Bettina Hennig "Veganismus war die beste Entscheidung meines Lebens"

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Genussfeindlich, teuer, zeitraubend - die größten Veganer-Mythen

Viele Menschen verbinden vegane Ernährung vor allem mit Verzicht, sind von aufwändigen, zeitraubenden Rezepten abgeschreckt. Wie war das bei Ihnen?

Ich habe den Vorteil, dass ich gut kochen kann. Attilas Rezepte fand ich zuerst auch zu kompliziert - mittlerweile habe ich das Buch von vorn bis hinten durchgekocht. Ich bin auch kein Mensch, der länger als zehn oder zwölf Minuten in der Küche stehen mag. Ich war lange in Asien unterwegs und habe mir in der Anfangszeit vor allem viel Reis und Gemüsepfannen gemacht oder Salate gegessen. Ich arbeite überhaupt nicht mit Tofu oder anderen Ersatzprodukten. Man kann so viel machen, wenn man einfach mal mit offenen Augen durch die Gemüseabteilung im Supermarkt geht. Vegane Ernährung an sich ist überhaupt nicht kompliziert - das Problem für viele Menschen ist natürlich, dass sie nicht gelernt haben, zu kochen!

Alternative Ernährungsformen

Was sagen Sie zu dem weitverbreiteten Glauben, Veganismus sei genussfeindlich?

Vegane Ernährung ist einfach anders. Ich mache mir dann halt eine zerquetschte Avocado aufs Brot oder mache meinen Bohnensalat mit Tomaten und Zwiebeln an. Da braucht man einfach Mut zum Experimentieren. Man isst bewusster, langsamer und konzentrierter. Man muss bei einer pflanzlichen Kost natürlich total viel kauen, vielleicht sind Veganer deshalb schlanker (lacht). Das bedeutet auch eine Entschleunigung und einen bewussten Genuss.

Worauf Veganer bei der Ernährung achten müssen
Vitamin B12Dieses Vitamin ist für verschiedene Prozesse im Körper sehr wichtig: Zellteilung, Bildung von roten Blutkörperchen sowie Stoffwechsel. Ein Mangel an Vitamin B12 äußert sich durch Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Nervosität oder Depressionen. Unser Körper kann Vitamin B12 nicht selber herstellen, und es kommt ausschließlich in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch oder Eiern vor. Auch fermentierte pflanzliche Lebensmittel oder Algen können zwar eine Form des Vitamin B12 enthalten, diese ist jedoch für uns nicht verwertbar. Wer sich vegan ernährt, sollte mit seinem Arzt besprechen, wie die Versorgung sichergestellt werden kann; eine Supplementierung ist sinnvoll. Quelle: Fotolia
KalziumMilch und Milchprodukte wie Käse oder Joghurt sind hierzulande die Hauptquelle für den Mineralstoff Kalzium. Besonders für das Wachstum der Knochen und damit zur Vorbeugung von Osteoporose ist Kalzium sehr wichtig. Der tägliche Bedarf an Kalzium ist recht hoch: Erwachsene brauchen rund 1000 Milligramm pro Tag, Jugendliche 1200 Milligramm. Das Problem bei der veganen Ernährung: Pflanzliche Produkte enthalten zwar auch Kalzium, aber in geringeren Mengen  und in schlechter verwertbarer Zusammensetzung. Sesam liefert pro 100 Gramm rund 800 Gramm Kalzium, auch Mandeln, Soja oder grüne Gemüsesorten wie Brokkoli, Grünkohl oder Rucola bringen Kalzium auf den Teller. Erhältlich sind auch speziell angereicherte Säfte oder Sojadrinks. Tipp: Auch Mineralwasser hilft. Mindestens 200 Milligramm Kalzium pro Liter sollte es bieten. Quelle: dpa
Vitamin DEin Mangel an Vitamin D kann besonders bei Kindern schwerwiegende Folgen haben: Die Knochen können sich nicht richtig entwickeln. Das Vitamin ist nämlich maßgeblich am Einbau von Kalzium in die Knochen beteiligt. Auch andauernde Müdigkeit oder Nervosität können mit einem Mangel an Vitamin D einhergehen. Vitamin D kommt wie Vitamin B12 ausschließlich in tierischen Produkten wie Milch, fettreichem Seefisch oder Eigelb vor. Um ausreichend mit Vitamin D versorgt zu sein, empfiehlt es sich für Veganer unter Umständen, auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzugreifen – besonders in den Wintermonaten. Im Sommer gibt es eine andere schöne Möglichkeit, die Speicher aufzufüllen: Eine Viertelstunde die Nase in die Mittagssonne halten. Dann kann die Haut selbst genug Vitamin D produzieren. Quelle: dpa
EisenVor allem Frauen leiden oft unter Eisenmangel. Bei Untersuchungen hatten fast die Hälfte der Veganerinnen einen handfesten Mangel. Das Problem liegt darin, dass  Eisen  in pflanzlichen Nahrungsmitteln zwar häufig in großen Mengen enthalten ist, vom Körper aber deutlich schlechter aufgenommen werden kann als das Eisen aus tierischen Produkten. Daher sollten die Blutwerte regelmäßig kontrolliert werden. Außerdem hilft es, viele Nüsse, Samen sowie Hülsenfrüchte zu essen und diese immer mit Vitamin C (zum Beispiel ein Glas Orangensaft zum Essen) zu kombinieren, weil dann das Eisen vom Körper besser aufgenommen werden kann. Quelle: Fotolia
JodJod ist besonders wichtig für die Schilddrüse und damit für die Hormone im Körper. Seefisch gilt als eine der Hauptquellen für Jod. In diversen Untersuchungen wiesen Veganer häufig eine geringere Jodzufuhr mit der Nahrung auf als Menschen, die auch tierische Lebensmittel essen. Veganer können jedoch einen Jodmangel verhindern, indem sie Jodsalz verwenden und hin und wieder Algen essen. Quelle: dpa
EiweißEiweiß ist wichtig für unser Immunsystem, die Nervenimpulse, den Transport von Fetten und Sauerstoff und viele andere Prozesse im Körper. Veganer können den Bedarf vor allem mit Hülsenfrüchten wie Erbsen, Bohnen oder Linsen decken. Auch Spinat, Champignons, Weizenkeime oder Nüsse und Kerne sind gute Eiweißquellen. Quelle: dpa

