Atommüll-Endlager Gorleben "Ich bin relativ desillusioniert"

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"Politiker denken in Wahlperioden"

Rechnet man da in Jahrhunderten oder Jahrtausenden?

Im Augenblick ist die Vorstellung in Deutschland, dass die Einlagerung etwa 100 Jahre dauert. Die Behälter sollen weitere 500 Jahre zu bergen sein – falls doch noch jemand eine bessere Idee hat, was man mit dem Atommüll anfangen kann oder Probleme bei der Lagerung auftreten.

Seit über 30 Jahren streiten die politischen Akteure über Gorleben. Sehen Sie einen Schuldigen dafür, dass bis heute keine Einigung erzielt wurde, wie Deutschland mit dem Atommüll verfahren will?

Die Probleme mit dem Atommüll sind weitaus größer, als diejenigen sich das ausmalten, die mit großer Euphorie in die Atomenergie eingestiegen sind. Zudem muss man einfach sehen: Die Parteipolitik hat immer ein Problem mit Fragestellungen, die sich auf so lange Zeiträume beziehen. Ein Politiker will alle vier Jahre wiedergewählt werden – wir haben mit Müll zu tun, der eine Million Jahre strahlt. Das betrifft Leute, die noch gar nicht geboren wurden und deshalb bei Wahlen nicht mit abstimmen.

Chronik der Atomkraft in Deutschland
AKW Lubmin Quelle: dpa
Harrisburg Quelle: dapd
AKW Grundremmingen Quelle: dpa/dpaweb
AKW Krümmel Quelle: dpa
Tschernobyl Quelle: dpa
1987: Inbetriebnahme AKW Mülheim-Kärlich1988: Stilllegung AKW Mülheim-Kärlich, Inbetriebnahme AKWs Emsland, Isar 21989: Der Chef des E.On-Vorgängers Veba Rudolf von Bennigsen-Foerder stoppt den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe in Wackersdorf. Mehr als 30.000 Demonstranten liefen gegen den Bau Sturm. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Am 31.Mai wurde der bis dahin etwa 10 Milliarden DM teuer Bau eingestellt. Am 6. Juni unterzeichneten Deutschland und Frankreich Verträge über eine gemeinsame Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague.Urheber des Bildes: Wikida Quelle: Creative Commons
Fässer mit Resten aus dem AKW Rheinsberg Quelle: dpa/dpaweb

Demokratische Parteien denken zu kurzfristig?

Politiker denken in Wahlperioden. Deswegen zielen sie auf kurzfristige Erfolge ab. Die Folge: Der Atommüll wurde irgendwo ins Bergwerk Asse gekippt. Für eine Legislaturperiode ist das eine Lösung. Zehn Jahre später merkt man, es hat nicht funktioniert.

In dem niedersächsischen Bergwerk erprobte die Regierung zwischen 1967 und 1978 die Endlagerung.

Dort wurde schwach radioaktiver Atommüll eingelagert. Inzwischen dringt dort Wasser ein, das nun radioaktiv belastet ist.

Mittlerweile hat die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet. Stellen Sie auch in der Frage der Atommüllpolitik einen Wandel fest?

Es sind immer noch neun Atomkraftwerke am Netz – Deutschland ist der zweitgrößte Atomstromproduzent in der EU. Ein Neustart – auch in der Atommüllpolitik – wurde versprochen. Es war die Rede von Transparenz und Beteiligung der Betroffenen. Doch jetzt läuft nichts anders als vorher. Ich bin relativ desillusioniert.

Zumindest wurde eine Endlagerkommission gegründet, in der nicht nur politische Akteure vertreten sind.

Es sitzen dort auch Wissenschaftler, Vertreter der Atomwirtschaft, der Kirchen und von Verbänden . Aber die Kommission wird von den Berliner Parteien dominiert. In der Kommission sitzen viele, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Gorleben als Endlager durchzusetzen. Ich befürchte, dass die Art, wie die Kommission arbeitet, den gesellschaftlichen Streit nicht löst.

Selbst wenn die Kommission einen neuen Standort finden würde – die Bevölkerung dort hätte wieder nicht das Gefühl, dass sie an der Entscheidung beteiligt und ehrlich behandelt wird, was die Risiken angeht. Man hätte den gleichen Konflikt wie in der Vergangenheit.

Wie könnte man diesen Streit lösen? Niemand will doch gerne ein Atommülllager vor seiner Haustür haben.

Die Regierung muss die Betroffenen von Anfang an mit einbeziehen und ihre Sorgen ernst nehmen. Wenn eine bestimmte Region die Risiken für alle anderen in Kauf nimmt, dann muss das Sicherheitsinteresse dieser Leute ernstgenommen werden. Solange das nicht ernsthaft angegangen wird, kommt man nicht voran.

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