WirtschaftsWoche: Herr Speer, mitten in der Wüste von Abu Dhabi wird seit 2008 an einer Ökostadt gebaut. Das Ziel von Masdar-City heißt: kein Kohlendioxid, kein Abfall, keine Autos. Sieht so die Zukunft unserer Städte aus?
Albert Speer: Nein, bestimmt nicht. Das große Problem an Projekten wie Masdar oder anderen Null-Emissions-Städten ist, dass sich eine nachhaltige, auf alternative Energien setzende Stadt in diesen Regionen überhaupt nicht rechnet. Und zwar nicht annähernd.
Also Spinnerei statt Vorbild?
Nein, das ist keine Spinnerei. Diese Städte sind hervorragend geplant. Aber Masdar kommt nicht auf die Beine, weil die fossilen Energiepreise staatlich so runtersubventioniert werden, dass sich der Betrieb finanziell nicht auszahlt. Wer an den Spritpreisen dreht, riskiert in diesen Ländern einen Volksaufstand. Die Planung ist eine Sache, aber Sie müssen so eine Stadt ja auch 50 und mehr Jahre zu akzeptablen Bedingungen am Laufen halten können. Und da ist es völlig egal, ob Sie sich in kommunistischen oder demokratischen Systemen bewegen.
Zur Person
Prof. Albert Speer zählt weltweit zu den angesehensten Stadtplanern und Architekten. Sein Architekturbüro AS&P (Albert Speer & Partner) entwickelt Konzepte für das Leben von morgen, etwa in Megacitys in China, dem arabischen Raum und in Afrika. Speer wurde 1934 als Sohn des gleichnamigen NS-Architekten und Rüstungsministers geboren, der später zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Bevor er sich der Planung von Städten zuwandte, absolvierte Speer eine Schreinerlehre und ein Studium der Architektur an der Technischen Hochschule München. 1964 gründete der heute 80-Jährige sein eigenes Architekturbüro, das mittlerweile 120 Mitarbeiter zählt. Er lebt zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Ingmar Zeisberg, in Frankfurt am Main.
Warum?
Weil Sie ganz einfach keinen Investor dazu kriegen, Geld rauszurücken, wenn er damit kein weiteres Geld verdienen kann. Nichts wäre einfacher, als etwa in Ägypten die Kraft der Sonne zu nutzen und Solarkraftwerke zu bauen. Aber da kriegen Sie auch keine Weltbank dazu, etwas zu finanzieren, das sich nicht rechnet.
Schon heute verbrauchen unsere Städte 75 Prozent der weltweit eingesetzten Energie und verursachen 80 Prozent der Treibhausgas-Emissionen. Allein in China sind 240 neue Städte für zig-Millionen Menschen geplant.
Die Chinesen sind die Einzigen, die allmählich beginnen, gegenzusteuern. Die drehen an der Energieschraube. Aber eben nur ganz langsam.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel hat Mao Zedong gesagt: „Wasser ist ein Nahrungsmittel und deswegen kostet es nix. Das hat dazu geführt, dass der Wasserverbrauch in Shanghai bedeutend höher ist als der Wasserverbrauch pro Kopf in Frankfurt. Jetzt drehen die Chinesen an der Preisschraube und reduzieren den Wasserverbrauch.
Sehen sie die Lage in Deutschland auch so düster?
Wir leben hier auf einer Insel der Seligen. Die Probleme, mit denen wir uns herumschlagen, liegen weit in der Komfortzone, wenn man das mit China, Ägypten oder Saudi Arabien vergleicht. Unsere Städte sind nicht so schlecht.
Trotzdem muss sich auch hier etwas ändern. Wo sehen Sie konkret Handlungsbedarf?
Wir müssen uns viel mehr um den Gebäude-Bestand kümmern. Das passiert in Deutschland nur in einem ganz geringen Umfang. Immobilien fressen hierzulande rund 40 Prozent der Energiekosten. Die Ökobilanz unserer Gebäude ist verheerend. Und trotzdem wird nur etwa ein Prozent des Wohngebäudebestandes pro Jahr energetisch aufgewertet.
Bei dem Tempo würde es hundert Jahre dauern bis alle Gebäude saniert sind.
Richtig. Aber diese hundert Jahre haben wir nicht. Deswegen zeigen wir etwa in Bottrop, wie die Wende gelingen könnte.
Bis 2020 sollen in Bottrop die CO2-Emissionen in einem Pilotgebiet, das 70.000 Einwohner umfasst, halbiert werden. Sie haben dafür den Masterplan entwickelt. Ist das überhaupt realistisch?
Ja, das glaube ich schon. Bottrop ist deswegen so ein schönes Beispiel, weil etwas im Gebäudebestand einer ganz normalen Stadtstruktur passiert, wie sie viele mittelgroße Städte in Deutschland haben. Im Kern geht es darum, die Gebäude-Eigentümer und all jene, die im Einzugsgebiet wohnen, zu animieren. Sie müssen von selbst Sanierungen vorantreiben und damit die Betriebskosten sowie die Kohlendioxid-Emissionen senken. Schon jetzt haben wir in den zwei Jahren seit Start die Sanierungsquote verdoppelt. Die persönliche Ansprache der Bürger ist notwendig und sehr erfolgreich.
