Würden wir weiter leben wie bisher, würden nach Berechnungen der Umweltorganisation WWF im Jahr 2035 theoretisch zwei Erden gebraucht, um alle Menschen mit Nahrung, Energie und Lebensraum zu versorgen.

Schrott gewinnt

Täglich verschwindet eine Waldfläche der Größe Stuttgarts vom Planeten. Weltweit werden zudem pro Jahr 60 Milliarden Tonnen Rohstoffe verbraucht – 50 Prozent mehr als vor 30 Jahren. Die Ausplünderung hat drastische Auswirkungen. Laut OECD-Berechnungen wird im Jahr 2030 eine weitere Milliarde Menschen keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser haben – heute leiden bereits 4,3 Milliarden Menschen unter diesem Mangel.

Mit dem ökologischen wächst der ökonomische Schaden. Weil selbst europäische Ackerflächen oft zu stark genutzt werden, sinkt ihr Ertrag laut der Europäischen Umweltagentur um 53 Euro je Hektar.

Tonnenweise Plastikmüll

Nicht minder bedrohlich klingt, was Forscher über den Zustand der Weltmeere berichten: Sie sind überfischt, überdüngt, zu warm und mit Abermillionen Tonnen Plastikmüll am Rande des Kollaps. Passiert nichts, befürchten Wissenschaftler das größte Artensterben seit 55 Millionen Jahren. Käme es zum Umkippen der Meere, wären die Konsequenzen gravierend. Die Ozeane sind eine wichtige Sauerstofffabrik und bremsen den Klimawandel, weil sie riesige Mengen CO2 aufnehmen.

Fische und andere Meerestiere ernähren zudem Milliarden Menschen. Um neun Milliarden Menschen ernähren zu können, die nach Schätzungen der UN 2050 auf der Erde leben, müssten bis dahin aber 70 Prozent mehr Getreide, Fleisch, Gemüse und Obst produziert werden. Doch schon heute kann die Welt nicht genügend Menschen ernähren. Die steigende Nachfrage treibt die Preise. Nahrungsmittel, so die Vorhersage der FAO, werden bis 2020 um 30 Prozent teurer und dann für noch mehr Arme unbezahlbar sein.

Die gute Nachricht ist: Der Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen lässt sich aufhalten, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. "Ökologie und Ökonomie sind kein Gegensatz", sagt OECD-Chef Gurría. "Es gibt genügend intelligente Lösungen, beide zu versöhnen."

Mehr Brutto vom Netto

Ein Beispiel ist die Rückgewinnung von Rohstoffen, wie sie Umicore in Antwerpen zur Perfektion treibt. Die Belgier holen aus jeder Tonne Computer-Leiterplatten 200 bis 250 Gramm Gold heraus. Die Ausbeute in typischen Goldminen liegt dagegen bei gerade einmal fünf Gramm Gold je Tonne.

Um es zu gewinnen, muss das Gestein tief aus der Erde hochgeholt werden. Zudem sind riesige Mengen an Chemikalien und Wasser notwendig, um es herauszulösen. "Die ökologischen Rucksäcke von Edelmetallen wie Gold oder Platin sind enorm", sagt Christian Hagelüken, Leiter der Geschäftsentwicklung bei Umicore.

Dagegen sind die Abfälle des Industriezeitalters ergiebiger als jede Mine. Und das Recycling lässt keine apokalyptisch anmutenden Mondlandschaften zurück wie vielerorts der Bergbau.

Wie groß das Potenzial einer Kreislaufwirtschaft ist, zeigen neueste Berechnungen am Beispiel des Autos: Danach können von 1000 Kilogramm eingesetztem Rohmaterial 900 Kilogramm zurückgewonnen werden, um neue Fahrzeuge herzustellen. Bisher bringen es die Hersteller nur auf 50 Kilogramm.

Ein Gutachten des Rats für nachhaltige Entwicklung hält sogar 100-prozentiges Recycling für machbar – abzüglich der technisch bedingten Verluste bei der Aufbereitung. Dass in Deutschland die Mehrzahl der Elektrogeräte und der Kunststoffe immer noch im Müll landen, prangert der Vorsitzende des Gremiums, Hans-Peter Repnik, als "pure Verschwendung" an.

