Weizsäcker, 73, ist seit Oktober Co-Präsident des Club of Rome. Von 1998 bis 2005 saß der Neffe des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker für die SPD im Bundestag. Von 1991 an baute der Diplom-Physiker das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie auf, das er bis 2000 leitete.
WirtschaftsWoche: Herr von Weizsäcker, sind Sie ein fröhlicher Mensch?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Durchaus.
Dann muss es ja regelrecht eine Qual für Sie sein, einer Institution wie dem Club of Rome vorzusitzen, der beharrlich den Weltuntergang predigt.
Ich versuche, für den Club eine optimistische Perspektive für die Welt zu entwickeln, die, aufbauend auf den leider richtigen Analysen, technologische und politische Vorschläge enthält, die uns aus der Gefahr der Apokalypse hinausführen können.
Im gerade veröffentlichten Nachfolgebericht zum legendären Buch von 1972 über die Grenzen des Wachstums ist davon nichts zu lesen. Im Gegenteil: Danach droht der Erde wiederum der Kollaps.
Jeder Arzt weiß, dass die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie eine gute Diagnose ist. Und die lautet nun einmal: Die Menschheit stellt sich blind und denkt: Solange sich das Klima noch nicht dramatisch verändert hat, warum sollen wir was tun? Solange man Kupfer und High-Tech-Metalle wie Indium und Neodym noch irgendwo rauskratzen kann, worüber sollen wir uns sorgen? Solange das so ist, rückt die Welt dem Abgrund immer näher.
Und der Club of Rome glaubt, die Menschen mit seiner Katastrophenrhetorik aufrütteln zu können?
Leider ist vielen Menschen die kurzfristige Wohlstandsökonomie immer noch viel wichtiger als das Schicksal unserer Enkel. Und deswegen verdrängen sie die Gefahren kollektiv.
Was heißt verdrängen? Viele der düsteren Annahmen des Club of Rome waren doch schlicht falsch.
Natürlich gab es Fehleinschätzungen. Zum Beispiel ist die angenommene feste Kopplung zwischen industriellem Ausstoß und Umweltverschmutzung geknackt worden. Aber nur, weil die Politik wegen dieser Warnungen aktiv geworden ist. Sie hat in Deutschland und anderswo mit scharfen Umweltgesetzen dafür gesorgt, dass es ökonomisch richtig wehtat, das Wasser weiter zu verschmutzen. Sonst hätte sich nichts gebessert.
Wie sieht Ihr Reformplan für den Club of Rome denn aus?
Fünf Dinge habe ich mir vorgenommen. Wir müssen erstens eine positive Wachstumsoption entwickeln. Zweitens müssen wir Skandale wie die fortgesetzte Subventionierung des Leerfischens der Ozeane oder des Einsatzes fossiler Brennstoffe viel öffentlichkeitswirksamer anprangern. Wir wollen drittens verstärkt Geschäftsideen und Initiativen ermutigen, die das Zeug haben, die Erde zu einem besseren Ort zu machen.
"Der Unterschied zwischen Kollaps und Stabilisierung"
Haben Sie ein Beispiel?
Eine Möglichkeit wäre die Kooperation mit Investmentfonds, die ihr Geld nach strengen ökologischen Kriterien anlegen. Das hätte großen Einfluss auf die Märkte.
Und die anderen Reformschritte?
Wir müssen, wie das auch die OECD fordert, weltweit für Regierungen wie Unternehmen verbindliche Regeln einführen, die der Ausplünderung des Planeten ein Ende bereiten. Und schließlich will ich fünftens die Nachwuchsorganisation des Clubs wiederbeleben. Sie soll die modernen Kommunikationsströme nutzen und sich verstärkt in die Diskussion in sozialen Medien wie Facebook und Twitter einschalten.
Soll sich der Club auch in die gesellschaftliche Breite öffnen?
Bisher galt das ungeschriebene Gesetz, dass der Club nie mehr als 100 Mitglieder haben darf. Aber wenn wir künftig ein halbes Dutzend Programme vorantreiben, dann kann es auch Projekt-, Unternehmens- oder Jugendmitgliedschaften geben. So können wir unsere Aktivität sinnvoll verstärken.
