Sie galten einst als die Hoffnungsträger der Industrie: neuartige, leistungsfähige Stromkabel, die den Effekt der Supraleitung nutzen. Strom fließt dabei weitgehend verlustfrei durch spezielle Kabel, sofern sie richtig gekühlt werden. Der Entdecker der Hochtemperatur-Supraleitung, der deutsche Wissenschaftler Georg Bednorz, erhielt 1987 dafür den Physik-Nobelpreisträger. Doch auf die Euphorie der Anfangsjahre folgte eine lange Phase der Ernüchterung - zu hoch war bisher der finanzielle und technische Aufwand.
Nun aber sieht sich die Industrie nach dem Ausräumen zahlreicher technischer Hürden vor allem in der Energietechnik langsam an der Schwelle zur industriellen Anwendung. „Das Thema erreicht jetzt industrielle Reife“, bestätigte Joachim Bock vom Industrieverband Supraleitung am Mittwoch auf der Hannover Messe. Generatoren lassen sich dadurch kleiner und leistungsfähiger bauen, im Maschinenbau öffnen sich neue Wege und Einspar-Potenziale. Kompaktere und verbrauchsärmere Anlagen - etwa im Automobil- oder Flugzeugbau - kommen in Sichtweite. Berührungslose Kraftübertragung befeuert zudem die Anwender-Fantasie in der Pharma- oder Nuklearbranche.
Als Durchbruch gilt die Herstellung beliebig langer Drähte in gleichmäßiger Qualität. „Die Industrie wird munter, der Wettbewerb belebt sich“, sagte RWE-Manager Frank Merschel auf der Messe. Der Projektleiter ist beseelt von einem weltweit beachteten Projekt: einer ein Kilometer langen Teststrecke mit supraleitenden Kabeln. Es ist die bisher längste Strecke überhaupt - Pläne der Russen, eine größere in Sankt-Petersburg zu bauen, sind bisher nicht umgesetzt.
„Da ist wirklich schon Kapazität in Deutschland entstanden, das wird auch international wahrgenommen“, meint Bock, der auch Verlaufsleiter der Nexans-Sparte SuperConductors ist. Ausgerechnet an einer Geburtsstätte der industriellen Revolution, in der Ruhrgebiets- Metropole Essen, soll die Supraleitung nun ihr Potenzial beweisen.
Das Kosten-Problem
Platzsparende Netze in urbanen Ballungszentren gelten als ideales Biotop für die neue Technologie. Schon vor Jahren meinte Nobelpreisträger Bednorz in einem Interview: „Und eines will ich Ihnen prophezeien: Wenn Sie in Innenstädten, wo die Kabelschächte bereits mit ölgekühlten Kupferleitungen vollgestopft sind, die Kapazität erhöhen müssen, dann nehmen Sie Supraleiter, die eine dreifach höhere Leistung ermöglichen, bevor Sie neue Gräben ziehen.“
Umspült von flüssigem Stickstoff fließt in Essen der Strom mit einem Zehntel der bisherigen Spannung fast reibungslos. Ein Problem: Für jeden Tag im Probebetrieb wird eine Tonne Stickstoff benötigt. Mit etwa acht Cent pro Liter kommt da einiges zusammen. Bock hält dem entgegen, dass dafür ja auch der Platz für Transformatorenhäuschen wegfällt - er setzt ein einziges mit einem Wert von 800 000 Euro an. „Doppelgarage statt Turnhalle“, formuliert Merschel recht griffig den unterschiedlichen Platzbedarf. Supraleitungen könnten etwa fünfmal so viel Strom transportierten wie herkömmliche Kupferkabel. Doch sie kosten noch immer ein Mehrfaches von Kupfer.
Bock ist auch da Optimist: „Alle drei Jahre halbiert sich der Preis.“ Er geht heute vom dreifachen Preis eines Kupferkabels aus - noch vor einigen Jahren war es das Sechsfache. Für den Transport von Windstrom von der deutschen Meeresküste in den Süden sieht er die neue Technologie nur bedingt geeignet. Für die großen Stromtrassen stößt die neue Kabeltechnik auch beim ABB-Konzern auf Skepsis.
„Supraleitung ist eher ein Nischenthema, das weniger für den großen Übertragungsbereich als innerorts zum Einsatz kommen kann - wir hätten vor 20 Jahren wahrscheinlich erwartet, dass die Supraleitung sich schneller weiter bewegt“, sagte ABB-Chef Peter Terwiesch auf der Hannover Messe. Er hält die Halbleiter für die Gewinner. „Wir sehen heute eine viel größere Bedeutung der Leistungselektronik, also der Verwendung von Halbleitern statt Supraleitern - das klingt fast schon ironisch.“ Halbleiter seien eher in der Lage Visionen zu ermöglichen wie Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetze - also Energienetze, die energetisch ganz Europa enger verbinden könnten.