Eine teure zudem. Denn das Land gab zuletzt pro Jahr mehr als 90 Milliarden Euro für Rohstoffeinfuhren aus.

100 Milliarden Euro sparen

Die Rechnung würde weiter gedrückt, setzten die Unternehmen bei der Herstellung ihrer Produkte die neuesten ressourcenschonenden Verfahren ein – quer durch alle Industrien.

Um die 100 Milliarden Euro könnten die hiesigen Unternehmen pro Jahr auf diese Weise einsparen, hat die Deutsche Materialeffizienzagentur Demea ausgerechnet. "Das brächte enorme Wettbewerbsvorteile", sagt Fraunhofer-Präsident Bullinger. Schließlich beträgt der Materialanteil fast die Hälfte an den Produktionskosten.

Doch gerade bei der Materialproduktivität liegen die Industrieländer weit auseinander. Am besten schneiden die Holländer ab: Sie erzielen mit jedem Kilogramm Rohstoff eine Wirtschaftsleistung von rund viereinhalb Dollar. Die Australier schaffen hingegen nicht einmal einen Dollar. Deutschland hat seine Rohstoffproduktivität seit 1994 um fast 40 Prozent verbessert.

Sparsame Holländer, verschwenderische Australier

Eine weitere Möglichkeit der Ressourcenschonung ist der Ersatz endlicher Rohstoffe durch nachwachsende Pendants. So könnten pflanzenbasierte Kunststoffe aus Stärke, Cellulose und Milchsäure solche aus Erdöl ersetzen.

Schließlich entlastet ein bewusster Konsum, verbunden mit neuen Geschäftsmodellen, den Erdball. Wer etwa auf den Kauf von CDs und DVDs verzichtet und Musik- und Videodateien nur aus dem Internet herunterlädt, spart große Mengen Ressourcen. Autos, Computer und Waschmaschinen könnten statt gekauft nur noch gemietet oder geleast werden.

Die Hersteller blieben Eigentümer der Produkte und hätten daher nach Ansicht der OECD-Experten einen zusätzlichen Anreiz, sie so zu bauen, dass sie lange halten und ihre Bestandteile möglichst vollständig wiederzuverwerten sind.

Und auch Verzicht wäre kein Tabu. Schließlich sei das seit Urgedenken eine "menschliche Tugend", findet der Rat für nachhaltige Entwicklung.

Die amerikanische Soziologin Juliet Schor macht sich für einen "sinnvolleren Wohlstand" stark. Einen, der weniger Ressourcen verschlingt, die Menschen dafür reicher an Zeit und sozialen Kontakten macht. Der Verzicht auf den Kauf des 18. Paars Schuhe, werde die Nachfrage nicht einbrechen lassen, so ihre Prognose. Dafür gebe es in armen Regionen zu viel Nachholbedarf.

Davon abgesehen, ist für viele Experten längst ausgemacht, dass nur ein Wachstumsmodell Bestand haben kann, das die fortschreitende Ausplünderung unseres Planeten beendet. Der Umstieg sollte um so leichter fallen, als er grandiose Geschäftschancen bietet. Allein im Umweltsektor werden nach Schätzungen des Weltgeschäftsrats für nachhaltige Entwicklung (WBCSD) bis 2050 bis zu 6,3 Billionen Dollar weltweit umgesetzt.

Lesen Sie auf den folgenden Seiten, in welchen fünf Schritten die grüne Revolution gelingen kann.

Rohstoffe - Plastik aus Mais und Holz

Aus nachwachsenden Rohstoffen Quelle: dpa/dpaweb

Autos werden künftig fast zum Anbeißen sein. Jedenfalls wenn es nach Hans-Josef Endres geht. In einer tennisplatzgroßen Test-Fabrik am Stadtrand von Hannover hantiert der Kunststoffforscher der Fachhochschule Hannover an zwei tonnenschweren Maschinen. Eine rührt hochwertige Plastikgranulate zusammen, die aus Maiskörnern und Holzfasern bestehen. Die zweite presst aus dem Gemisch Kunststoffe für Armaturenbretter und Kabelhüllen. Doch das reicht Endres nicht: Aus Hanffasern und Harz will er schon bald auch Karosserieteile bauen. Die Komponenten aus Ökoplastik, so verspricht er, werden genauso stabil sein wie ihre Kunststoffpendants auf Erdölbasis – nur viel umweltverträglicher. Zudem lassen sie sich in 150 Jahren noch herstellen, wenn die meisten Ölquellen versiegt sind.