Gehen wir in die Details. Welche umweltverträgliche Wachstumsoption schwebt Ihnen denn vor?
Ich behaupte, wir schaffen mehr Wohlstand mit den gegebenen bekannten Ressourcen, wenn wir lernen, diese dramatisch effizienter einzusetzen. Es ist schon mit den heute verfügbaren Technologien möglich, jede Einheit Wohlstand mit einem Fünftel des jetzigen Ressourcenverzehrs zu erzeugen. Langfristig halte ich auch eine Verzwanzigfachung für realistisch. Das würde die Ausplünderung unseres Planeten endlich stoppen.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Eine einzige Maßnahme rettet die Welt?
Erstaunlich, nicht wahr! Aber es ist so. Noch als Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie habe ich ausrechnen lassen, wie es sich im Modell des Club of Rome auswirkt, wenn die Ressourcenproduktivität jedes Jahr um vier Prozent steigt. Was war die Folge? Stabilisierung! Der ganze Unterschied zwischen Kollaps und Stabilisierung ist eine Steigerung der Ressourcenproduktivität um vier Prozent pro Jahr.
Und wie bekommen wir diese dauerhafte Steigerung hin?
Indem wir die Preise für Energie und Rohstoffe in Höhe des jährlichen Fortschritts bei der Ressourcenproduktivität per Steuer kontinuierlich erhöhen. Das setzt Hersteller, Handel und Verbraucher unter Handlungszwang.
Industrie und Verbraucher ächzen doch jetzt schon unter galoppierenden Energie- und Rohstoffpreisen. Strom würde für Geringverdiener unbezahlbar, und es gingen Arbeitsplätze verloren.
Mitnichten. Der Ansatz wird weder zu sozialem Elend noch zu Auswanderung von Unternehmen führen – wenn zwei Nebenbedingungen eingehalten werden. Das eine ist ein bezahlbarer Sockeltarif, damit nicht die Hartz-IV-Empfänger die Zeche zahlen. Das Zweite eine Aufkommensneutralität für gefährdete Branchen: Sie bekommen zurückgefüttert, was sie vorher eingezahlt haben.
Effizienzverbesserung des Ressourcenverbrauchs
Warum sie dann nicht gleich von der Zahlung befreien?
Bei einer Befreiung fehlt anders als bei der Rückfütterung jeder Effizienzanreiz. Denn sie schafft Konkurrenz innerhalb der Branche: Wer richtig doll effizient wird, schlägt die anderen aus dem Felde, weil seine Effizienzgewinne mit jeder Preiserhöhung größer ausfallen.
Das ist doch heute schon das tägliche Brot der Unternehmen, effizienter zu sein als ihre Rivalen.
Bisher haben wir vor allem einen Arbeitsproduktivitätswettbewerb. In dem Moment, wo die Energie verteuert wird, verschiebt sich das Rationalisierungsinteresse in Richtung Energieeffizienz. Und das ist ein Strukturwandel, der nicht schadet, sondern Deutschland im Gegenteil wettbewerbsfähiger macht. Die Rückfütterung kann je Arbeitsplatz erfolgen. Das würde den Arbeitsplatzabbau aktiv bremsen, die Unternehmen würden stattdessen ihre Wettbewerbsposition verbessern, indem sie weniger Material und Energie einsetzen.
Nach herrschender Lehre führen solche Preiseingriffe zu schlechteren Marktergebnissen.
Dogmatische Ökonomen haben mit meiner Denkweise Schwierigkeiten. Das respektiere ich auch, die haben die Ablehnung von Staatseingriffen gelernt.
Und was halten Sie ihnen entgegen?
Ich sage ihnen: Ihr lehrt eure Studenten, dass die Effizienzverbesserung des knappen Faktors wichtiger ist als die des nicht knappen Faktors. Arbeitswillige sind im heutigen Europa nicht der knappe Faktor; die Ressourcen sind der eigentliche Engpass.
Wenn Energie und Rohstoffe knapp und teuer werden, entsteht Preisdruck doch auch ohne staatliche Eingriffe.
