Schweinegrippe Experten: Nach Impfstoff-Debakel mehr Menschen immun gegen Impfung

Die Aufregung um die unterschiedlichen Schweinegrippe-Impfstoffe für Regierung und Allgemeinheit wird nach Einschätzung des Vorstandschefs der Barmer Ersatzkasse, Johannes Vöcking, die ohnehin vorhandene Impfmüdigkeit weiter verstärken.

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Wie bei der Quelle: AP

„Ich rechne damit, dass sich dadurch noch mal fünf Prozent weniger impfen lassen“, sagte Vöcking dem Berliner „Tagesspiegel“ (morgige Ausgabe). Schon vorher hätten sich die Versicherten „sehr zurückhaltend“ gezeigt. Die Entscheidung, Bundesregierung und hohe Bundesbeamte mit einem anderen Serum gegen die Schweinegrippe impfen zu lassen als den Rest der Bevölkerung bezeichnete Vöcking den Angaben zufolge als „politisch total unklug“.

Der Eindruck, dass es für Politiker „Extrawürste“ gebe, sei schädlich, sagte er den Angaben zufolge. „Sie hätten sich einreihen und die Bereitschaft zeigen müssen, mit demselben Serum geimpft zu werden wie alle andern.“ Schließlich könne man davon ausgehen, dass auch der Impfstoff mit so genannten Wirkverstärkern genügend getestet und sicher sei.

Vöcking betonte, dass die gesetzlichen Kassen finanzielle Rückforderungen an die Länder stellen würden, wenn der georderte Impfstoff nicht verbraucht werde und sich nicht weiter verkaufen lasse. Die Kassen müssen die Kosten für die Immunisierung von 50 Prozent ihrer Versicherten tragen und haben dafür bereits 600 Millionen Euro vorgeschossen. Ingesamt kosten die bestellten 50 Millionen Dosen rund eine Milliarde Euro.

Die Bundesregierung hat unterdessen Vorwürfe einer Zwei-Klassen-Medizin bei der Aktion entschieden zurückgewiesen. Lediglich Soldaten, Bundespolizisten und Krisenstabs-Mitarbeiter erhielten Impfstoff ohne Wirkstoffverstärker - aber nicht, weil dieser weniger Nebenwirkungen hervorrufe, sondern wegen eines schon vor Aufkommen der Schweinegrippe geschlossenen Vertrags. Bundesweit begann die Verteilung des Schweinegrippe-Impfstoffs mit den strittigen Verstärkerstoffen am Montag mit der Auslieferung der ersten Dosen.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte die Tatsache der unterschiedlichen Impfstoffe mit einem Rahmenvertrag mit dem US- Hersteller Baxter International für den Fall, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Pandemie feststellt. Dieser Vertrag sei bereits am 14. Oktober 2008 geschlossen worden. Über die Art des Stoffs oder Wirkstoffverstärker sei dabei nichts vereinbart worden, teilte auch der Sprecher des Verteidigungsministeriums mit. Zuständig war das Koblenzer Beschaffungsamt.

Merkel hört auf Hausarzt

Es gebe keine Zwei-Klassen-Impf-Gesellschaft, sagte Wilhelm. Regierungsmitglieder bekämen - wenn sie wollen - beim Hausarzt denselben Impfstoff mit Wirkstoffverstärker wie der Rest der Bevölkerung. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werde mit ihrem Hausarzt sprechen. Wenn dieser zur Impfung rate, werde sie sich mit dem entsprechenden Serum Pandemrix impfen lassen. Zudem betonte der Regierungssprecher, dass der andere Stoff ohne Verstärker - Celvapan - auch nicht besser sei. „Richtig ist, es gibt keinen besseren oder schlechteren Impfstoff.“

Privatversicherte erhalten Impfstoffe gegen Schweinegrippe mit Verstärkerstoffen wie gesetzlich Versicherte. „Privatversicherte bekommen dasselbe wie alle“, sagte der Sprecher des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV), Stefan Reker, der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin.

Pünktlich um 7 Uhr wurden nach Angaben des Pharmaherstellers GlaxoSmithKline (GSK) die ersten von 50 Millionen bestellten Impfdosen für die Bevölkerung ausgeliefert. „Wir müssen jetzt schauen, dass das alles reibungslos abläuft“, sagte eine Sprecherin. Deshalb habe man darauf verzichtet, Zeitplan und Ort der Auslieferung zu veröffentlichen. Dem Vernehmen nach ist das Lager in Coswig bei Dresden. Alle Länder hätten gemäß Bevölkerungszahl Impfstoffe bestellt, hieß es. Die Impfungen sollen am 26. Oktober beginnen. Beim Transport ist laut GSK wichtig, dass der Impfstoff stets bei Temperaturen zwischen zwei und acht Grad Celsius lagert. Deshalb holen die Länder ihren Impfstoff in Kühlwagen ab. Spezielle Sicherungssysteme auf den Paketen sollen gewährleisten, dass die notwendige Kühltemperatur nicht über- oder unterschritten wird.

Ampullen des Quelle: dpa

Nachdem die WHO im Juni den Pandemie-Fall ausgerufen hatte, habe Baxter mit der Entwicklung von Celvapan begonnen, sagte Regierungssprecher Wilhelm. Pandemrix sei hingegen von den Ländern geordert worden, die für den Infektionsschutz der Bevölkerung zuständig sind.

Angesichts des Wirbels um den Unterschied betonten Wilhelm und der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Klaus Vater, der Impfstoff für die Mehrheit habe Vorteile. Er sei in größerer Menge zu produzieren und wirke breiter. Celvapan müsse - anders als bei Pandemrix zunächst vorgesehen - zudem zweimal geimpft werden.

In der vergangenen Woche hatte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) berichtet, es könnten bei Wirkstoffverstärkern leicht gesteigerte Impfreaktionen auftreten - im schlimmsten Fall aber nur eine kurze Fieberreaktion. Für Schwangere bemühe man sich deshalb um Impfstoffe ohne die Verstärker. Gleichzeitig riet die Regierung nachdrücklich zur Impfung. „Wir müssen uns leider darauf einstellen, dass sich im Winterhalbjahr auf der Nordhalbkugel in einer zweiten Welle eine größere Gefährdung aufbauen kann“, sagte Wilhelm.

Bei dieser zweiten Infektionswelle könne es auch Mutationen des Virus geben. Das Thüringer Gesundheitsministerium warnte, die Debatte über die Stoffe könne die Impfbereitschaft in der Bevölkerung dämpfen. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, sagte der „Bild“-Zeitung, zweierlei Impfstoffe seien das falsche Signal. „Das zeugt von wenig Fingerspitzengefühl.“

Ähnlich äußerten sich Linke sowie weitere Wissenschaftler. Grünen-Chef Cem Özdemir warf der Regierung einen Informations-GAU vor. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte in n-tv: „Ich will weder den einen noch den anderen Impfstoff haben, ich möchte an überhaupt keiner Impfung teilnehmen. (...) Es mag auch für eine solche Massenimpfung sehr, sehr gute Gründe geben, aber es ist immer noch die Freiheit des Einzelnen, ob man sich nun impfen lässt oder nicht.“

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