20 Millionen Daten täglich So kommt das Wetter auf die Karte

Wie werden Wettervorhersagen gemacht? Und wie genau sind sie? Fest steht: Trotz all der bösen Witze über Meteorologen werden deren Voraussagen immer präziser. Auf Spurensuche bei Deutschlands obersten Wetterfröschen.

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Der Flugwetterdienst ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des DWD. Kein Flugzeug startet ohne Wettervorhersage. Quelle: dpa

Offenbach „Von Nordwesten her greift heute ein neues Frontensystem auf Deutschland über. Dabei wird heute und morgen zunehmend kalte Meeresluft herangelenkt.“ Gleich, welcher Sender in Deutschland die Vorhersage verkündet, er nutzt Daten aus Offenbach südöstlich von Frankfurt am Main.

Dort im obersten Stockwerk des Deutschen Wetterdienstes (DWD) reicht der Blick von der Bankenstadt bis hin zum Taunus. Ganz viel Himmel ist zu sehen. So haben die Wetterexperten jeden Tag vor Augen, ob ihre Vorhersagen zumindest in diesem Gebiet eingetroffen sind. „Wenn man für mittags Regen vorhergesagt hat und sich schon am Morgen alles abregnet, ärgert man sich ein Loch ins Knie“, sagt der Meteorologe und DWD-Sprecher Gerhard Lux.

Vom Keller bis zum sechsten Stock dreht sich hier alles um Wetter und Klima. Knapp 900 Mitarbeiter beschäftigt der DWD in Offenbach und rund 1500 in den Außenstellen. Bei Unwetterwarnungen, die in kurzen Abständen herauskommen, etwa während des Orkans „Xaver“, sind allein im obersten Stock alle zwölf Arbeitsplätze mit je vier bis sechs Bildschirmen besetzt. Dann gehen Warnungen manchmal im Sekundentakt heraus. Hier ist die Vorhersage- und Beratungszentrale – die „Seele des Wetterdienstes“, wie sie beim DWD heißt.

In der ersten Reihe sitzt gerade Dorothea Paetzold. Sie und ihre Kollegen erstellen mehrmals täglich aus der Flut an Temperatur-, Wind- und Luftdruckdaten die Wetterkarten. Auf einem Tisch liegt eine säuberlich per Bleistift gezeichnete Karte, daneben ein Radiergummi. Einzelne Meteorologen arbeiten gerne mit Stift und Papier, vor allem um sich zu Beginn ihrer Schicht in die aktuelle Wetterlage einzuarbeiten. In der Regel aber geschieht alles am Computer.

Früher hat die Diplom-Meteorologin den Menschen in Deutschland das Wetter nach den Abendnachrichten erklärt. „Heute gibt es viel mehr private Anbieter“, sagt Paetzold. Jeder möchte das Wetter auf seine eigene Art präsentieren und hat eigene Abteilungen dafür. Allein an einem Wetterbericht für die „Tagesschau“ arbeiten nach Auskunft des zuständigen Hessischen Rundfunks ein Redakteur, ein Meteorologe und zwei Grafiker. Sie nutzen vor allem die Daten des DWD, aber auch die von amerikanischen, englischen und europäischen Diensten.

Ein Loch ins Knie müssen sich die Meteorologen nicht mehr so oft ärgern: Die Vorhersagen sind sehr präzise geworden. „Die Temperatur für den kommenden Tag trifft der DWD zu 90 bis 95 Prozent richtig“, sagt Detlev Majewski, der Vorhersageprogramme entwickelt. Allerdings lasse der DWD dabei eine Spanne von plus/minus zwei Grad gelten. Für die meisten Kunden ist das eine ausreichende Genauigkeit. „Kritisch wird es natürlich um den Gefrierpunkt herum, vor allem für Autofahrer oder Gärtner.“


Der Supercomputer im Keller

Die Genauigkeit der Prognose für den nächsten Tag sei 1968 so gut gewesen wie heute für den sechsten Vorhersagetag, erläutert Majewski. „Als Kind konnte man sein Wochenende kaum vor Freitag planen, heute geht das schon ab Montag oder Dienstag.“ Inzwischen lasse sich eine Vorhersage bis zum 7. Tag relativ genau berechnen. Das liege unter anderem an den Satellitendaten und der zunehmenden Computerleistung.

„Den größten Sprung aber gab es, als wir 1990 meteorologische Daten aus der Südhalbkugel mit in unsere Wettervorhersage aufgenommen haben.“ Zuvor seien nur Wetterdaten der Nordhalbkugel in die Vorhersage für Deutschland eingeflossen. Für bis zu 15 Tage im Voraus lasse sich derzeit ein recht guter Trend erstellen.