Was die Forscher des Biopolymer-Instituts der Fachhochschule Hannover mit Akribie und Leidenschaft anrühren, ist längst mehr als eine nette Spielerei. Das von Endres geleitete Forschungsprojekt Bioconcept-Car wird vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und von Großunternehmen aus der Auto- und Kunststoffindustrie unterstützt, die noch nicht genannt werden wollen. Die große Bewährungsprobe muss das Material 2012 bestehen. Dann sollen die Bioteile ihre Tauglichkeit bei einem 24-Stunden-Rennen in einem VW-Scirocco beweisen. Gelingt der Test, könnte Bioplastik im großen Stil in Serienfahrzeugen eingesetzt werden.

Die Niedersachsen stehen mit ihrer Initiative nicht allein. An vielen Orten der Welt arbeiten Forscher an grünen Materialien als Ausweg aus der Rohstoffkrise, die rapide steigende Preise für Kupfer, Erz und Öl zur Folge hat. In einfacheren Produkten sind Biokunststoffe schon länger üblich: in PET-Flaschen, Joghurtbechern und Dübeln. Nun setzen sie dazu an, die High-Tech-Industrie zu erobern.

"Im Prinzip könnten die Biokunststoffe unseren gesamten Plastikbedarf decken", sagt Endres. Und er sagt das nicht einfach so – er hat es ausgerechnet: Um den Kunststoffbedarf eines Jahres anzubauen, müssten auf zehn Prozent der deutschen Ackerfläche Rohstoffpflanzen sprießen.

Im Gegenzug schlägt der Wissenschaftler vor, weniger Energiepflanzen für Biosprit zu kultivieren, was heute rund zehn Prozent der Ackerflächen in Anspruch nimmt. Dann würde das Bioplastik nicht in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion treten. Auf Biosprit werden Autos künftig ohnehin nicht angewiesen sein, denn fahren wird man mit grünem Strom und sauberem Wasserstoff.

Ein weiteres Anwendungsgebiet für nachwachsende Rohstoffe ist der Hausbau. In Österreich haben Architekten der Technischen Universität Wien ein Forschungszentrum aus einer tragenden Holzkonstruktion und Glas errichtet. Gedämmt wird mit Stroh. Der Bau benötigte 90 Prozent weniger Ressourcen als ein vergleichbares konventionelles Haus.

Ob im Auto, in der PET-Flasche oder im Haus: Nach dem Gebrauch können Biomaterialien recycelt werden – oder als Brennstoff Energie liefern. Dieser Kreislauf würde nur so viel klimaschädliches CO2 in die Atmosphäre emittieren, wie die Pflanzen zuvor aufgenommen haben. Wo kein grüner Ersatz in Sicht ist, wie etwa für Metalle im Maschinenbau, müssen Rohstoffe durch Recycling aufbereitet werden.

Design - Funktionale Schönheit

Sayl - Ein Schreibtischstuhl der sich mit wenigen Handgriffen in seine Bestandteile zerlegen lässt. Quelle: Herman Miller

Seine Waffen sind ein Bleistift und ein Zeichenblock. Sein Ideal: grüne Produkte, die der Umwelt möglichst nicht schaden. Der Mann heißt Yves Behar, ist Schweizer und sieht, obwohl schon Mitte 40, wie ein Student aus, der gerade die Kunsthochschule abgeschlossen hat. Er gilt als Begründer des Green Designs und seine Entwürfe haben Unternehmen wie BMW, Puma und Birkenstock gekauft. Auch die ersten Skizzen eines "100-Dollar-Laptops" für arme Länder, den der taiwanesische Computerhersteller Quanta baut, entstanden auf Behars Zeichenblock.

