Der 8. Juni war einer dieser gefürchteten Tage. Von der Ostsee bis zum Bodensee speisten Zehntausende Solaranlagen bei blauem Himmel unermüdlich Elektrizität in die Netze. Zur Mittagszeit brachten sie es auf eine Leistung von gut 20.000 Megawatt – das entspricht der Kapazität von 20 Kohlekraftwerken. Gebraucht werden in Deutschland an Samstagen wie dem 8. Juni in der Spitze rund 45.000 Megawatt. Die Sonne deckte also schon fast die Hälfte des Strombedarfs, wenn auch nur für wenige Stunden.
Ein Ausreißer – noch. Denn zunehmend verdrängen Watt und Volt aus erneuerbaren Quellen den Strom aus konventioneller Erzeugung. Und diese Entwicklung beschleunigt sich. Am 18. April dieses Jahres produzierten Windräder und Solarpanele erstmals mehr Strom als fossile Kraftwerke.
Deren Betreiber – E.On & Co. – müssen dann wegen der vorrangigen Einspeisung des Ökostroms ihre Kapazitäten drosseln – und verlieren Geld. Auch für die Stromkunden wird es an solchen Tagen teuer.
Denn ein großes Grünstrom-Angebot drückt den Preis je Kilowattstunde (kWh) an der Leipziger Strombörse regelmäßig von durchschnittlich derzeit knapp vier auf zwei Cent und weniger. Manchmal muss die Energie sogar verschenkt werden. Die Differenz zur Einspeisevergütung für die Produzenten müssen aber alle Stromkunden über die EEG-Umlage ausgleichen. Umweltminister Peter Altmaier befürchtet, dass sie nächstes Jahr von jetzt 5,3 auf mehr als 6,0 Cent je kWh steigen wird.
Tage mit hohem Sonnenstromangebot werden laut einer Studie der UBS zunehmend Alltag. Die Folge: Die konventionellen Kraftwerksbetreiber geraten noch mehr unter Druck. Die Subventionslasten für die Verbraucher hingegen werden abgemildert. Der Grund: Weil es selbst im sonnenarmen Deutschland inzwischen billiger ist, Strom auf dem Dach selbst zu produzieren, als ihn bei einem Energieversorger einzukaufen, werden sich laut UBS in den nächsten Jahren Zehntausende weitere Hausbesitzer eine Fotovoltaikanlage bestellen. „Das werden sie wegen des Spareffekts sogar tun, wenn es von morgen an keine garantierte Einspeisevergütung mehr gibt“, sagt deren Energieexperte Patrick Hummel. Aus dem gleichen Grund, so Hummel, werden auch immer mehr Dienstleister und Gewerbebetriebe Solaranlagen installieren.
Das aber bedeutet nicht weniger als einen Epochenwechsel. „Es beginnt das unsubventionierte Solarzeitalter“, schreiben die UBS-Analysten:
- Bis 2020 entstehen allein in Deutschland, Italien und Spanien zusätzliche Solarstromkapazitäten von 43.000 Megawatt – gänzlich ohne öffentliche Förderung.
- Im gleichen Jahr erzeugen private Haushalte in Deutschland schon fast ein Drittel ihres jährlichen Strombedarfs solar selbst.
- Die Nachfrage nach Elektrizität aus Kohle- und Gaskraftwerken sinkt wegen dieses Solarbooms um sechs Prozent.
Die Konsequenzen aus dieser Entwicklung bergen Zündstoff. Die Gewinne vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda) von Energieriesen wie RWE halbieren sich durchschnittlich bis 2020, prognostizieren die Schweizer.
Dagegen eröffnen sich für die Hersteller der Solaranlagen neue Chancen. Denn mit jedem Cent, den die Eigenproduktion gegenüber dem Stromeinkauf günstiger wird, wächst die Nachfrage. Hausbesitzer, die etwa 30 Prozent ihres jährlichen Elektrizitätsbedarfs mit einem eigenen Dachkraftwerk produzieren, zahlen 2020 schon rund vier Cent je kWh weniger, als würden sie ihren gesamten Strom vom Versorger beziehen. Die Anschaffung würde sich laut UBS nach spätestens elfeinhalb Jahren amortisieren – ohne jede Subvention. Ergänzen Anwender die Solarmodule um eine Batterie, sparen sie 2020 sogar knapp neun Cent je kWh gegenüber dem reinen Strombezug vom Versorger.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Marktforscher des Bonner Unternehmens EuPD: Danach lassen sich mit dem Kauf solarer Komplettsysteme inklusive Speicher schon Ende nächsten Jahres Renditen von sechs bis acht Prozent erzielen. Das ist in etwa so viel, wie reine Solaranlagen heute mithilfe der EEG-Vergütung einbringen. Deren Renditen sinken wegen der ständigen Förderkürzungen jedoch absehbar.
EuPD-Analyst Martin Ammon rät den deutschen Modul- und Zellherstellern, sich auf solche spezialisierten Komplettangebote zu konzentrieren. Dazu gehört auch eine Energiemanagement-Software, die den Eigenverbrauch optimiert, zum Beispiel indem sie Waschmaschine und Trockner einstellt, wenn die Dachanlage auf Hochtouren läuft. „Diese Komplexität beherrschen sie besser als chinesische Massenanbieter.“
Es ist die Chance für die deutsche Solarindustrie, vom globalen Fotovoltaikboom zu profitieren. Der Verband der europäischen Solarindustrie (Epia) schätzt, dass 2017 weltweit Anlagen mit einer Kapazität von mehr als 48.000 Megawatt installiert werden – gegenüber knapp 28.000 MW dieses Jahr.
Somit ist klar: Sonnenstrom wird zu einer tragenden Säule der weltweiten Energieversorgung – die Abgesänge waren verfrüht. Und sogar deutsche Hersteller können Hoffnung schöpfen.