In die Wettervorhersage fließen neben den Satelliteninformationen Tausende weiterer Daten ein: Auf den Ozeanen schwimmen 750 Messbojen. Rund 3000 Handelsschiffe haben eine Bordwetterstation, ebenso viele Verkehrsflugzeuge sind mit Messinstrumenten ausgestattet. Darunter sind fast alle Maschinen der Lufthansa, die wiederum von den Windvorhersagen des DWD profitiert, indem sie die optimalen Flugrouten daraus berechnet. Rund 1800 ehrenamtlich und 180 hauptamtlich betreute Wetterstationen hat der DWD allein in Deutschland.

Der DWD arbeitet zudem mit rund 190 nationalen Wetterdiensten anderer Staaten zusammen und erhält auch Vorhersagen vom Europäischen Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersage in der britischen Stadt Reading. „Den Austausch der Wetterbeobachtungen müssen wir in Minuten schaffen“, sagt Detlev Frömming, Leiter Internationale Angelegenheiten. „Ein Drittel aller DWD-Wissenschaftler arbeitet in internationalen Arbeitsgruppen.“ Der Informationsaustausch habe immer gut funktioniert – auch über den Kalten Krieg hinweg.

Alle Daten landen im Supercomputer im Keller der DWD-Zentrale: Ohrenbetäubender Lärm auf 1000 Quadratmetern Fläche, alles verbunden durch 50 Kilometer Kabel, etwa 40 Mitarbeiter machen Schichtbetrieb rund um die Uhr. Die Schränke ragen weit über die Menschen hinaus. 20 Millionen Daten verarbeitet der „Kopf der Wettervorhersage“ täglich.

Gewitterprognosen sind besonders anspruchsvoll

Etwas leiser soll es im Sommer dieses Jahres werden, wenn der neue Rechner XC30 des US-Unternehmens Cray den alten komplett abgelöst hat. Er soll eine Spitzenleistung von zweimal 550 Billionen Multiplikationen pro Sekunde erreichen – laut DWD eine Kapazität von mehr als 30 .000 üblichen PCs. Vor allem aber ist er kleiner, leiser und benötigt weniger Energie.

Das Computerprogramm für die globale Wettervorhersage überziehe die Erde mit einem Gitter aus Dreiecken von 20 Kilometer Seitenlänge und das in 60 Stockwerken vom Boden bis in 36 km Höhe, erläutert Wetterprofi Majewski. „Das sind 88 Millionen Punkte weltweit, an denen wir die Wettervorhersage berechnen.“

Für diese erstellt der Computer aus den hereinfließenden Daten jeweils acht Grundwerte, unter anderem für Druck, Temperatur, Feuchte und Wind. Daraus wiederum entstehen Aussagen über Regen oder Nebel. In Deutschland ist das Netz mit einer Seitenlänge von 2,8 Kilometer viel dichter, um auch kleinräumige Gewitterwolken zu erfassen.

Insbesondere bei sommerlichen Gewitterlagen ändert sich die Vorhersage rasch. „Denn eine Gewitterzelle bildet um sich herum wieder neue, deren genauer Ort nur schwer zu ermitteln ist“, sagt Majewski. „Der Niederschlag produziert Kaltluft. Die breitet sich bodennah um ein Gewitter herum aus und schiebt sich unter die wärmere Luft.“ Wenn kalte Luft auf warme Luft trifft, entstehen oft neue Gewitterzellen. „Das ist ein Prozess, der im Prinzip chaotisch abläuft. Die kleinsten Unterschiede in der Ausgangssituation führen schon nach kurzer Zeit zu einem riesigen Effekt.“


2,70 Euro kosten jeden Bundesbürger das Wetter

Achtmal pro Tag erstellt der Supercomputer für jeden Gitterpunkt in Deutschland neue Daten für die jeweils kommenden 27 Stunden. Wenigstens alle drei Stunden gibt es daher eine neue kurzfristige Wettervorhersage. Ganz schwierig sei Nebel zu berechnen, ergänzt Lux. „Wann genau der sich auflöst, ist manchmal kaum vorherzusagen.“ Auch die Wassermenge in den Wolken sei nur schwer abzuschätzen und ebenso die Menge, die unten ankomme. Vieles verdunstet auf dem Weg.