"Produktdesign muss darauf reagieren, was die Welt um uns herum bewegt", sagt Behar. Güter sollen deshalb ohne Schadstoffe und mit möglichst wenigen Rohstoffen produziert werden – und zudem einfach zu recyceln sein. Das klingt simpel, ist in Wirklichkeit aber eine Revolution des Designs, wie wir es kennen. Denn Umweltschutzaspekte hatten in der Abteilung Kunst und Kreativität in vielen Unternehmen bislang wenig zu suchen. In der Wirtschaft der Zukunft jedoch müssen sie Ausgangspunkt der meisten Entwürfe werden.

Das verlangen auch die Kunden. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung bevorzugt ein Viertel der Deutschen nachhaltige Produkte – ihr Marktpotenzial läge damit bei rund 300 Milliarden Euro. Wie grün Waren am Ende sind, daran haben Designer einen entscheidenden Anteil. Eine Studie für den US-Kongress wies nach, dass die Entwurfsphase zu 70 Prozent über den späteren Material- und Energieverbrauch eines Produktes entscheidet.

Produkte vor allem auf ihre Wiederverwertbarkeit hin zu entwerfen, hält Stefan Bringezu, Leiter der Abteilung Stoffströme und Ressourcenmanagement am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie, für ein entscheidendes Kriterium einer Kreislaufwirtschaft. Er appelliert daher an die Unternehmen, auf immer neue Materialkombinationen zu verzichten und die Zahl der Bauteile klein zu halten. "Das erleichtert die Wiederverwendung im gleichen Produkt enorm", sagt er.

Im Idealfall sieht ein grünes Produkt dann aus wie der Schreibtischstuhl "Sayl", den Designer Behar für den US-Möbelhersteller Herman Miller entworfen hat: schlanker Fuß, schmale Armlehnen und eine filigrane Rückenlehne aus schadstofffreiem Kunststoff. Der Stuhl ist auf das Wesentliche reduziert. Der entscheidende Vorteil aber: Der Sitz lässt sich mit wenigen Handgriffen in seine Stahl-, Plastik-, Schaum- und Textilbestandteile zerlegen. Herman Miller recycelt die Einzelteile zu neuen Stühlen.

T-Shirts zu Kompost

All das ist nur dank grünem Design möglich. Das spricht sich in immer mehr Branchen herum. Bekleidungshersteller wie Trigema etwa verbessern mit kompostierbaren, aus schadstofffreien Naturfasern gewebten Unterhemden, T-Shirts und Handtüchern ihre Umweltbilanz. Das ist bitter nötig, denn die Textilindustrie setzt global ein Drittel aller Pestizide ein.

Kluges Design kann auch technische Geräte so gestalten, dass sie sich leicht wieder aufmöbeln und weiterverkaufen lassen, statt sie wegzuwerfen. Der Computerhersteller Dell macht mit aufgearbeiteten Rechnern bereits mehrere Millionen Dollar Umsatz. Auch der Technologiekonzern Siemens geht bei medizinischen Großgeräten diesen Weg. Die Münchner kaufen etwa Computertomografen zurück, tauschen verschlissene Teile aus und bieten die Produkte bis zu 30 Prozent unter dem Neupreis wieder an.

Auch beim Verbrauch von Geräten haben Designer und Ingenieure Erfolge erzielt: So verbrauchen Fernseher, Kühlschränke und Waschmaschinen heute rund 20 Prozent weniger Strom als vor neun Jahren, wie eine Studie der Schweizer Energie-Agentur-Elektrogeräte zeigte.

Aber noch hebt der Kaufrausch der Kunden diesen Fortschritt auf. Denn in den Haushalten stehen immer mehr und größere Geräte. Deshalb stieg der private Stromverbrauch seit dem Jahr 2000 sogar leicht an. Soll die Umwelt von grünem Design profitieren, müssen die Kunden also nicht nur bewusster einkaufen – sondern sie sollten sich auch überlegen, wie viele und welche Geräte sie wirklich brauchen.

Produktion - Fabriken als Effizienz-Pioniere

Biomasse-Heizkrafterke sollen Quelle: dpa

Noch vor wenigen Monaten war das Areal am Rande der marokkanischen Küstenstadt Tanger nicht viel mehr als staubiges Buschland. Heute schaufeln dort Bagger Sand – wenige Meter weiter drehen sich die Baukräne. Der französische Autohersteller Renault baut hier die sauberste Autofabrik der Welt, die völlig ohne fossile Energieträger auskommen soll.