Wie wirtschaftlich das Ganze ist, muss allerdings bezweifelt werden. Das Projekt wird stark subventioniert. Bis zu 25 Prozent der Sanierungskosten trägt das Land Nordrhein-Westfalen.
Wenn das einmal richtig anspringt, ist das garantiert wirtschaftlich. Und wir haben dazu keine Alternative. Weiterhin Energiesparhäuser oder Energieplushäuser auf die grüne Wiese zu setzen, ist keine Lösung. Das ist genau das Falsche. Denn diese sind teils noch viel höher subventioniert.
Freiburg als Vorbild der Nachhaltigkeit
Wird zu viel neu gebaut und zu wenig saniert?
Ja klar. Hundertprozentig. Von ganz wenigen Ausnahmen in Deutschland abgesehen, sollten wir überhaupt nicht mehr auf die grüne Wiese bauen. Bei uns ist eigentlich alles vorhanden. Trotzdem verschwinden hier jährlich knapp 380 Quadratkilometer Landschaft unter Vorstädten und Straßen – pro Tag eine Fläche so groß wie das Frankfurter Europaviertel. Das ist energetisch schlecht, schlecht für die Umwelt und raubt uns jene Flächen, die wir für die Landwirtschaft oder zur Naherholung dringend brauchen würden.
Sie halten wohl nicht viel davon, die Agrarwirtschaft in Städten in Multifunktionshäuser zu verlagern oder Flächen auf Hochhausdächern und Wänden für die Landwirtschaft zu nutzen?
Das wäre ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich würde diese Möglichkeit für bestimmte Situationen in China oder Vietnam überhaupt nicht ausschließen. Aber das wird’s in der Masse nicht bringen. Damit lässt sich garantiert keine autarke, von Lebensmittelimporten unabhängige Stadt etablieren.
Kennen Sie überhaupt eine nachhaltige Stadt, die diesen Namen auch verdient?
Freiburg gilt in Deutschland als Paradebeispiel. Die sind da auch am weitesten, allein schon was Energieeffizienz angeht. Aber auch die Münchner und die Frankfurter unternehmen riesige Anstrengungen. Wenn Sie etwa um die Alte Oper in Frankfurt einen Kreis von einem Kilometer ziehen, dann finden sie dort alles, was eine Stadt lebenswert und nachhaltig macht. Vom sozialen Wohnungsbau, über Erholungsräume, über Dienstleistungen, über Kultur und den öffentlichen Nahverkehr ist dort alles fußläufig erreichbar.
Großstädte wie Frankfurt, Hamburg oder Berlin boomen. Viele kleinere Städte, vor allem im Osten, schrumpfen dagegen massiv. Wie können Städte wie Halle wieder attraktiv werden?
Die Konkurrenz der Städte untereinander zwingt alle dazu, über ihre Alleinstellungsmerkmale nachzudenken. Kopenhagen macht das zum Beispiel hervorragend. Das ist die Fahrradhauptstadt der Welt. Dieses Image ist nicht von heute auf morgen entstanden. Und es gibt ja auch in Ostdeutschland Beispiele, wo kleinere Städte mit einer sehr aktiven Bürgerschaft die Wende schaffen, den Bevölkerungsrückgang aufhalten und ein bescheidenes Wachstum generieren. Wir unterstützen beispielsweise die Stadt Chemnitz erfolgreich bei ihrem Vorhaben, Aufwertungsmaßnahmen zur Wiederbelebung und Reaktivierung von Innenstadt-Quartieren zu planen. Dafür braucht es aber kluge Konzepte.
Stichwort Bürger: Braucht die Stadt der Zukunft mehr Bürgerbeteiligung?
Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Baupolitik, sowohl in den Kommunen, den Ländern als auch im Bund, nicht nah genug an den Bürgern dran ist. Bei großen Projekten wie Stadtplanungen werden die Fehler meist am Anfang gemacht. Wer sich nicht schon zu Beginn mit den Argumenten der potentiellen Gegner auseinandersetzt, riskiert Entwicklungen wie bei Stuttgart 21.
Wie ließe sich das denn verhindern?
Zum Beispiel durch eine fachlich begleitete Bürgerbeteiligung. Das muss man entsprechend organisieren, manchmal auch provozieren. Bei einer Bürgerversammlung in Rheinland-Pfalz sind zum Beispiel nur zehn Leute gekommen. Dann habe ich in der lokalen Presse lanciert, wir machen die gesamte Innenstadt für den Individualverkehr zu. Das nächste Mal war die Bürgerversammlung voll. Aber auch die Architekturstudenten lernen – anders als in den USA – nirgends, wie man solche öffentlichen Diskussionen orchestriert.
Ihr Kollege Meinhard von Gerkan hält Bürgerbeteiligung für eine grauenvolle Vorstellung. Die Verantwortung für Steuergelder dürfe nicht bei Laien liegen.
