Nun ist der Geist aus der Flasche. Zwar beteuern alle politischen Instanzen, vom Bundesumweltministerium bis zur Opposition, dass man die radioaktiven Abfälle aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse II bergen wolle. Doch das hehre Versprechen gerät zunehmend in Widerspruch zur Realität: Anders als ihre Vorgesetzten in der Öffentlichkeit reden die zuständigen Experten intern längst darüber, warum die gigantische Operation "Rückholung" wohl ist, was einzelne Kritiker immer gemutmaßt haben – Wunschdenken.
Alles in Ordnung
Offen zu äußern wagt das allerdings niemand. Denn damit würde einer der größten Konflikte im Umgang mit der Kernkraft, den Deutschland je erlebt hat, wieder aufbrechen; ja die Verantwortlichen müssten riskieren, eine ganze Region in die offene Rebellion zu treiben. Die Einwohner des Landkreises Wolfenbüttel haben ohnehin das Gefühl, dass man sie über Jahrzehnte an der Nase herumgeführt hat. Immer wieder hörten sie: alles in Ordnung – auch als in der Asse längst nichts mehr in Ordnung war.
Die Probleme mit dem Bergwerk Asse
Zehn Kilometer südöstlich von Wolfenbüttel wird 1906 der erste Schacht des Bergwerks Asse in die Tiefe getrieben. 1964 endet die Förderung von Steinsalz aus wirtschaftlichen Gründen. Im selben Jahr wird die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) in München gegründet. Sie kauft im Auftrag des Bundes die Schachtanlage für umgerechnet etwa 45.0000 Euro. 1965 wird die Asse vom Salz- zum Forschungsbergwerk erklärt.
Von 1967 an erforscht die GSF die Eignung der Asse als Atommülllager. Zugleich werden in der Schachtanlage in Niedersachsen schon leicht- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert. Bis zum Ende der Einlagerung 1978 sind es 126.000 Fässer mit leicht radioaktivem Material in mehr als 700 Metern Tiefe und 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Material in 511 Metern Tiefe.
1988 entdeckt man erstmals, dass ins sogenannte Versuchsendlager Asse Salzlauge einsickert. Die Öffentlichkeit wird darüber nicht informiert. 1995 läuft die Forschung in der Asse aus. Im selben Jahr wird die Helmholtz-Gemeinschaft gegründet, deren Mitglied die GSF ist. Im August 1998 wird ein täglicher Zufluss von elf Kubikmetern Lauge gemessen.
Seit 2005 eskaliert der Streit um die Asse. 2008 wird unter Tage radioaktiv strahlendes Cäsium-137 gemessen. Dem Helmholtz-Zentrum entzieht man die Aufsicht. Seit dem 1. Januar 2009 ist das Bundesamt für Strahlenschutz verantwortlich für die Asse. Am 15. Januar 2010 empfiehlt das Bundesamt, den radioaktiven Müll aus dem Bergwerk zu holen.
Dialog und Bürgerbeteiligung
Bereits in den sechziger Jahren, als das "Versuchsendlager" angeblich noch erkundet wurde, begann dort klammheimlich die Einlagerung. Heute weiß man, dass unter den Äckern in 500 bis 700 Meter Tiefe mehr als 120.000 Fässer mit radioaktiven Abfällen ruhen. Verschwiegen wurde zunächst auch der Einbruch von Wasser in die Asse. Zwar droht seitdem die Gefahr, dass das marode Bergwerk irgendwann mit großen Mengen Salzlauge vollläuft – und die Fässer durchrosten. Doch erst 2008, nachdem unter Tage auch radioaktives Cäsium-137 gemessen wurde, was als Indiz für bereits beschädigte Atommüllfässer gilt, entzog die Bundesregierung dem zuständigen Helmholtz-Zentrum die Aufsicht und übertrug sie dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).
Dessen Präsident Wolfram König versucht seither, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Mit viel Dialog und Bürgerbeteiligung will er die Sünden der Vergangenheit ausbügeln. Und die misstrauischen Bürgerinitiativen wollen vor allem eines: alle Abfälle aus der Asse wieder an die Oberfläche holen. Alles andere, etwa eine "Verfüllung" der Schächte mit Betonsperren, gilt in der Region als Verrat. Damit, so die einhellige Meinung der Anwohner, solle nur wieder vertuscht werden, was im Dunkel des Salzes so alles liege.