Die Wärme für die Lackieranlage etwa erzeugt ein Biomasse-Heizkraftwerk, das Holz aus nahen Eukalyptusbaum-Plantagen verfeuert. Windräder und Wasserkraftanlagen liefern den Strom. Und die Produktion selbst verschlingt jährlich nur noch 300 Millionen Liter Wasser – zwei Drittel weniger als vergleichbare Fabriken. Renault spart mit den Maßnahmen außerdem Kosten. Und all das ist keine ferne Vision: Schon ab nächstem Jahr – so der Plan – rollen in der grünen Produktionsstätte die ersten Wagen vom Band.

Die Effizienzwelle erfasst zurzeit die gesamte Industrie. Und das hat ganz pragmatische Gründe: Die Unternehmen hoffen, mithilfe neuer Technologien, zumindest einen Teil der enormen Preissteigerungen bei Rohstoffen ausgleichen zu können. Allein 2010 verteuerten sich Metalle und Brennstoffe um 14 Prozent.

Neben dem finanziellen Gewinn für die Unternehmen winkt auch ein Gewinn für die Natur. Denn die Industrie hat entscheidenden Anteil am Rohstoffverbrauch: knapp 30 Prozent der gesamten deutschen Energieproduktion wird für die Herstellung von Gütern aufgewendet.

Ressourceneffizienz spart vielen Unternehmen aber nicht nur Geld, sondern wird für einige sogar zu einem Milliardengeschäft. Die Unternehmensberater von Roland Berger schätzen, dass sich die Umsätze mit neuen Produkten und Verfahren zur Ressourceneffizienz bis 2020 gegenüber heute auf weltweit 335 Milliarden Euro etwa verdreifachen.

Ein umfangreiches Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) hat ergeben, dass allein in der Autoproduktion bis zu 50 Prozent des Materials eingespart werden können. Andere Branchen kommen auf ähnliche Werte. Hartmut Rauen vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) will dabei den Maschinenbau "zur Schlüsselindustrie machen, um effizienter zu produzieren". Ein Beispiel sind neue, materialsparende Verfahren beim Walzen von Blechen. Um die gleichen Mengen zu erzielen, brauchen sie ein Drittel weniger Stahl. Auch bei der Herstellung von Zahnrädern für Motorengetriebe konnte die Produktivität um den Faktor fünf verbessert werden. Selbst die energieintensive Metallindustrie schnallt den Rohstoffgürtel enger: Neue Schmelzöfen für Recyclingaluminium sparen 30 Prozent Energie.

Erst im Frühjahr hat die WirtschaftsWoche die Freudenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik in Weinheim bei Mannheim für ihr Meisterstück gelungener Ressourceneffizienz mit dem Innovationspreis der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Das Unternehmen schneidet Metalle, aus denen Ringe geformt werden, jetzt millimetergenau per Laser zu. Vorher wurden sie aus einem Stahlband gestanzt, der Verschnitt war groß. Die neue Technik senkt den Stahlverbrauch um durchschnittlich fast drei Viertel.

Von den Sparanstrengungen würde die gesamte Volkswirtschaft profitieren. Erschlösse die Wirtschaft allein das vorhandene Effizienzpotenzial, hat das Bundesumweltamt ausgerechnet, fiele das Bruttoinlandsprodukt 2030 um 14,2 Prozent oder 375 Milliarden Euro höher aus.

Nutzung - Was dein ist, ist auch mein

Carsharing - Gemeinsam weniger Quelle: dpa

Mit ihren eng anliegenden, schwarzen Kleidern würde es Rachel Botsman in einer Hippie-Kommune nicht weit bringen. Mit ihrem Leitspruch schon: Unter dem Motto "teilen statt besitzen" will sie unsere Konsumgewohnheiten umkrempeln. Botsman, die ihr Geld als Politik- und Unternehmensberaterin verdient und aussieht wie die Schauspielerin Sandra Bullock, wird auf Internet-Konferenzen wie ein Star gefeiert. Das Nachrichtenmagazin "Time" kürte ihr Konzept zu einer der zehn wichtigsten Zukunftsideen. Und das nur wegen eines Buches: "What’s Mine is Yours: The Rise of Collaborative Consumption".

