Albert Speer "Die Ökobilanz unserer Gebäude ist verheerend"

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Freiburg als Vorbild der Nachhaltigkeit

Wird zu viel neu gebaut und zu wenig saniert?

Ja klar. Hundertprozentig. Von ganz wenigen Ausnahmen in Deutschland abgesehen, sollten wir überhaupt nicht mehr auf die grüne Wiese bauen. Bei uns ist eigentlich alles vorhanden. Trotzdem verschwinden hier jährlich knapp 380 Quadratkilometer Landschaft unter Vorstädten und Straßen – pro Tag eine Fläche so groß wie das Frankfurter Europaviertel. Das ist energetisch schlecht, schlecht für die Umwelt und raubt uns jene Flächen, die wir für die Landwirtschaft oder zur Naherholung dringend brauchen würden.

Sie halten wohl nicht viel davon, die Agrarwirtschaft in Städten in Multifunktionshäuser zu verlagern oder Flächen auf Hochhausdächern und Wänden für die Landwirtschaft zu nutzen?

Das wäre ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich würde diese Möglichkeit für bestimmte Situationen in China oder Vietnam überhaupt nicht ausschließen. Aber das wird’s in der Masse nicht bringen. Damit lässt sich garantiert keine autarke, von Lebensmittelimporten unabhängige Stadt etablieren.

Share Economy im Selbstversuch
Matthias Streit und Lisa Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Matthias Streit Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Lisa Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Vegane Roulade mit Rotkraut und Klößen Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Lisa und Matthias Streit Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Matthias Streit Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche
Wörterbuch Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche

Kennen Sie überhaupt eine nachhaltige Stadt, die diesen Namen auch verdient?

Freiburg gilt in Deutschland als Paradebeispiel. Die sind da auch am weitesten, allein schon was Energieeffizienz angeht. Aber auch die Münchner und die Frankfurter unternehmen riesige Anstrengungen. Wenn Sie etwa um die Alte Oper in Frankfurt einen Kreis von einem Kilometer ziehen, dann finden sie dort alles, was eine Stadt lebenswert und nachhaltig macht. Vom sozialen Wohnungsbau, über Erholungsräume, über Dienstleistungen, über Kultur und den öffentlichen Nahverkehr ist dort alles fußläufig erreichbar.

Großstädte wie Frankfurt, Hamburg oder Berlin boomen. Viele kleinere Städte, vor allem im Osten, schrumpfen dagegen massiv. Wie können Städte wie Halle wieder attraktiv werden?

Die Konkurrenz der Städte untereinander zwingt alle dazu, über ihre Alleinstellungsmerkmale nachzudenken. Kopenhagen macht das zum Beispiel hervorragend. Das ist die Fahrradhauptstadt der Welt. Dieses Image ist nicht von heute auf morgen entstanden. Und es gibt ja auch in Ostdeutschland Beispiele, wo kleinere Städte mit einer sehr aktiven Bürgerschaft die Wende schaffen, den Bevölkerungsrückgang aufhalten und ein bescheidenes Wachstum generieren. Wir unterstützen beispielsweise die Stadt Chemnitz erfolgreich bei ihrem Vorhaben, Aufwertungsmaßnahmen zur Wiederbelebung und Reaktivierung von Innenstadt-Quartieren zu planen. Dafür braucht es aber kluge Konzepte.

Stichwort Bürger: Braucht die Stadt der Zukunft mehr Bürgerbeteiligung?

Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Baupolitik, sowohl in den Kommunen, den Ländern als auch im Bund, nicht nah genug an den Bürgern dran ist. Bei großen Projekten wie Stadtplanungen werden die Fehler meist am Anfang gemacht. Wer sich nicht schon zu Beginn mit den Argumenten der potentiellen Gegner auseinandersetzt, riskiert Entwicklungen wie bei Stuttgart 21.

Wie ließe sich das denn verhindern?

Zum Beispiel durch eine fachlich begleitete Bürgerbeteiligung. Das muss man entsprechend organisieren, manchmal auch provozieren. Bei einer Bürgerversammlung in Rheinland-Pfalz sind zum Beispiel nur zehn Leute gekommen. Dann habe ich in der lokalen Presse lanciert, wir machen die gesamte Innenstadt für den Individualverkehr zu. Das nächste Mal war die Bürgerversammlung voll. Aber auch die Architekturstudenten lernen – anders als in den USA – nirgends, wie man solche öffentlichen Diskussionen orchestriert.

Ihr Kollege Meinhard von Gerkan hält Bürgerbeteiligung für eine grauenvolle Vorstellung. Die Verantwortung für Steuergelder dürfe nicht bei Laien liegen.

Das ist Quatsch. Die Verantwortung bleibt doch bei den Politikern. Bürgerbeteiligung hat mit Verantwortung für öffentliche Gelder gar nichts zu tun.

Also dürfen die Bürger nur mitreden, aber nicht mitentscheiden?

So simpel ist es Gott sei Dank nicht. Letzten Endes befinden wir uns in einer repräsentativen Demokratie. Das heißt: Die Entscheidung, ob man das jetzt nach Variante A oder nach Variante B macht, liegt in der Verantwortung der jeweiligen Parlamente.

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