Stammzellen Das nachwachsende Ersatzteillager

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Eingefrorene menschliche Quelle: dapd

Wer ihn überlebt, kann in Zukunft darauf hoffen, mithilfe von Stammzellen wieder gesund zu werden: Denn die Verjüngungszellen helfen dem Herzen dabei, sich wieder zu erholen und neue Muskelmasse zu bilden. Das stellt gegenüber bisherigen Therapiemethoden eine dramatische Verbesserung dar: Bisher können Ärzte mit Ersatzadern – den Bypässen – zwar die Blutversorgung für den überlebenden Teil des Herzens verbessern und seine Funktion mit Medikamenten stärken. Voll leistungsfähig wurde ein Infarktherz bislang jedoch nie wieder. Durch den Infarkt verloren gegangenes Muskelgewebe nachwachsen zu lassen gelingt nur mit Stammzellen.

149 Infarktpatienten hat Steinhoff mit seinem Team in Rostock bereits behandelt. Wie erfolgreich die Therapie wirklich ist und ob die Stammzellen auch schädliche Effekte haben können, das testet er seit 2001 in klinischen Studien. Die dritte und letzte dieser wissenschaftlichen Untersuchungen startete Steinhoff vor zwei Jahren. Bis Ende 2012 soll diese Studie mit über 150 Patienten abgeschlossen sein.

Damit ist das Team der deutschen Forscher führend im weltweiten Vergleich: Keine andere Stammzelltherapie ist weiter vorangeschritten auf dem Weg zu einer Zulassung – und dem Durchbruch auf einem Massenmarkt.

Doch Forscher Steinhoff ist nur einer von vielen, die in diesem Feld arbeiten: „Viele andere Stammzelltherapien sind ebenfalls auf einem sehr guten Weg“, sagt er. Um der Fachgemeinde einen Überblick zu verschaffen, hat er in einem gerade erschienenen Fachbuch* zusammengetragen, wie weit Arbeitsgruppen in aller Welt gerade sind.

Steinhoffs Buch ist eine Reise durch den Körper: Von Kopf bis Fuß beschreiben er und seine Fachkollegen aus aller Welt, was sich mithilfe von Stammzellen bereits reparieren lässt: Bei Nervendefekten und Lähmungen, Altersdemenz oder Parkinson befinden sich die Wissenschaftler noch auf der Ebene der frühen Forschung. Selbst bei Erkrankungen wie Diabetes ist die Sache nicht so einfach wie anfangs gedacht: Hier sollten die Stammzellen für Nachschub an Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse sorgen.

Neue Hornhaut für Blinde

Bei Haut, Knochen und Knorpeldefekten hat die Entwicklung gerade eine Kehrtwende gemacht: Lange experimentierten Forscher nur mit der Gewebezucht, dem sogenannten Tissue Engineering. Dabei werden Patienten, deren Knorpelflächen beschädigt sind, körpereigene Knorpelzellen entnommen. Sie werden im Labor vermehrt und dann entweder als lose Zellen oder als komplette Knorpelauflage in einer Operation wieder eingesetzt.

Doch die Zellzucht für jeden einzelnen Patienten ist logistisch anspruchsvoll und zeitaufwendig. In vielen Fällen scheint es die elegantere und preiswertere Lösung zu sein, das fehlende oder zerstörte Gewebe direkt an Ort und Stelle aus Stammzellen nachwachsen zu lassen. Diese Technik wird gerade von mehreren Arbeitsgruppen weltweit erprobt, allerdings erst an Tieren.

Enorme Fortschritte haben Wissenschaftler zudem bei der Behandlung von Augenkrankheiten mit Stammzellen gemacht. Führend in dem Feld ist das Prasad Eye Institute in der südindischen High-Tech-Stadt Hyderabad: Dort konnten Virender Sangwan und seine Kollegin Geeta Vemuganti mit ihren aus Stammzellen gezüchteten Hornhäuten mehr als 700 Blinden Menschen das Augenlicht zurückgeben.

Das Problem: Normalerweise regeneriert sich die durchsichtige Hornhaut, die das Auge vor der Außenwelt schützt, automatisch. Notwendig sind dafür die sogenannten limbalen Stammzellen, die in gesunden Augen in einem schmalen Randsaum der Hornhaut angesiedelt sind.

Nach Verätzungen oder bei chronischer Augenentzündung, wie sie vor allem bei Kindern mit Vitamin-A-Mangel vorkommt, sterben diese Stammzellen ab. Dann kann sich die Hornhaut nicht mehr erneuern und wird milchig trüb. Die Menschen erblinden.

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