Botsman und Co-Autor Roo Rogers zeigen darin Wege auf, Güter besser zu nutzen, indem man sie über Internet-Plattformen teilt oder tauscht. Die Bohrmaschine "läuft in ihrem gesamten Leben durchschnittlich nur 14 Minuten", sagt sie. Oder das Auto: Es werde nur eine Stunde am Tag gefahren. "Warum soll jeder eins besitzen, wenn man es gemeinsam besser nutzt und damit auch Geld spart?"

Wie wenig wir Produkte nutzen, zeigt eine weitere Zahl aus ihrem Buch: 80 Prozent der Dinge, die wir besitzen, nutzen wir nur einmal im Monat. Die Frage ist, müssen wir wirklich alles besitzen? Oder sollten wir mehr Dinge ausleihen, wenn wir sie brauchen? Das wäre die einfachste Art, Ressourcen zu schonen.

Hatte man früher nur einen kleinen Kreis von Bekannten, mit denen man Dinge tauschen oder teilen konnte, verbindet das Internet heute Millionen von Menschen. Die Teilnehmer der Börsen bewerten, wie pfleglich ein Entleiher mit der Heckenschere oder dem Auto umgegangen ist. Das schafft das notwendige Vertrauen, auch Fremden seine Sachen zu überlassen. Wer die Bohrmaschine gesäubert und intakt zurückgegeben hat, dem leiht man auch seinen Rasenmäher.

Millionen Güter getauscht

Botsman hat unzählige Beispiele von Internet-Börsen gesammelt, über die Menschen Güter verleihen: von swap.com über freecycle.org bis zu zipcar.com, eine Carsharing Seite mit fast 600 000 Nutzern allein in den USA. Über Freecycle werden jährlich rund zehn Millionen Güter verschenkt. Experten schätzen, dass 2010 der Gesamtwert der im Netz getauschten und verliehenen Produkte 36 Milliarden Dollar betrug – das gemeinsame Nutzen von Gütern ist längst ein Megatrend.

In Deutschland ist diese Bewegung am stärksten beim Carsharing zu beobachten. 190.000 Nutzer waren es 2010 – 20 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. "Carsharing ist auf dem Weg zum Massenmarkt", sagt Franz-Rudolf Esch, Leiter des Lehrstuhls Automobilmarketing an der European Business School in Oestrich-Winkel. In den Städten könnte die Zahl der Zulassungen daher schon bald sinken, so seine Prognose. Laut Bundesverband Carsharing kaufen mehr als 30 Prozent der Nutzer keinen eigenen Wagen.

Die Autohersteller reagieren darauf: Daimler, Peugeot und BMW bieten bereits Carsharing-Service für ihre Autos an.

Recycling - Ein ewiger Kreis

Dieser Container wurde ohne Quelle: Reuters

Eine Touristenattraktion ist der Pollhornweg im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg nicht gerade. Zur einen Seite der Straße laufen rostige Schienen, gegenüber stehen graue, charakterlose Werkshallen. Und doch ist diese triste Kulisse Reiseziel für Straßenbauspezialisten aus der ganzen Republik. Ihre Augenmerk gilt der vergangenes Jahr frisch aufgetragenen Asphaltdecke. Die besteht zu mehr als 90 Prozent aus altem, abgefrästem Straßenbelag. Fit gemacht mit etwas Öl und Wachs können Fahrbahnen mit dem innovativen Recycling-Belag neu asphaltiert werden. Zusätzlicher Sand und Split ist kaum nötig.

Seine Recyclingmasse sei genau so haltbar wie neuer Asphalt, sagt sein Erfinder, der Hamburger Ingenieur Gerhard Riebesehl. "Dafür aber bis zu einem Drittel billiger." Mittlerweile haben auch andere Städte ihre kaputten Straßen mit der preiswerten Variante repariert.

