Hans von Storch "Zu viele setzen nur auf steile Thesen"

Der Klimaforscher erhebt schwere Vorwürfe gegen den Weltklimarat IPCC. Er befürchtet, dass seine Zunft ihre Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie weiter selbst Politik machen will.

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Hans von Storch Quelle: Helmholtz

WirtschaftsWoche: Herr von Storch, die Menschheit bläst Jahr für Jahr mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre. Dennoch steigt die globale Durchschnittstemperatur seit 15 Jahren nicht mehr an. Ist die angebliche Erderwärmung ein Spuk?

Storch: Dafür sehe ich bisher keine Anhaltspunkte.

Kritiker sehr wohl. Können Sie das Rätsel lösen?

Es gab in der Vergangenheit schon Phasen, in denen die Erwärmung Pausen eingelegt hat, und auch die Klimamodelle beschreiben die langfristige Erwärmung so. Das hat der Weltklimarat IPCC nur nicht klar kommuniziert.

Um möglichst viel politischen Druck aufzubauen?

Das war wohl das Motiv. Es wurde der Eindruck erweckt, als müsse es stetig aufwärtsgehen mit den Temperaturen. Richtig wäre gewesen zu sagen, dass sie sich nach oben schlängeln. Dazu gehören auch Phasen der Stagnation. Die Story lässt sich nur nicht so schön erzählen.

Jüngste Studien kommen zu dem Schluss, der Einfluss des CO2-Anstiegs auf die Erwärmung werde überschätzt.

Die Wissenschaft ist vielstimmig. Daher gibt es viele Ergebnisse. Aber bevor man sie als Erklärung akzeptiert, muss man prüfen, ob sie wirklich robust sind. Dieser Prozess ist zuletzt bisweilen zu kurz gekommen.

Wie lange müsste der Stopp der Erderwärmung anhalten, damit Sie ins Grübeln kommen?

Wenn die Phase weitere zehn Jahre andauern würde, würde ich die These hinterfragen, dass die Treibhausgase wesentliche Ursache für die Erderwärmung sind. Es war ein Fehler, nicht abzuschätzen und zu sagen, wie lange die Stagnation sein kann, ohne inkonsistent zur Erklärung der klimatischen Erwärmung zu werden.

Der ehemalige Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt erklärt die Klimaveränderungen vor allem mit der schwankenden Sonnenaktivität.

Ich will nicht ausschließen, dass an seiner Hypothese etwas dran ist. Aber sie ist keineswegs so sicher, wie er dem Publikum glauben macht, sondern müsste erst einmal gründlich wissenschaftlich überprüft werden. In diesem Punkt unterscheidet er sich nicht von den Lautsprechern unter den Klimaforschern, die vor allem auf steile Thesen setzen.