Auch Smartphone-Apps erhalten Daten aus dem DWD-Computer – manchmal auf dem Umweg über private Anbieter. Nach Angaben der Stiftung Warentest vom vergangenen August schnitten von acht untersuchten Produkten die Apps „Wetter.info“ und „WeatherPro“ bei den Wettervorhersagen am besten ab. Allerdings verbreiten laut Stiftung fast alle Apps nicht nur Wetterdaten, sondern sammeln weitgehend unbemerkt Daten des Nutzers und geben sie zum Teil weiter.

„Der Unterschied in ihrer Genauigkeit kommt auch zustande, weil sie unsere Daten verschieden häufig pro Tag abrufen“, sagt Datenmodellierer Majewski. Bevor er bei schlechtem Wetter elf Kilometer am Main entlang heimradelt, fragt er nicht seine Kollegen, sondern nutzt die Wetter-App „Regenradar“. Die zeigt ihm die Regenwolken über Deutschland, und wohin sie in den kommenden zwei Stunden ziehen sollen.

Einigen Wind in die Wettervorhersage brachte 1990 Jörg Kachelmann mit seinem Unternehmen Meteomedia. Seit September firmiert es unter dem Dach der Meteogroup, dem nach eigenen Angaben europaweit größten privaten Wetterdienst. Die deutsche Meteogroup habe zusammen mit Meteomedia 140 Mitarbeiter und könne wie alle privaten Anbieter auch auf die zum Teil kostenpflichtigen Daten und Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes zurückgreifen, sagt der Geschäftsführer von Meteogroup Deutschland, Dennis Schulze. „Das ist eine wichtige Grundlage.“ Zusammen mit Daten internationaler Wetterdienste produzieren die Mitarbeiter eigene Wetterprognosen.

„Die Vorhersagen der großen Wetterdienste weichen nicht besonders stark voneinander ab, denn sie haben ja im Grunde genommen die gleichen Grundlagen“, sagt Eberhard Reimer, Meteorologe der Freien Universität Berlin, mit Blick auf die Daten und Rechenmodelle. Er selbst nutzt Daten des DWD und Schadstoffmessungen des Umweltbundesamtes zur Vorhersage von Ozonwerten am Boden.

Etwa 2,70 Euro an Steuergeld pro Jahr kosten jeden Bundesbürger die vom DWD verbreiteten Vorhersagen, inklusive der Warnungen vor einem Orkan und anderem Extremwetter. Neben seinem Netz von rund 2000 Messstellen beobachtet der DWD zudem an über 1300 Stellen in Deutschland die Blüh- und Wachstumsphasen vieler Pflanzenarten. Er erstellt auch Klimaprojektionen für einzelne Bereiche großer Städte und auch für den Weltklimabericht.

Der DWD bekämpft die globale Erwärmung

„Die Temperatur ist in Deutschland seit 1881 um 1,2 Grad angestiegen“, sagt der Leiter der Klima- und Umweltberatung, Tobias Fuchs. Das ist mehr als im Weltdurchschnitt von 0,85 Grad. Die Apfelbäume blühen heute im Schnitt 14 Tage früher als noch vor 50 Jahren. Im Winter fällt im Mittel 20 Prozent mehr Niederschlag als in den letzten Jahrzehnten. Für Deutschland sieht Fuchs die Klimafolgen dennoch nicht ganz so dramatisch wie andernorts.

Der DWD berät auch Politiker, damit sich Städte und Regionen an den Klimawandel anpassen können. Künftig könne es im Sommer häufiger passieren, dass durch große Flüsse zu wenig Wasser für die Schifffahrt fließe, was beispielsweise Folgen für den Kohletransport zu Kraftwerken haben könne, sagt Fuchs. Abflussrohre könnten andererseits angesichts zu erwartender Extremniederschläge im Schnitt einen zu geringen Durchmesser haben. „Im Baugesetzbuch ist der Klimawandel derzeit noch nicht explizit berücksichtigt“, meint Fuchs.

Der DWD selbst setzt der Erderwärmung etwas entgegen: Sein 2008 bezogener Neubau verzichtet weitgehend auf Klimaanlagen, lässt im Sommer durch automatisch gesteuerte Fenster die Nachtkühle herein und tagsüber die Jalousien herunter. Zugleich ist er optimal gedämmt und nutzt teilweise die Abwärme des Großrechners. Der neue Computer benötigt nur noch 25 Prozent so viel Strom wie der alte. Und die Mitarbeiter haben dem DWD auf ihrem Weg zur Arbeit schon den Titel „Fahrradaktivster Betrieb“ in Hessen beschert. 

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