Riebesehls Recyclingasphalt ist nur ein weiterer, kleiner Baustein einer Wirtschaft, die den größten Teil der eingesetzten Rohstoffe wiederverwertet. Weil Öl und Metalle immer teurer werden, müssen Länder wie Deutschland auf eine möglichst lückenlose Recyclingwirtschaft umstellen. Nahezu alles, was in der Produktion eingesetzt wird, muss künftig wiederverwertet werden. "Nachdem Deutschland auf dem Weg ist, sich zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie zu versorgen, sollte auch angestrebt werden, Rohstoffe zu 100 Prozent wiederzuverwerten", fordert Hans-Peter Repnik, Vorsitzender des Rats für nachhaltige Entwicklung.

Das Problem: Bislang bedeutet Recycling zu oft, dass aufbereitetes Material in minderwertigen Produkten weiterverwendet wird: Aus Asphalt werden Lärmschutzwälle aufgeschüttet und aus Handy-hüllen werden Parkbänke gegossen. Der Grund dafür ist, dass die Materialien im Produktionsprozess mit anderen Werkstoffen vermischt werden. Die zu trennen fiel der Recyclingwirtschaft lange schwer.

Neue Techniken ermöglichen genau das. Getan werden muss aber noch mehr. Damit sich Deutschland künftig mit Rohstoffen versorgen kann, müsse die Wirtschaft die Recyclingquote unterschiedlicher Materialien genau ermitteln, mahnt der Rat für nachhaltige Entwicklung.

Deutlich wird das Problem bei den sogenannten Seltenen Erden oder Indium: Obwohl die Metalle in High-Tech-Produkten wie Elektroautos, Displays und Dünnschicht-Solarmodulen unersetzlich sind, gewinnen die Verwerter bisher gerade einmal ein Prozent davon zurück.

Auch der Automobilhersteller Toyota führt wertvolle Batteriestoffe mittlerweile im Kreislauf: Bisher landeten die nickelhaltigen Materialien aus den Akkus der Prius-Hybridfahrzeuge in der Stahlproduktion. Nun separieren die Japaner das Nickel und bauen damit neue Batterien.

Deutsche Forscher haben es vor allem auf das Edelmetall Lithium abgesehen. Es wird für Hochleistungsbatterien in Elektroautos, Mobiltelefonen und tragbaren Computern gebraucht. Arno Kwade von der Technischen Universität Braunschweig möchte es daher unbedingt zurückgewinnen. Bislang landeten die Lithiumanteile oft in einer Schlacke für den Straßenbau. Die ersten Versuche seien vielversprechend verlaufen, berichtet Kwade: Über 90 Prozent des Lithiums könnten wieder zurück in die Batterieproduktion fließen.

Um die Rohstoffkreisläufe besser zu schließen, verfolgen Experten eine weitere Idee: Möglichst viele Produkte sollen nicht mehr verkauft, sondern den Nutzern nur noch vorübergehend überlassen werden. Sie würden den Drucker leasen, Kühlschrank und Auto mieten, Werkzeuge und Teppiche leihen. Damit haben die Hersteller die Garantie, dass die Produkte und damit die Rohstoffe nach Gebrauch der Produkte wieder bei ihnen landen.

Chemie verleihen

Der Rat für nachhaltige Entwicklung fordert Unternehmen daher auf, neue Dienstleistungsmodelle nach diesem Prinzip zu entwickeln. Das Umweltbundesamt möchte den Ansatz sogar auf die Industrie ausdehnen. Die Chemiekonzerne etwa sollen künftig einen Großteil ihrer Produkte nur noch verleasen und nach Gebrauch wieder zurücknehmen.

Leasingmodelle für Rohstoffe würden auch eines der bisher größten Probleme auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft beheben – den großen Schwund. Laut Gesetz sollen zwar 85 Prozent des in deutschen Autos eingesetzten Materials wiederverwertet werden, vor allem Stahl und Kunststoffe. Für einzelne Fahrzeuge wird diese Quote auch erfüllt. Aber von rund drei Millionen Fahrzeugen, die 2008 in Deutschland stillgelegt wurden, blieben nur 400 000 im Land. Der Rest verschwand über legale oder illegale Exporte ins Ausland, stellte das Umweltbundesamt fest.

Dennoch: Die Wiederverwertung kommt voran. In einem VW Golf, so das Ergebnis einer Studie des TÜV-Nord, stecken 527 Kilogramm recycelte Rohstoffe – mehr als 40 Prozent seines Gewichts.

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