Diese Regionen drohen zu verschwinden
NildeltaDer afrikanische Strom Nil versorgt Menschen in sieben Ländern mit Wasser und sorgt für fruchtbaren Boden. Von Ruanda und Burundi fließt er durch Tansania, Uganda, den Südsudan und den Sudan, durch Ägypten und mündet dann ins Mittelmeer. Gerade in Ägypten gilt der Fluss als Lebensader. In den nächsten zwölf Jahren könnte sich seine Bedeutung jedoch umkehren: Wenn die Meeresspiegel weiter ansteigen, würden die Menschen aus dem Nildelta von Überschwemmungen vertrieben. Quelle: obs
HalligenGenauso bedroht vom steigenden Meeresspiegel sind die zehn deutschen Halligen rund um die Insel Insel Pellworm vor der Küste Schleswig-Holsteins. Steigt der Meeresspiegel weiter, können die Bewohner der Halligen die Landwirtschaft nicht aufrecht erhalten - ihre Lebensgrundlage wäre bedroht. Stürme, häufigere Überflutungen und damit verbundene Bodenerosionen könnten die Halligen im Laufe der Zeit vollständig wegspülen. Quelle: dpa/dpaweb
WattenmeerSteigt der Meeresspiegel sehr schnell und hoch, könnte auch Wattenmeer komplett verschwinden. Damit würden tausende Vögel ihre Lebensgrundlage verlieren. Quelle: dpa
KilimandscharoDoch auch die Berge sind bedroht: Durch die Klimaerwärmung sind die Gletscher auf dem ostafrikanischen Kilimandscharo um 80 Prozent geschrumpft. In den nächsten drei bis vier Jahren soll die Schneedecke ganz verschwunden sein. Da wegen der globalen Erwärmung auch der Wolkenkranz, der die Spitze des Berges umschließt, weniger wird, ist die dortige Wasserversorgung gefährdet. Am Fuß des Mount Kilimanjaro lebt die Volksgruppe der Massai, außerdem tausende Tierarten wie Affen, Büffel, Elefanten, Pelikane, Raubkatzen, Nashörner, Zebras und Gazellen. Verschwinden die Wolken um den Kilimandscharo herum, verschwindet auch die Lebensgrundlage von Mensch und Tier. Quelle: dapd
GletscherAllgemein verschwinden Schnee und Eis von der Erdoberfläche - nicht nur in Ostafrika oder an den Polen. So sind beispielsweise auch die österreichischen Skigebiete wie Kitzbühel betroffen. Schon ein Temperaturanstieg von drei Grad reicht laut Geologen aus, um 80 Prozent der Alpengletscher abzutauen. Forscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 alle Alpen gletscherfrei sein werden. Quelle: gms
Namib-WüsteDeutsche Forscher sind erst im vergangenen Sommer in der Nähe der Wüste Namib in Namibia im Südwesten von Afrika auf riesige unterirdische Wasservorräte gestoßen. Trotzdem bleibt das Land vom Klimawandel gefährdet: Trocknet die Wüste noch stärker aus, könnten Wanderdünen Mensch, Tier und Pflanzen bedrohen. Laut Geologen reicht ein Temperaturanstieg von 2,1 Grad, damit Sandstürme und Wanderdünen aus der Namib-Wüste rund die Hälfte der Tier- und Pflanzenwelt auslöschen und das Leben der Menschen gefährden. Quelle: dpa
Amazonas-RegenwaldGut sechs Prozent der Vogel-, Amphibien- und Säugetierarten müssten im brasilianischen Amazonasbecken mittlerweile ausgestorben sein - weil der Regenwald dort seit vier Jahrzehnten zerstört wird. Ein Fünftel des Amazonas-Regenwalds ist bereits vollständig zerstört. Quelle: dpa

Gibt es andere Argumente der Klimaskeptiker, die sie überzeugen?

Nein. Die suggerieren – genau wie einige Klimaforscher –, sie wüssten alles ganz genau, und es gäbe keine Fragen mehr. Das ist genauso falsch.

Die Öffentlichkeit ist jedenfalls verwirrt und verliert den Glauben an die Zuverlässigkeit der Wissenschaft.

Das ist eine Folge, an der die Medien nicht unschuldig sind. Sie haben lieber denjenigen Klimaforschern eine Plattform geboten, die mit klaren Parolen den Zeitgeist bedienten, als denen, die differenziert argumentieren.

Jetzt sind wieder die Medien schuld.

Ich habe gesagt, sie waren nicht unbeteiligt. Aber die Hauptschuld liegt bei den vermeintlichen Experten, die keine Zweifel mehr kannten. Überverkaufen ruiniert das Vertrauen.

