Energie Gas ist das neue Öl

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Weltweit verschieben sich die Kräfteverhältnisse

Frostige Zeiten - Ein sibirischer Arbeiter dreht auf einem Gasfeld den Hahn auf Quelle: Presse

Europas größte Schatztruhe liegt in einer geradezu lebensfeindlichen Gegend. Im Februar fällt die Temperatur im Norden Sibiriens zuverlässig unter minus 30 Grad. Der Frost treibt jeden westlichen Besucher im Minutentakt zum Aufwärmen in die Gebäude. Die Kinder der Stadt Nowy Urengoi, wo Russlands Monopolist Gazprom das Erdgas für Europa fördert, sind die eisigen Temperaturen gewöhnt. Sie bekommen erst ab minus 40 Grad kältefrei.

Noch hartgesottener geben sich die Arbeiter an den Gasfeldern – und erzählen gern folgende Legende: Ursprünglich habe Gott das Erdgas auf der ganzen Welt verteilen wollen. Aber dann froren ihm über Sibirien die Hände ein, weshalb er dort den Großteil des Gasschatzes fallen ließ.

Wirklich optimal liegen die Reserven auch für Gazprom nicht. Zwar lagern auf russischem Territorium mit etwa 47 Billionen Kubikmetern die größten Gasvorkommen weltweit, doch nur in jener Urengoi-Formation sind sie einfach zu fördern.

Seit den Siebzigerjahren bohren die Arbeiter an den Feldern, bald sind sie zu drei Vierteln leer – und dann wird die Bohrung kompliziert. Russlands nächste Reserven liegen auf der kälteren Jamal-Halbinsel weiter nördlich, sie müssen zerklüftetem Gestein drei Kilometer tief unter dem Permafrostboden abgepresst werden.

Ohne Technologiepartner aus dem Ausland, sagen Experten, kann Gazprom den Schatz nicht bergen. Mögliche Kandidaten aber zieren sich, weil die Kosten dafür bei über 100 Milliarden Dollar liegen und niemand weiß, ob es in zehn Jahren noch einen Markt für sibirisches Pipeline-Gas gibt.

Die Schiefergas-Bedrohung

Russisches Gas werde für Europa zur teuersten aller Alternativen, glaubt Frank Umbach vom Münchner Centre for European Security Strategies. Denn billigeres Flüssigerdgas überschwemmt den Weltmarkt. Gazprom-Preisstratege Sergej Komlew redet die Schiefergas-Bedrohung klein: Auf die US-Produzenten kämen so hohe Kosten zu, dass die Pläne für den Schiefergas-Export „mittel- bis langfristig ökonomisch nicht darstellbar sind“, sagte Komlew einer US-Nachrichtenagentur.

Dabei haben sich die Kräfteverhältnisse auf den weltweiten Energiemärkten längst verschoben.

Übersicht zu den Ländern mit den größten Schiefergas-Vorkommen (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

In Europa gewinnt Statoil zulasten von Gazprom an Marktmacht, weil die Norweger im Unterschied zu den Russen verstärkt Erdgas über die weltweiten Gasbörsen verkaufen. Peking beugt sich gar nicht erst dem russischen Preis-Diktat, sondern bezieht Erdgas direkt aus Zentralasien. Katar wiederum verschifft riesige Mengen an verflüssigtem Erdgas nach Japan, China oder Südostasien und macht dadurch russisches Gas unattraktiv. Und bald werden auch noch die USA zum Gasexporteur.

Nur die Herren im Kreml sträuben sich gegen diese Einsicht. Zu sehr hatte man sich daran gewöhnt, dass Europa stets an teuren Langfrist-Verträgen mit Gazprom interessiert war. Pipelines konnte es für die Europäer gar nicht genug geben, um Versorgungssicherheit zu erreichen.

Seit es aber den Weltmarkt für Gas gibt, wird die Waffe des Kremls stumpfer: Moskau hat nicht mehr die Marktmacht, um seine Politik durchzusetzen.

Gazprom indes hält an neuen Pipelines fest, obwohl nicht einmal die Kapazitäten für bestehende Röhren wie die Ostsee-Pipeline voll ausgenutzt sind. Dabei müsste der Konzern jetzt lernen, Gas im Wettbewerb zu verkaufen – sonst gehen bei den Gasowiki in Sibirien bald die Lichter aus.

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