Man stelle sich vor, dass Mitarbeiter des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf jedem Geflügelhof regelmäßige Hühnerzählungen durchführen – damit nachher klar ist, ob die Eier nun Bio sind oder nicht. "Bei uns gab es seit Jahren keine Stoffe in Lebensmitteln, die die Gesundheit ernsthaft gefährden, aber wir reagieren sehr empfindlich auf die bloße Gefahr", gibt Kepplinger zu bedenken. Selbst im BSE-Skandal in den 1990er Jahren sei die Wahrscheinlichkeit, Fleisch von einem erkrankten Tier zu essen, geringer als 0,1 Prozent gewesen.
Natürlich dürfen Verbraucher nicht betrogen werden, natürlich muss in einem Produkt drin sein, was draufsteht und ein Bio-Ei soll auch wirklich Bio sein. Aber Lebensmittelkontrolleure sollten in aller Regel nach wirklich gefährlichen Stoffen in Nahrungsmitteln suchen, statt nach falschen Etiketten. Pferd im Rinderhack ist eine Sauerei, aber „Pferdefleisch an sich ist aber keine Gefahrenquelle“, so Kepplinger.
Keine Gefahr für Leib und Leben
Nun fragt sich Goldmann von der FDP im Eierskandal, warum es so lange gedauert habe, bis die Betrugsfälle ans Licht gekommen seien. Die Antwort kann ihm Kepplinger geben: „Im Fall der Bio-Eier ermittelt die Staatsanwaltschaft seit anderthalb Jahren. Und auf einmal nimmt sich der neue niedersächsische Agrarminister des Falles an und macht sich zum Anwalt der Verbraucher.“ Ein Vorgehen, das es bisher bei jedem Lebensmittelskandal gegeben habe. Es besteht zwar eine Täuschung, aber keinerlei Gefahr für Leib und Leben. Dann springen Medien und Politiker auf den Zug auf und spielen den Fall künstlich hoch. Kepplinger bekräftigt: „Es gibt keine reale Bedrohung“, aber für das Ansehen eines Politikers und auch einer Verbraucherschutzorganisation kann ein solcher Skandal förderlich sein.
Durch stetige Wiederholung auf allen Kanälen – sei es in Zeitungen, im Radio, Fernsehen oder Online, werden die Ängste der Verbraucher vor dem letalen Schnitzel oder dem giftigen Frühstücksei am Leben gehalten.
Der Konsument schaut weg
Denn, so sagt Kepplinger, „Fast alle Lebensmittelskandale haben etwas mit unästhetischen Dingen zu tun - mit Schlachtung, mit Mikroben - das ekelt uns, da wollen wir nicht genau hinsehen.“ Wir haben ein verschrobenes Verhältnis zu unserem Essen. Die abgepackte Wurst im Supermarkt hat nichts mit Tieren zu tun, die per Bolzenschussgerät betäubt und anschließend abgestochen werden. Sie ist ein Produkt, das wie von Zauberhand im Regal landet. Das Brathähnchen von der Bude im Supermarkt ist vielen schon zu unappetitlich – schließlich erkennt man das Tier noch. Das Problem an dieser „essen ja, wissen nein“-Haltung ist laut Kepplinger folgendes: „Je weniger direkten Kontakt der Mensch zur Lebensmittelproduktion hat, desto wahrscheinlicher werden Skandale.“ Das heißt, dass wir weiterhin regelmäßig Lebensmittelskandale haben werden, solange wir die anonyme Currywurst-Pommes für 2,50 Euro dem frisch geschlachteten Schwein vom nächstgelegen Bauernhof vorziehen.