Wetterereignisse

Aus diesen Gründen schwitzt die Erde
Das BevölkerungswachstumDie Anzahl der Menschen auf der Erde wächst jedes Jahr um etwa 70 bis 80 Millionen Personen. Das entspricht fast der Bevölkerungsgröße Deutschlands. Bis 2050 soll laut Schätzungen der Vereinten Nationen die Weltbevölkerung auf knapp 10 Milliarden Menschen angewachsen sein. Dass die Kinder nicht hierzulande oder bei unseren europäischen Nachbarn geboren werden, ist hinreichend bekannt. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern in Afrika und Asien wächst die Bevölkerungszahl. Dadurch wächst auch der Bedarf an Rohstoffen, Energie, Wasser und Nahrung. Quelle: dpa
WirtschaftswachstumTrotz Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1992 hat sich der CO2-Ausstoß kaum verringert. Lediglich als 2009 aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Industriestätten weniger produzierten, sank der Wert der Kohlendioxidemission auf 784 Millionen Tonnen. Schon ein Jahr später lag der Wert wieder bei 819 Millionen Tonnen. Dabei entsteht ein Großteil der Emissionen in nur wenigen Ländern wie China, den USA und der EU. Quelle: dpa/dpaweb
AutomobileWährend Carsharing und der öffentliche Nahverkehr in Ländern wie Deutschland in Zeiten hoher Bezinkosten viele Anhänger findet, ist der weltweite Trend eindeutig ein anderer. Immer mehr PKW fahren über den Globus. 2010 wurde erstmals die 1.000.000-Marke geknackt. Besonders viele Autos pro Einwohner werden in Monaco und den USA gefahren. Quelle: dpa
Kohle, Kohle, KohleDer seit Mai 2012 stetig ansteigende Ölpreis hat dafür gesorgt, dass Kohle wieder an Attraktivität gewonnen hat. Die Wiederauferstehung der Kohle ist für die Umwelt eine Katstrophe. Laut BUND sind Kohlekraftwerke mehr als doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke. Die großen Dampfwolken aus den Kühltürmen der Kraftwerke machen ein anderes Problem deutlich: Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht meist als ungenutzte Wärme verloren. Quelle: dpa
AbholzungDas Handout der Umweltschutzorganisation WWF zeigt die illegale Abholzung eines Waldgebietes in Sumatra (Indonesien). Jährlich gehen knapp 5,6 Millionen Hektar Wald verloren. Die fortschreitende Abholzung von Regenwäldern trägt entsprechend mit zur globalen Erderwärmung bei. Denn die Wälder speichern Kohlendioxid. Quelle: dpa
RindfleischRinder sind wahre CO2-Schleudern. Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch in Brasilien erzeugt genauso viel klimaschädliches Kohlendioxid wie eine 1.600 Kilometer lange Autofahrt. In diese Rechnung fließen mehrere Faktoren ein. Zum einen können auf dem für die Rinder genutzten Weideland keine Wälder mehr wachsen. Zum anderen scheiden Rinder das klimaschädliche Gas Methan aus. Laut WWF sind in Deutschland fast 70 Prozent der direkten Treibhausemissionen auf die Ernährung mit tierischen Produkten zurückzuführen. Quelle: dpa
WegwerfgesellschaftNicht nur Unmengen an Verpackungsmüll produzieren die Deutschen. Wir schmeißen auch jede Menge Lebensmittel weg, pro Kopf etwa 100 Kilogramm pro Jahr. Auch diese Verschwendung wirkt sich massiv negativ auf das Klima aus. Quelle: dpa

Winter an Ostern in Deutschland, Wirbelstürme, Dürrekatastrophen – gibt es andere untrügliche Zeichen des Klimawandels?

Die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur bleibt der wesentliche Maßstab.

Einige Forscher zählen mehr extreme Wetterereignisse und werten sie als Beleg für den Treibhauseffekt.

Da wäre ich vorsichtig. Die Zahl der Hitzewellen hat statistisch auffällig zugenommen, was konsistent ist mit der globalen Erwärmung. Wir sollten aufhören, jede Wetterkapriole zum Menetekel des Klimawandels zu stilisieren. Die Klimaforscher, und damit meine ich natürlich die, die derzeit nach außen den Ton angeben, sollten lieber ihre Rolle neu diskutieren.

Soll heißen?

Sie dürfen nicht länger den Eindruck erwecken, als wäre infolge der wissenschaftlichen Ergebnisse klar, welche Politik zu befolgen ist. Dafür sind die politischen Fragen zu komplex und die Folgen der Entscheidungen viel zu weitreichend.

Wo mischen sich Klimaforscher zu Unrecht ein?

Sie sollten zum Beispiel nicht über die Autoindustrie oder die Energiewende sprechen, weil sie davon nicht mehr verstehen als jeder Bürger. Sie haben keine höhere Deutungsmacht.

Und was muss sich innerhalb der Gemeinde der Klimaforscher ändern?

Sie muss selbstkritischer mit ihren eigenen Aussagen umgehen und bereit sein, Minderheitsmeinungen und Einwände von außen ernsthaft zu prüfen. Vor allem aber darf sie nicht der Versuchung erliegen, im Nachhinein die Theorie zu reparieren, damit die Beobachtungen passen. Sondern sie muss fragen, was bedeuten diese für die Theorie: Ist sie bestätigt oder falsch?

Ist der Weltklimarat zu solchen Reformen bereit?

Nach meinem Eindruck nicht. Im IPCC hat sich so eine Art Adel etabliert, der seine Arbeiten gegenseitig beurteilt und wenig Lust hat, Kritik von außen zuzulassen.

Das klingt nach Selbstzerstörung.

Besinnt sich der Mainstream der Klimaforschung nicht neu, droht unserer Disziplin das Schicksal der Atomphysiker. Die waren in den Fünfzigerjahren die Elite der Wissenschaft überhaupt. Heute hört ihnen kaum noch jemand zu.

Der Vergleich ist etwas schräg.

Nicht unbedingt. Die Wissenschaftler haben damals – ebenso wie manch führender Klimaforscher heute – Probleme heruntergespielt und Sorgen und Einwände einfach weggewischt. Am Ende hatten sie ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt.

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