Dächer für die Ärmsten Asbest für Indien

Dutzende Staaten haben die Verwendung gesundheitsschädlichen Asbests verboten, Milliarden für die Entfernung aus Gebäuden ausgegeben. Aber in vielen Entwicklungsländern wird das Mineral weiter verwendet.

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Dass Asbest gesundheitsschädlich ist, davon wollten an einer Konferenz in Neu Delhi viele Experten nichts wissen. Sie halten das völlige Asbest-Verbot in vielen westlichen Ländern für übertrieben. Quelle: Keystone

Vaishali Die Topmanager saßen bei Tee und Zuckerkeksen zusammen, und die Stimmung war gut. Ihre Industrie, so sagten sie auf einer Konferenz in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, rette Leben und versorge die Ärmsten dieser Welt mit Dächern, Wänden und Rohrleitungen. Ihr Produkt? Asbest. Das Mineral ist vielen Industriestaaten zwar verboten, doch wird es in Entwicklungsländern immer noch häufig eingesetzt.

Allein in Indien, dem Asbest-Spitzenimporteur der Welt, ist es eine Industrie mit einem Umfang von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro, und sie sichert 300.000 Arbeitsplätze.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und mehr als 50 Staaten sind der Überzeugung, dass das Mineral verboten gehört, weil sich Asbest-Fasern in den Lungen festsetzen können. Nach ILO-Schätzungen sterben jedes Jahr 100.000 Menschen, weil sie an ihrem Arbeitsplatz Asbest ausgesetzt waren.
Medizinischen Experten zufolge kann das Einatmen jeder Art von Asbest noch nach 20 bis 40 Jahren zu einer tödlichen Erkrankung führen, so zu Lungenkrebs, Mesiothelomen und Lungenfibrose. Zu den Dutzenden Staaten, die den Gebrauch von Asbest völlig verboten haben, gehören auch die EU-Länder. Andere wie die USA haben die Verwendung drastisch eingeschränkt.

Auch einige der armen Inder sind alles andere als begeistert davon, mit Asbest in Kontakt zu kommen. So gingen Einwohner in der Farmergemeinde Vaishali im östlichen Bundesstaat Bihar auf die Barrikaden, als in ihrem Dorf mit dem Bau einer Asbest-Fabrik begonnen wurde.

Sie hatten in Büchern eines Schuljungen von den Gefahren gelesen und fürchteten, dass Asbest-Fasern in ihre kleinen Strohhütten wehen und damit auch ihre Kinder gefährdet werden könnten.
Die besorgten Einwohner versuchten, den Bau mit Eingaben bei den Behörden zu stoppen. Aber im Dezember 2012 wurde die Baugenehmigung erneuert, was Tausende zu einem elfstündigen Protest auf die Straße brachte.

Inmitten des Chaos' zerstörten einige der Dorfbewohner die bereits teilweise gebaute Fabrik. „Es war ein Augenblick der Verzweiflung“, sagt ein Lehrer, der aus Angst vor Vergeltung durch die betroffene Asbest-Firma anonym bleiben will. „Es gab keinen anderen Weg für uns, unsere Empörung zum Ausdruck zu bringen.“

Die zuständigen Stellen in Bihar zogen im vergangenen Jahr schließlich die Baugenehmigung zurück. Klagen des Unternehmens gegen mehrere Dorfbewohner wegen Vandalismus und Diebstahl sind noch anhängig.


„Um der Nation zu dienen“


Die Asbest-Lobby findet, dass das Mineral zu Unrecht in westlichen Ländern in Verruf gekommen sei, wo man es auf unverantwortliche Weise eingesetzt habe. Sie beharrt auch darauf, dass eine der sechs Arten von Asbest ungefährlich sei: Chrysotil, auch Weißasbest genannt. Diese Art macht mehr als 95 Prozent des Asbestes aus, der seit 1900 benutzt wurde.

Medizinische Experten widersprechen. Alle Formen von Asbest-Fasern würden mit der Entwicklung verschiedener Krankheiten und vorzeitigem Tod in Verbindung gebracht, hieß es etwa 2012 in einer Erklärung der Societies of Epidemiology.

Der größte Teil des Asbests auf dem Weltmarkt kommt heute aus Russland. US-Unternehmen haben derweil im Rahmen von Zivilverfahren wegen Körperverletzung durch Asbest umgerechnet 750 Millionen Dollar gezahlt. Milliarden sind auch in westlichen Ländern ausgegeben worden, um Asbest aus Gebäuden zu entfernen.

Aber die Topmanager auf der Konferenz in Neu-Delhi im vergangenen Dezember waren sich einig, dass die Risiken durch Asbest übertrieben würden. Sie beschrieben ihre Industrie als eine Art soziale Fürsorge für Hunderttausende arme Inder, die häufig noch in Hütten aus Lehm mit Strohdächern leben. „Wir sind nicht nur aus Geschäftsgründen hier, sondern auch, um der Nation zu dienen“, formulierte es Abhaya Shankhor, einer der Vorsitzenden der indischen Vereinigung der Hersteller von Asbestzement-Produkten.

Die Treffen in Neu-Delhi wurde als wissenschaftliche Konferenz deklariert, obwohl Organisatoren zugaben, dass es keine neuen Forschungsresultate gebe. Im Gegenteil schien es eher so, als sei die Industrie in die Vergangenheit zurückgekehrt, um Asbest zu verteidigen.

So verweist die Webseite der Lobby auf WHO-Richtlinien aus dem Jahr 1998, in denen eine kontrollierte Verwendung von Chrysotil empfohlen wurde. Aber dass die WHO 2007 nachlegte und zu einem völligen Verbot riet, das wird übergangen.

Es gibt viele Redner, die regelmäßig auf Asbest-Konferenzen in Entwicklungsländern auftauchen. Dazu zählt der Toxikologe David Bernstein, ein ehemaliger Berater des Chrysotil-Instituts in Quebec, das seit 2012 nicht mehr von der kanadischen Regierung finanziell unterstützt wird.

Er argumentierte bei dem Treffen in Neu-Delhi, dass Chrysotile Krankheiten verursachen könnten, wenn sie in großen Mengen oder über lange Zeit hinweg eingeatmet würden. Aber das gelte für jede Art von kleinen Partikeln.

Indische Stellen scheinen in ihrer Einstufung der Asbest-Gefahren gespalten und etwas verwirrt zu sein. Seit 1986 gilt ein landesweites Moratorium bei neuen Projekten zum Asbest-Abbau, aber die Verwendung des Minerals wurde nie verboten. Wo die neue Regierung von Narenda Modi steht, ist unklar.

Der Widerstand in Vaishili hat derweil auch Proteste an anderen Orten ausgelöst, so im nahe gelegenen Distrikt Bhojpur. „Viele Menschen wissen nichts von den Auswirkungen, besonders Analphabeten“, sagt Mandan Prasad Gupta, ein Gemeindevorsteher. Er sitzt in seinem kleinen Teeladen, den er vor Jahrzehnten an einem Straßenrand gebaut hat, als er keine Ahnung hatte, was Asbest ist. Über seinem Kopf: ein zerbröckelndes Dach aus Asbestzement.

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