Exotische Gewürze, Kräuter oder Mandelmus - ein häufiges Gegenargument von Nicht-Veganern ist, dass vegane Ernährung so wahnsinnig teuer sei. Stimmt das Ihrer Erfahrung nach?

Absolut nicht. Ich schlage immer die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich sowas höre. Manche Zutaten sind vielleicht teuer, nehmen wir etwa Mandelmus: Das Glas kostet zehn Euro. Aber drei oder vier Tiefkühlpizzen kosten auch zehn Euro. Und das Glas löffeln Sie ja nicht mit einem Mal leer, sondern geben ein bisschen davon zur Verfeinerung an die Speisen. Weil ich dieses Kosten-Argument sehr häufig gehört habe, habe ich über meine Lebensmittelausgaben auch mal Buch geführt: Ich gebe jetzt wesentlich weniger aus als früher. Wenn man auf Angebote und saisonale Gemüse achtet, kann man sehr gut sparen. Und die gleichen Leute, die sich darüber beschweren, dass vegane Ernährung so wahnsinnig teuer sein soll, treffe ich am Wochenende an der Tankstelle, wo sie sich mal eben für fünf Euro ein Fertiggericht kaufen.

Und was ist mit dem Vorwurf, dass Veganer ihre Mitmenschen für ihre Lebensweise missionieren wollen?

Sowas taucht oft in Internetforen auf, aber ich habe das Gefühl, dort benehmen sich sowieso alle schlecht. Ich möchte nicht missionieren, die Mühe mache ich mir gar nicht. Wenn jemand Fleisch essen will, soll er das tun. Die Verantwortung dafür liegt bei jedem selbst, und die kann ich anderen Menschen nicht abnehmen. Ich habe im Gegenteil oftmals eher das Gefühl, dass ich missioniert werden soll, wieder Fleisch zu essen.

In diesen Ländern leben die meisten Vegetarier und Veganer

Sie haben in Ihrem Buch ein Bullshit-Bingo zusammengestellt von Vorwürfen und typischen Fragen, mit denen man als Veganer immer wieder konfrontiert wird. Was war das Haarsträubendste?

Ich war in meinem Umfeld schon als Vegetarierin exotisch - und dann wurde ich auch noch Veganerin. Die erste Frage, die man da meist hört, ist: "Was darf man denn da überhaupt noch essen?" Da frage ich mich immer, liebe Leute, habt ihr so wenig Fantasie, so wenig Ahnung von Lebensmitteln? Das ist ja eine Katastrophe! Ich habe in meinem Buch von Artischocken, Avocado und Auberginen über Lupinen bis zu Zwetschgen und Zucchini eine Liste von bestimmt 200 Lebensmitteln erstellt, die man essen und auch toll kombinieren kann, ohne tot umzufallen. Und es schmeckt herrlich!

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