Zeitweise sah es ganz danach aus.
Und inzwischen ist es anders?
Jetzt brüsten sich die Amerikaner, dass sie mit Fracking riesige Mengen zusätzlichen Gases aus den Gesteinsschichten heraussprengen können, und auch beim Öl hat sich das Angebot vorübergehend enorm ausgeweitet. Alles dem Markt zu überlassen bedeutet, das Problem nicht ernst zu nehmen. Nur wenn der Staat den Ressourcenverbrauch kontinuierlich verteuert, kommen wir in Richtung einer grünen Wirtschaft voran.
Allianz zwischen Europa und Asien
Chinesen und Amerikaner werden dabei kaum mitmachen – die deutschen Unternehmen verlören bei einem einseitigen Vorpreschen ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Eine Erfahrung aus den Siebzigerjahren widerlegt diese Annahme. Damals haben die Japaner als Reaktion auf die Ölengpässe ihre Energiepreise schockartig nach oben gejagt. Von 1978 bis 1990 hatte Japan etwa doppelt so hohe Industriestrompreise wie Deutschland und drei Mal so hohe wie die USA. Die Industrie hat natürlich gejammert. Doch was ist passiert? Japan stieg raketenartig zum technologischen Wettbewerbsführer der Welt auf, denken wir nur an Kameras, Industriekeramik, den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen und Hybridautos.
Aber für die Umwelt brächte nur das koordinierte Vorgehen vieler Länder eine nennenswerte Entlastung. Wen wollen Sie als Verbündeten gewinnen?
Ich plädiere für eine Allianz zwischen Europa und Asien.
Ausgerechnet Asien. China pustet inzwischen mehr CO2 in die Atmosphäre als jedes andere Land.
China ist im Moment immerhin das einzige Land auf der Erde, das die Erhöhung der Energieeffizienz verbindlich festgeschrieben hat. Das sehe ich nur ansatzweise in der EU und überhaupt nicht in den USA.
Woher rührt Ihr Vertrauen in die chinesische Führung?
Ministerpräsident Wen Jiabao und sein designierter Nachfolger Li Keqiang setzen sehr auf ökologische Nachhaltigkeit. Sie haben erkannt, dass Wachstum auf Dauer nur funktioniert, wenn dabei keine Ressourcen vergeudet werden.
Und die Amerikaner ignorieren das?
In den USA will man den Staat aus allen solchen Sachen heraushalten. Das kann auch ein vernünftiger Präsident wie Barack Obama nicht ändern.
Die Weltmacht USA verweigert sich einem Zukunftsdialog?
Unternehmen wie Google, General Electric und sogar Wal Mart sind ökologisch ganz vorn. Und Ökonomen wie Joseph Stiglitz und Paul Krugman sind Weltspitze beim Umdenken. In weiten Kreisen an der Ost- und Westküste denkt man wie wir in Europa. Das ändert aber noch nicht den Kongress, der ökologisch seit Jahren weitgehend untätig ist.
Eine Achse Europa–Asien würde diese Fortschrittlichen in den USA doch nur weiter in die Enge treiben?
Ganz im Gegenteil. Wenn Amerika sieht, wie sich der ungeliebte Machtblock Europa mit dem gefürchteten Machtblock Asien zusammentut, dann ist das eine verdammt gefährliche Nachricht für die Wall Street und für die Amerikaner. Dann krempeln sie die Ärmel hoch und denken: Wir waren auf dem falschen Dampfer.
Social Media ist kein Instrument zur Weltverbesserung
Ihre Strategie bewegt sich sehr auf der staatlich-politischen Ebene. Warum verbündet sich der Club of Rome nicht viel mehr mit Bürgerbewegungen, um die Mächtigen zum Handeln zu zwingen?
Der Druck von unten wird überschätzt.
Andere sagen: Ohne die neuen sozialen Medien wie Facebook und Twitter hätte es keinen arabischen Frühling gegeben.
Die Idee, dass sich die Welt wegen der sozialen Medien zum Besseren wendet, ist naiv. Es ist doch völlig klar, dass Faschisten, islamische Fundamentalisten und idiotische Exzentriker genauso fähig sind, sich über Facebook und Twitter zu verständigen, um ihren konspirativen Ideen nachzugehen. Wie naiv muss man sein zu glauben, nur der edle Aufbruch könne sich der sozialen Medien bedienen.
