Ein Besuch in Xingtai Die dreckigste Stadt Chinas

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Vorgeschriebene Filter nur in den großen staatseigenen Betrieben

Die vorgeschriebenen Filter gibt es nur in den großen staatseigenen Betrieben der Provinz Hebei, die machen aber nur zehn Prozent aller Kraftwerke aus. Für den großen Rest waren die Strafen geringer als die Anschaffungskosten. Im Zuge des „War on Pollution“ werden nun die Bußgelder drastisch erhöht.

Gleichzeitig sollen in den vergangenen Jahren entstandene Überkapazitäten in der Stahl- und Zementindustrie abgebaut werden. Die Branchen gelten neben der Kohle als Hauptverursacher der Verschmutzung. So sollen die Feinstaubwerte in den großen Städten der Ostküste jährlich um 20 bis 25 Prozent sinken, vor allem durch den Einsatz effizienterer Gaskraftwerke.

„Die Emissionsvorschriften unterscheiden sich nicht wesentlich von denen westlicher Länder. Nur sie werden nicht eingehalten“, sagt Calvin Quek von der Umweltorganisation Greenpeace in Peking. Das zuständige Umweltministerium ist schwach und schafft es nicht, die Unternehmen zu kontrollieren, deren Zahl in die Tausende geht. Zudem sind mehr als die Hälfte der Kohlekraft- und Stahlwerke in Hebei illegal, schätzt Greenpeace.

Sieben der zehn schmutzigsten Städte des Landes liegen in der Provinz Hebei

Sichtweite beträgt oft nicht mehr als 50 Meter

Von Xingtai aus führt eine Schnellstraße rund 100 Kilometer Richtung Süden nach Wu’an. Kohletransporter chinesischen Fabrikats brettern mit Getöse die Straßen entlang. Die Sichtweite beträgt oft nicht mehr als 50 Meter. Am Straßenrand stehen Bauern, die die herabfallenden Kohlestücke aufklauben. Rechts und links davon Schornsteine, die zu Kraftwerken, Eisenerzmühlen und Stahlwerken gehören – viele davon menschenleer und stillgelegt, keines ist größer als ein halbes Fußballfeld.

Peking verschwindet unter Smogglocke
Millionen von Pekingern der Mittelschicht erfüllen sich den Traum vom eigenen Auto. Doch jetzt folgt das böse Erwachen: Die dichte Smogwolke über Peking hat in den Krankenhäusern der chinesischen Hauptstadt zu einem Anstieg von Atemwegserkrankungen geführt. Flaggenzeremonien und Sportstunden an Schulen wurden am Montag wegen der anhaltend hohen Feinstaubwerte nach innen verlegt Quelle: dpa
Nachdem die Werte am Wochenende mit 700 Mikrogramm pro Kubikmeter die Messskala gesprengt hatten, sanken sie am Montag wieder auf 245 Mikrogramm. Auch dieser Wert lag aber noch deutlich über den 25 Mikrogramm pro Kubikmeter, ab der laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Gesundheitsgefährdung besteht. Quelle: dpa
Die Behörden verordneten eine Senkung der Emissionen in Fabriken, Baustellen wurden mit Wasser besprüht, um zu verhindern, dass Staub von dort den schädlichen Dunst, der seit Ende vergangener Woche über Peking hängt, noch weiter verschlimmert. Quelle: dpa
Angesichts des gesundheitsgefährdenden Smogs wächst in China die Wut auf die Behörden. Im Internet kritisierten viele Nutzer am Montag den ungebremsten Wachstumskurs der Regierung, bei dem auf Umweltaspekte zu wenig Rücksicht genommen werde. Quelle: dpa
Am Dienstag soll sich die Lage nach Angaben der Wetterbeobachtungsstelle von Peking wieder verbessern. Wissenschaftler machten die extreme Windstille für den dichten Smog verantwortlich, durch den die Sonne schon kaum mehr durchdringt. Quelle: dpa
Selbst die staatliche Zeitung „China Daily“, die als Sprachrohr der Kommunistischen Partei gilt, schrieb auf Seite eins: "Ein besseres China zu schaffen beginnt damit, dass man gesund atmen kann.“ Es müsse vermieden werden, dass es wegen des Urbanisierungsprozesses "der Umwelt immer schlechter und schlechter geht". Quelle: dpa
Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua erreichte die Luftverschmutzung in Peking und anderen Städten am Wochenende Werte fast 40 Mal über dem von der Weltgesundheitsorganisation definierten Idealwert. Quelle: dpa

Lao Liu schnalzt mit einer Pferdepeitsche. Der 67-Jährige steht vor einer Baracke, vor der Tür hängt eine Steppdecke zum Schutz gegen die Kälte. Er und zwei Hunde mit räudigem Fell bewachen ein Kraftwerk, das kaum größer als eine Turnhalle ist. „Das hat die Regierung vor einem Jahr stillgelegt“, sagt Liu. Darauf habe man ihm sein Gehalt um die Hälfte gekürzt. Die Fabrik sieht nagelneu aus, und im Sand sind frische Reifenspuren zu erkennen.

