Etliche Kilometer erstrecken sich die Seegrasplantagen vor der Ostküste Indiens. Sanft wiegen die roten Blätter in den Wellen vor der Millionenmetropole Madras. Die Seepflanzen sind die ersten Schritte einer Treibstoffrevolution, die das dänische Biotech-Unternehmen Novozymes zusammen mit dem indischen Startup Sea6 Energy vorbereitet: Die Energiepioniere wollen in wenigen Jahren Seegrasfarmen so groß wie 100 Fußballfelder rund um ausgediente indische Ölbohrinseln anlegen. Normalerweise wächst Seegras nur in Küstennähe. Doch die Inder haben schwimmende Netze konstruiert, auf denen die Pflanzen auch weit draußen auf dem Meer Halt finden. Spezialmaschinen auf Booten sollen das Blattwerk sechs Mal im Jahr ernten – und auf den Bohrinseln zu Kraftstoff verarbeiten.
Damit entstünde eine riesige natürliche Treibstofffabrik. Laut Sea6 Energy könnten die Plattformen mit Seegras auf einer Meeresfläche von einigen Zehntausend Hektar genug Biosprit produzieren, um den gesamten indischen Bedarf zu decken – rund 100 Millionen Tonnen pro Jahr.
Quasi nebenbei würden die Bohrinseln zu hoch effizienten Bioenergiefarmen. Zum Beweis, dass es funktioniert, hat Sea6 Energy-Chef Shrikumar Suryanarayan schon eine ganze Menge Seegrassprit im Labor erzeugt: 250 Liter je Tonne Biomasse; vier bis fünf Mal so viel wie brasilianische Farmer aus einer Tonne Zuckerrohr gewinnen – und das, ganz ohne wertvolles Ackerland zu nutzen.
Hoffnung in die Energiepioniere
Das spricht sich herum: „Wir haben Probleme, uns die Ölkonzerne vom Hals zu halten. Die wollen uns kaufen und sich die Idee exklusiv sichern“, sagt Suryanarayan, der als Biochemiker der Eliteuniversität Indian Institute of Technology (IIT) hoch angesehen ist. Auch israelische und amerikanische Forscher arbeiten an solchen Ideen. Keiner aber ist so weit wie Suryanarayan.
Weltweit hoffen Ölmanager und Lebensmittelkonzerne, dass die Energiepioniere Erfolg haben werden. Denn Mais, Raps und Getreide, aus denen Biosprit und Biogas bislang gebraut werden, sind in Zeiten knapper werdender Nahrungsmittel allenfalls Übergangslösungen. Die Energiepflanzen von morgen gefährden die Ernährung der Weltbevölkerung nicht mehr. Neben dem indischen Seegras sind es robuste, teils meterhohe Gräser, wilde Blumen und unkrautartig wuchernde Minibäume.
Erst im Juli stellte ein Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina der Bioenergie aus Mais und Raps ein vernichtendes Zeugnis aus: Deren Produktion sei nicht effizient und ökologisch fragwürdig. Sie setze, über den Lebenszyklus betrachtet, zu viele Treibhausgase frei, und der Anbau stehe in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.
Mit den neuen Energiepflanzen lassen sich viele der Probleme lösen. Vor allem die „Teller-und-Tank-Debatte wird sich entschärfen“, sagt Agrarexpertin Iris Lewandowski von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Das neue Energiegrün wächst zudem an Orten, die für die Nahrungsmittelherstellung völlig ungeeignet sind: Im Meer, auf kargen Böden – einige kommen sogar in der Wüste klar.