Dass sich auch Idioten dieses neuen Kommunikationskanals bedienen, diskreditiert ihn doch nicht per se.
Das sage ich auch überhaupt nicht. Ich bin nicht gegen diese neuen Medien, ich bin nur gegen deren Überschätzung.
Dennoch wollen Sie diese laut Ihrer Reformagenda künftig stärker nutzen. Was erhoffen Sie sich bei aller Kritik?
Ich bin recht optimistisch, dass sich aus einer Mischung von Frustration über das Jetzt und Innovationsgeist, der typischerweise in der jungen Generation herrscht, eine basisgeführte positive Bewegung entwickelt. Nur: Bisher ist die weitestgehend ohne Rezeptur und deswegen orientierungslos.
Warum reichern Menschen wie Sie die Diskussion dann nicht mit Substanz an, statt einfach rumzumäkeln?
Wir liefern ja Substanz; Mäkeln bleibt die Ausnahme.
Sie könnten zum Beispiel Plattformen unterstützen, über die sich Jugendliche zu einem weniger verschwenderischen Konsum verabreden.
Ja selbstverständlich. Es gibt diese Transition-Town-Bewegung, wo Menschen sich auch per Internet besprechen, wie sie ihre Kommunen nachhaltig gestalten können. Und es werden mehr Ökonahrungsmittel gekauft. Aber das alles ist allzu wenig im Vergleich zur Wucht des besinnungslosen Konsumwachstums weltweit.
Trotz der Ressourcenräuber Grund zur Hoffnung
Welche Maßnahmen würden dann aus Ihrer Sicht, abgesehen von den Preiserhöhungen für Ressourcen, wirklich etwas bringen?
Ganz oben steht bei mir die effizienz- und ökologieorientierte Sanierung der Altbaubestände.
Es muss doch mehr geben, als auf der ganzen Welt Häuser zu dämmen.
Ein anderes Feld sind die Verkehrssysteme. Die Schweizer schaffen es, Taktverkehr bis ins letzte Dorf zu bringen. Die Schaffung von Schnitt- stellen zwischen Individualverkehr und Massentransport ist immer noch völlig unterentwickelt. Dann Re-Manufacturing. Das heißt: Lediglich was verschlissen oder veraltet ist, wird ausgetauscht, aus allem anderen entsteht das Nachfolgeprodukt. Oder das Thema Recycling. Da haben wir speziell bei den kostbaren High-Tech-Metallen Wiederverwertungsraten von weniger als einem Prozent. Künftig müssen die Designer die Produkte von vornherein so gestalten, dass man etwa das in einem Flachbildschirm verwendete Indium am Ende einfach wieder rauszupfen kann.
Gibt es ein Projekt, das Sie ganz besonders fasziniert?
Weltweit gesehen ist die Blue Economy meines Freundes Gunter Pauli wirklich aussichtsreich.
Was müssen wir uns darunter vorstellen?
Es geht um eine Kaskaden-Ökonomie, die einen Rohstoff möglichst vollständig und immer wieder ausnutzt.
Haben Sie ein Beispiel?
Von Kaffeepflanzen werden nur 0,5 Prozent genutzt, nämlich die Bohne. Der Rest verrottet. Doch er gäbe einen idealen Nährboden etwa für die Zucht von essbaren Pilzen. So eingesetzt ist der Bioabfall ein idealer Dünger: Er schafft zudem Arbeitsplätze, Gewinne, soziale Sicherheit und eine Ernährungsgrundlage. Das nenne ich intelligentes Wirtschaften.
Es gibt also doch Grund zur Hoffnung?
Absolut. Nur: Ich bin auch dabei für Realismus, und zu dem gehört auch eine Portion Pessimismusverdacht. Was können die Räuber mit der Erde noch alles anstellen, wogegen wir uns wehren müssen? In diesem Sinne auf der Hut zu bleiben ist ganz wichtig. Alles andere wäre blauäugig.