Viele Menschen verbinden vegane Ernährung vor allem mit Verzicht, sind von aufwändigen, zeitraubenden Rezepten abgeschreckt. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe den Vorteil, dass ich gut kochen kann. Attilas Rezepte fand ich zuerst auch zu kompliziert - mittlerweile habe ich das Buch von vorn bis hinten durchgekocht. Ich bin auch kein Mensch, der länger als zehn oder zwölf Minuten in der Küche stehen mag. Ich war lange in Asien unterwegs und habe mir in der Anfangszeit vor allem viel Reis und Gemüsepfannen gemacht oder Salate gegessen. Ich arbeite überhaupt nicht mit Tofu oder anderen Ersatzprodukten. Man kann so viel machen, wenn man einfach mal mit offenen Augen durch die Gemüseabteilung im Supermarkt geht. Vegane Ernährung an sich ist überhaupt nicht kompliziert - das Problem für viele Menschen ist natürlich, dass sie nicht gelernt haben, zu kochen!
Alternative Ernährungsformen
Flexitarier sind Menschen, die gesundheitsbewusst leben und sich auch so ernähren. Für sie gibt es nicht unbedingt grundsätzliche Bedenken, Fleisch zu konsumieren. Das kommt bei Flexitariern nämlich durchaus auf den Teller - aber nur selten. Und wenn, dann stammt das Tier meist aus artgerechter Bio-Haltung, wenn möglich aus der näheren Umgebung. Flexitarier sind nämlich oft unter den sogenannten Lohas* zu finden. Neben dem Wissen, dass eine einseitig fleischlastige Ernährung für den modernen Stadtmenschen ungesund ist (und manchmal auch der zelebrierten Vorfreude auf den Sonntagsbraten als etwas Besonderem!) sind sich Flexitarier auch der Umweltschädlichkeit extensiven Fleischkonsums bewusst.
*Menschen, die einen gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil pflegen (Lifestyle of Health and Sustainability)
Freeganer zeichnen sich weniger durch strenge Regeln der Form "Das darf ich essen - das darf ich nicht essen" aus, als durch den Willen, mit dem Ort ihres Nahrungsmittelbezugs ein Zeichen zu setzen. Freeganer gehen nicht in den Supermarkt, sondern dahinter. Sie holen sich ihr Essen aus dem Müll der Supermärkte und Discounter und setzen sich damit gegen die Wegwerfgesellschaft und Lebensmittelverschwendung ein.
Frutarier pflegen eine besonders strenge Form der pflanzenbasierten Ernährung. Die Ernte der von ihnen gewählten Pflanzen(-bestandteilen) darf den Gesamtorganismus der Pflanze weder beschädigen noch seinen Tod zur Folge haben. Manche Frutarier verzehren Äpfel beispielsweise nur als Fallobst. Knollen etwa (wie Kartoffeln) sind nicht erlaubt: Sie sind der Energiespeicher der Kartoffelpflanze und daher für sie auf Dauer lebenswichtig.
Lacto-Vegetarier nehmen keine Eier zu sich. Milchprodukte dürfen neben Lebensmitteln nicht-tierischen Ursprungs aber verzehrt werden.
Ovo-Lacto-Vegetarier praktizieren eine relativ weit verbreitete und im täglichen Leben eher unkomplizierte Form des Vegetarismus. Neben rein pflanzlichen Produkten wie Obst oder Gemüse nehmen Ovo-Lacto-Vegetarier auch Eier und Milchprodukte zu sich, also Lebensmittel, für deren Gewinnung keine Tiere geschlachtet werden müssen.
Keine Milchprodukte, aber Eier (und pflanzliche Speisen) dürfen Ovo-Vegetarier zu sich nehmen. Unter anderem eine Lösung etwa für Vegetarier, die kein moralisches Problem mit dem Verzehr von Eiern haben, aber an einer Lactose-Intoleranz leiden.
Pescetarier sind Menschen, deren Ernährungsplan Fisch (je nach Ausprägung auch Weichtiere, Milch und/oder Eier) und vegetarische Kost kombiniert. Pescetarismus ist oft, wie andere alternative Ernährungsformen auch, mit einem Unbehagen der Massentierhaltung gegenüber verbunden.
