Städte der Zukunft Wie Metropolen zu Ökostädten werden

Metropolen in aller Welt erleben den größten Umbau ihrer Geschichte: Autos verlieren an Bedeutung, Arbeiten und Wohnen rücken zusammen, der Energieverbrauch sinkt drastisch – und die Natur kehrt zurück.

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Ansturm auf die Metropolen

Raus aus der Stadt? Für Anders Elwin war das nie ein Thema. Auch nicht, als vor drei Jahren sein erstes Kind zur Welt kam. „Hier haben wir alles“, sagt der Familienvater, der mitten in Stockholm lebt. „Kindergärten und Schulen, Parks, Gewässer und Spielplätze, und wir sind dennoch schnell im Restaurant, Geschäft oder Kino.“ Auf ein Auto verzichtet die Familie des Computerspezialisten. Sie fährt lieber Rad und benutzt das gut ausgebaute Bus- und U-Bahn-Netz.

So wie die Elwins denken viele Eltern in der schwedischen Hauptstadt. Statt mit ihren Kindern in verkehrsberuhigte Vorstädte zu flüchten, leben sie im Zentrum.

Die Familienfreundlichkeit Stockholms ist Teil eines Masterplans, mit dem die Metropole Maßstäbe setzen will. Lange folgte die Stadtplanung dem Ideal, breite Schneisen für den Autoverkehr zu schlagen. Schnell und bequem sollten die Menschen aus den grünen Wohnsiedlungen am Stadtrand zum Arbeiten und Einkaufen ins Zentrum gelangen.

Doch das Konzept der autogerechten Stadt ist gescheitert. Es führt nur zu Dauerstaus und Vierteln, die nach Büro- und Geschäftsschluss menschenleer sind – ob in Los Angeles, London oder Frankfurt.

Nun wird die Idee einer autogerechten Stadt von einer neuen Idee abgelöst: Laut Stadtplanern gehört die Zukunft ökologisch ausgerichteten Städten, die zwar dicht bebaut sind, aber dennoch sparsam mit Ressourcen umgehen, ihre Energieversorgung autark organisieren, Verkehrsströme begrenzen und die Landschaft zurück in ihre Mitte holen. Der Londoner Stararchitekt Sir Norman Foster, dem der Berliner Reichstag seine Kuppel verdankt, spricht bereits von einem „Epochenwechsel“.

Stockholm macht vor, was das bedeutet. Als „Grüne Hauptstadt Europas“ lobt die Europäische Kommission die schwedische Metropole bereits – zu Recht: 

Bis 2050 will Stockholm vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten

Mit ihrer nachhaltigen Stadtentwicklung hat die Stadt ihre Klimagasemissionen seit 1990 von 5,2 auf 4,0 Tonnen je Einwohner reduziert. 69 Prozent aller Haushalte sind an ein Fernwärmenetz angeschlossen, das zu mehr als zwei Dritteln aus erneuerbaren Energien gespeist wird. Seit Einführung einer Staugebühr 2006 für Fahrten tagsüber im Zentrum ist das Verkehrsaufkommen um ein Fünftel gesunken. Fast 80 Prozent der 800 000 Einwohner nutzen im Berufsverkehr U-Bahnen und Busse.

Und das soll nur der Anfang sein. Bis 2050 will Stockholm vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten. Im neuen Stadtteil Royal Seaport, einer zentrumsnahen alten Industriebrache, soll es schon 2030 so weit sein. Dabei helfen sollen ein energieeffizientes Stromnetz und der Einsatz von Elektrofahrzeugen. „Unser Ziel ist es, urbanes Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln“, sagt Vizebürgermeisterin Ulla Hamilton.

Das versuchen Metropolen in aller Welt. Zwar bedecken die Großstädte nur knapp zwei Prozent der Erdoberfläche. » » Doch sie stoßen 80 Prozent der Treibhausgase aus und verbrauchen 75 Prozent der weltweit eingesetzten Energie. Geht der Ressourcenverbrauch in diesem Tempo weiter, droht der ökologische Super-GAU.

Denn die Metropolen erleben einen nie da gewesenen Ansturm: Von knapp 9,2 Milliarden Menschen, die 2050 unseren Planeten bevölkern, werden nach UN-Schätzungen mit 6,4 Milliarden etwa zwei Drittel in Städten leben, fast doppelt so viele wie heute (siehe Grafik).

Der Stadtentwicklung fällt daher eine Schlüsselrolle beim schonenden Umgang mit Umwelt, Naturschätzen und Klima zu. „Die Welt hat nur Bestand, wenn die Städte nachhaltig werden“, glaubt der Frankfurter Baumeister Albert Speer.

Bürgermeister und private Investoren in aller Welt initiieren daher grüne Stadtentwicklungsprojekte. Sie reichen vom Bau kompletter Ökostädte bis zur Umwandlung leer stehender Bürotürme in Gewächshäuser.

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