Zehn interessante Fakten über China
Täglicher Griff zur ZigaretteUngesunder Rekord: In jeder Sekunde werden 50.000 Zigaretten in China angezündet. Das berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Zahl der Raucher ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Inzwischen zünden sich 66 Prozent der männlichen Chinesen täglich mindestens eine Zigarette an. Bei den Frauen raucht nur jede Zwanzigste täglich. Quelle: rtr
Künstliche TannenbäumeKlar, China ist ein großes Land. Fast jeder fünfte Mensch lebt in dem Riesenreich, China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Doch in einigen Statistiken liegt das Land überproportional weit vorne. So ist das Riesenreich nicht nur der größte Textilproduzent, sondern auch weltweit führend in der Herstellung von künstlichen Tannenbäumen. 85 Prozent alle unechten Tannenbäume – so National Geographic – stammen aus China. Texte: Tim Rahmann Quelle: dpa
SchweinereichIn China leben nicht nur die meisten Menschen, sondern auch die meisten Schweine. 446,4 Millionen Eber und Säue lebten 2008 im Reich der Mitte, so die UN. Damit leben dort mehr Schweine als in den 43 nächst größten Ländern, gemessen an der Zahl der Tiere, zusammen. Zum Vergleich: In Deutschland werden aktuell rund 26,7 Millionen Schweine gehalten. Quelle: dpa
Geisterstädte im ganzen LandIn China wurde in den letzten Jahren massiv gebaut – auch in ländlichen Gegenden. Doch die Landflucht ließ vielerorts Geisterstädte entstehen. Mehr als 64 Millionen Wohneinheiten stehen im ganzen Land leer. Auch das größte Einkaufszentrum der Welt, … Quelle: dpa
McDonald’s allein auf weiter Flur… die "New South China Mall", hat reichlich Gewerbeflächen zu vermieten. 1500 Geschäfte finden dort Platz, 70.000 Käufer sollten täglich nach Dongguan pilgern. Doch die Realität sieht anders aus: 99 Prozent der Flächen sind unbenutzt, berichtete die britische Zeitung "Daily Mail". Nur ein paar Restaurants befinden sich in dem Gebäude, unter anderem Mc Donald’s. Quelle: AP
Bauboom geht weiterDennoch bauen die Chinesen fleißig weiter. Die Folge: Kein Land verbaut mehr Zement als China. 53 Prozent der weltweiten Nachfrage stammt aus dem Reich der Mitte, so Michael Pettis, China-Experte und Ökonom der Peking-Universität. Quelle: dpa
Barbie ist zu sexyWenn in China gerade nicht gebaut wird, werden in den zahlreichen Fabriken Güter produziert. Neben Textilien vor allem Spielwaren. Rennautos, Barbie-Puppen und Kuscheltiere: Fast 80 Prozent der deutschen Spielwaren stammen aus China. Vor Ort selbst sind Barbie-Puppen übrigens kein Verkaufsschlager. Für die Chinesen ist die kurvige Blondine zu sexy. Dort verkaufen sich vor allem niedliche Puppen. Quelle: AP

Kohle, Stahl, Bau

Das letzte Mal blauen Himmel gesehen habe er vor einigen Wochen, sagt Liu. Da fand in Peking der Apec-Gipfel statt, bei dem US-Präsident Barack Obama und Xi Jinping das Klimaabkommen unterzeichnet haben. Extra dafür wurden die Dreckschleudern in Hebei abgeschaltet.

Chinas Sicherheit ruht auf Kohle und Stahl. Das Wirtschaftswachstum hängt zu großen Teilen am Bau. Wer baut, braucht Stahl, und wer Stahl produziert, braucht Kohle. Das Land produziert 2014 rund 826 Millionen Tonnen Stahl, die Provinz Hebei alleine rund 400 Millionen Tonnen, das ist fast fünfmal so viel wie die Vereinigten Staaten.

Weniger Stahlverbrauch bedeutet geringes Wachstum, den Verlust von Arbeitsplätzen und somit soziale Instabilität – und vor nichts fürchtet sich die Regierung in Peking mehr. Erst wenn die Transformation von Chinas Wirtschaft weg von Investitionen hin zu mehr Konsum und Service glückt, wird auch die Abhängigkeit von Kohle und Stahl sinken. Doch das dauert noch viele Jahre.

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