Vegane Ernährung bedeutet: Weder Fisch noch Fleisch, noch Eier oder Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Stattdessen gibt es Obst und Gemüse. Für die Eiweißversorgung nutzen Veganer (wie viele andere Vegetarier übrigens auch) pflanzliche Proteine, enthalten etwa in Tofu (Sojaeiweiß) oder Seitan (Weizeneiweiß - Gluten). Strengen Veganern ist der Veganismus aber mehr als eine Ernährungsform: Sie lehnen die Nutzung von Tieren (und daher auch tierischer Produkte) ab. Das heißt für einen strengen Veganer: Neben den oben aufgezählten Produkten meidet er auch Honig und Wachsprodukte, Kosmetika mit tierischen Inhaltsstoffen sowie Leder. Wer streng vegan orientiert ist, kann im Supermarkt nicht einfach zu Fertig-Produkten greifen - oft verstecken sich in der langen Zutatenliste solcher Gerichte Milchpulver, Butterreinfett oder Hühnerei-Eiweißpulver. Ein strenger Veganer braucht daher ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen und Akribie.
Was sagen Sie zu dem weitverbreiteten Glauben, Veganismus sei genussfeindlich?
Vegane Ernährung ist einfach anders. Ich mache mir dann halt eine zerquetschte Avocado aufs Brot oder mache meinen Bohnensalat mit Tomaten und Zwiebeln an. Da braucht man einfach Mut zum Experimentieren. Man isst bewusster, langsamer und konzentrierter. Man muss bei einer pflanzlichen Kost natürlich total viel kauen, vielleicht sind Veganer deshalb schlanker (lacht). Das bedeutet auch eine Entschleunigung und einen bewussten Genuss.
Exotische Gewürze, Kräuter oder Mandelmus - ein häufiges Gegenargument von Nicht-Veganern ist, dass vegane Ernährung so wahnsinnig teuer sei. Stimmt das Ihrer Erfahrung nach?
Absolut nicht. Ich schlage immer die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich sowas höre. Manche Zutaten sind vielleicht teuer, nehmen wir etwa Mandelmus: Das Glas kostet zehn Euro. Aber drei oder vier Tiefkühlpizzen kosten auch zehn Euro. Und das Glas löffeln Sie ja nicht mit einem Mal leer, sondern geben ein bisschen davon zur Verfeinerung an die Speisen. Weil ich dieses Kosten-Argument sehr häufig gehört habe, habe ich über meine Lebensmittelausgaben auch mal Buch geführt: Ich gebe jetzt wesentlich weniger aus als früher. Wenn man auf Angebote und saisonale Gemüse achtet, kann man sehr gut sparen. Und die gleichen Leute, die sich darüber beschweren, dass vegane Ernährung so wahnsinnig teuer sein soll, treffe ich am Wochenende an der Tankstelle, wo sie sich mal eben für fünf Euro ein Fertiggericht kaufen.
Und was ist mit dem Vorwurf, dass Veganer ihre Mitmenschen für ihre Lebensweise missionieren wollen?
Sowas taucht oft in Internetforen auf, aber ich habe das Gefühl, dort benehmen sich sowieso alle schlecht. Ich möchte nicht missionieren, die Mühe mache ich mir gar nicht. Wenn jemand Fleisch essen will, soll er das tun. Die Verantwortung dafür liegt bei jedem selbst, und die kann ich anderen Menschen nicht abnehmen. Ich habe im Gegenteil oftmals eher das Gefühl, dass ich missioniert werden soll, wieder Fleisch zu essen.
In diesen Ländern leben die meisten Vegetarier und Veganer
Norwegen: 4 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Datenquelle: Statista
Niederlande: 4,5 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Australien: 5 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Schweiz: 5 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Italien: 6,7 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Brasilien: 8 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Israel: 8,5 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Deutschland: 9 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Taiwan: 10 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Indien: 40 Prozent der Bevölkerung sind Vegetarier oder Veganer
Sie haben in Ihrem Buch ein Bullshit-Bingo zusammengestellt von Vorwürfen und typischen Fragen, mit denen man als Veganer immer wieder konfrontiert wird. Was war das Haarsträubendste?
Ich war in meinem Umfeld schon als Vegetarierin exotisch - und dann wurde ich auch noch Veganerin. Die erste Frage, die man da meist hört, ist: "Was darf man denn da überhaupt noch essen?" Da frage ich mich immer, liebe Leute, habt ihr so wenig Fantasie, so wenig Ahnung von Lebensmitteln? Das ist ja eine Katastrophe! Ich habe in meinem Buch von Artischocken, Avocado und Auberginen über Lupinen bis zu Zwetschgen und Zucchini eine Liste von bestimmt 200 Lebensmitteln erstellt, die man essen und auch toll kombinieren kann, ohne tot umzufallen. Und es schmeckt herrlich!