Das ist Quatsch. Die Verantwortung bleibt doch bei den Politikern. Bürgerbeteiligung hat mit Verantwortung für öffentliche Gelder gar nichts zu tun.
Also dürfen die Bürger nur mitreden, aber nicht mitentscheiden?
So simpel ist es Gott sei Dank nicht. Letzten Endes befinden wir uns in einer repräsentativen Demokratie. Das heißt: Die Entscheidung, ob man das jetzt nach Variante A oder nach Variante B macht, liegt in der Verantwortung der jeweiligen Parlamente.
Katar setzt auf grünes Gewissen
Herr Speer, das ist Augenauswischerei. Demnach spielt es überhaupt keine Rolle, was die Bürger wollen.
Wenn wir das so sehen würden, hätten wir Schauspieler werden müssen. Natürlich müssen wir die Wünsche der Bürger ernst nehmen. Über ein konkretes Projekt können Sie die Bürger abstimmen lassen, aber nicht über ein Konzept, wie den Masterplan für eine Stadt. Das ist zu abstrakt. In München haben wir zum Beispiel die Leute über den Bau der Allianz-Arena abstimmen lassen. Das war richtig gut organisiert, es gab einen eigenen Wahlkampf. Schlussendlich waren 60 Prozent dafür und wir haben das Stadion gebaut.
Weil wir schon beim Thema Fußball sind: Sie haben acht Stadien für die Bewerbung von Katar zur Fußball-WM 2022 entworfen. Wie passt ihr Engagement in Katar oder Auto-Städte, die Sie in China gebaut haben, eigentlich zu ihrem Image als grünes Gewissen der Architekturszene?
Das passt gut zusammen, wenn man’s richtig macht. In Katar wie in China haben wir Konzepte entwickelt, bei denen die Nachhaltigkeit im Vordergrund steht. Wir haben kein Stadion entworfen, das nicht entweder komplett rückbaubar oder teilweise rückbaubar wäre. Wir haben Systeme entwickelt, die die Stadien energieeffizient herunterkühlen. Und zwar ausschließlich mit Solarenergie. Und die Katarer haben versprochen, den Transport der Sporteinrichtungen nach der WM in ärmere Länder zu finanzieren, wo diese Stadien weitergenutzt werden können.
Katar steht wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Würden Sie angesichts dessen nochmal für das Emirat tätig werden?
Natürlich. Wir sind nach wie vor in Katar, in Saudi-Arabien, in Ägypten oder in Nigeria tätig. Ich finde es aber gut, dass die Medien die Problematik der Gastarbeiter im arabischen Raum im Rahmen der Berichterstattung über die Weltmeisterschaft in Katar beleuchten.
Was entgegnen Sie Ihren Kritikern, die Ihnen vorhalten, dass Sie sich zum Steigbügelhalter von autoritären Machthabern machen lassen?
Ich wehre mich heftig gegen solche Vorwürfe. Erstens wird unser Einfluss maßlos überschätzt. Mit der politischen Ebene in diesen Ländern habe ich als Planer wenig Kontakt. Zweitens bauen wir weder Militärbasen noch überflüssige Paläste. Wir bauen für die Menschen vor Ort. Also habe ich auch überhaupt kein schlechtes Gewissen, mich da zu engagieren. Das was wir da machen, ist nachhaltige Planung und die hilft den Leuten. Ich finde es überheblich und anmaßend, wenn wir aus deutscher Sicht, den Katarern, den Saudis oder den Chinesen vorschreiben wollen, wie sie ihre gesellschaftlichen Strukturen zu organisieren haben.
Sind denn die Projekte im arabischen Raum lukrativer als jene in Deutschland?
Nein, beides trägt sich geradeso. Reich ist noch keiner von uns geworden.
Sie sind im Sommer 80 geworden, haben ihr 50-jähriges Firmenjubiläum gefeiert: Haben Sie keine Lust, die Arbeit einmal hinter sich zu lassen?
Nein, solange ich gesund, auf den Beinen und engagiert bei der Sache bin, sehe ich da keinen Grund. Und wenn auch die nächste Generation noch nicht sagt: „Von dem alten Kerl können wir sowieso nix mehr lernen und den wollen wir hier nicht mehr sehen“, sehe ich auch keinen Hinderungsgrund, mich weiter einzubringen. Das macht mir Spaß.
Ihr Vater war sozusagen Hitlers persönlicher Architekt, später auch Rüstungsminister. Denken Sie, Ihre Karriere wäre anders verlaufen, wenn sie beschlossen hätten, Ihren Namen zu ändern?
Also auf den Gedanken bin ich überhaupt nie gekommen.
Wirklich? Anfangs haben Sie doch nur bei anonymen Architektur-Wettbewerben teilgenommen.
Ja, das waren aber auch damals die einzigen Chancen für junge Leute, um den Start in die Selbstständigkeit hinzukriegen. Das hatte mit dem Namen Speer überhaupt nix zu tun. Mit einer Namensänderung erreichen Sie auch nix. Geschichte können Sie nicht vergessen machen.
Herr Speer, vielen Dank für das Gespräch.