Die Verunsicherung der Verbraucher ist groß: Erst taucht europaweit in zahlreichen Fertigprodukten Pferdefleisch auf, obwohl auf der Packung nur Rindfleisch ausgewiesen ist, dann entpuppen sich vermeintliche Bio-Eier als Massentierhaltungsprodukt. Politik, Medien und Verbraucherschützer klagen und entwickeln drei- bis zehn-Punkte-Pläne, mit denen solche Lebensmittelskandale künftig verhindert werden sollen. Nur: ändern wird sich wohl kaum etwas. Zu groß sind die Barrieren auf allen Ebenen.
Es fehlt an Kontrolleuren
Rechtsverstöße, wie das falsche Etikett auf eine Packung kleben, um letztlich mehr zu verdienen, lassen sich nicht abschalten. Derzeit wird der Ruf nach mehr Kontrollen von Lebensmitteln lauter. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will, dass auch bei verarbeiteten Lebensmitteln klar auf dem Etikett steht, wo das Fleisch herkommt. Viele Verbraucher sind nun auch noch wegen des Betrugs mit Bio-Eiern verunsichert. Millionen Eier vor allem aus Niedersachsen sollen als Bio-Eier verkauft worden sein, obwohl sie nicht vorschriftsgemäß produziert wurden.
"Kontrollen dürfen nicht nur vom Schreibtisch aus stattfinden"
Der Vorsitzende des Bundestags-Verbraucherausschusses, Hans- Michael Goldmann (FDP), forderte wegen des Eier-Skandals eine schärfere Überwachung. „Wir benötigen intensivere und fachlich bessere Lebensmittelkontrollen. Derzeit sind bundesweit 2400 Prüfer unterwegs, auf einen Kontrolleur kommen 1200 Betriebe. „Dadurch können wir nicht den spürbaren Überwachungsdruck auf die Branche ausüben, der notwendig wäre“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller.
Wenn unwichtiges kontrolliert wird
Natürlich würden mehr Kontrollen dazu führen, dass Skandale schneller entdeckt würden und nicht Jahre lang unerkannt Verbraucherbetrug betrieben wird. Da ist sich auch der als Skandalforscher bekannte Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung an der Universität Mainz, sicher. Es sei aber natürlich auch immer alles eine Frage der Kosten. Die Kontrollen finanziere schließlich der Steuerzahler. Und man müsse darauf achten, ob der Aufwand auch im Verhältnis zum Ertrag stehe.
Die Politik macht sich Lebensmittelskandale zu Nutze
Man stelle sich vor, dass Mitarbeiter des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf jedem Geflügelhof regelmäßige Hühnerzählungen durchführen – damit nachher klar ist, ob die Eier nun Bio sind oder nicht. "Bei uns gab es seit Jahren keine Stoffe in Lebensmitteln, die die Gesundheit ernsthaft gefährden, aber wir reagieren sehr empfindlich auf die bloße Gefahr", gibt Kepplinger zu bedenken. Selbst im BSE-Skandal in den 1990er Jahren sei die Wahrscheinlichkeit, Fleisch von einem erkrankten Tier zu essen, geringer als 0,1 Prozent gewesen.
Natürlich dürfen Verbraucher nicht betrogen werden, natürlich muss in einem Produkt drin sein, was draufsteht und ein Bio-Ei soll auch wirklich Bio sein. Aber Lebensmittelkontrolleure sollten in aller Regel nach wirklich gefährlichen Stoffen in Nahrungsmitteln suchen, statt nach falschen Etiketten. Pferd im Rinderhack ist eine Sauerei, aber „Pferdefleisch an sich ist aber keine Gefahrenquelle“, so Kepplinger.
Keine Gefahr für Leib und Leben
Nun fragt sich Goldmann von der FDP im Eierskandal, warum es so lange gedauert habe, bis die Betrugsfälle ans Licht gekommen seien. Die Antwort kann ihm Kepplinger geben: „Im Fall der Bio-Eier ermittelt die Staatsanwaltschaft seit anderthalb Jahren. Und auf einmal nimmt sich der neue niedersächsische Agrarminister des Falles an und macht sich zum Anwalt der Verbraucher.“ Ein Vorgehen, das es bisher bei jedem Lebensmittelskandal gegeben habe. Es besteht zwar eine Täuschung, aber keinerlei Gefahr für Leib und Leben. Dann springen Medien und Politiker auf den Zug auf und spielen den Fall künstlich hoch. Kepplinger bekräftigt: „Es gibt keine reale Bedrohung“, aber für das Ansehen eines Politikers und auch einer Verbraucherschutzorganisation kann ein solcher Skandal förderlich sein.
Durch stetige Wiederholung auf allen Kanälen – sei es in Zeitungen, im Radio, Fernsehen oder Online, werden die Ängste der Verbraucher vor dem letalen Schnitzel oder dem giftigen Frühstücksei am Leben gehalten.
Der Konsument schaut weg
Denn, so sagt Kepplinger, „Fast alle Lebensmittelskandale haben etwas mit unästhetischen Dingen zu tun - mit Schlachtung, mit Mikroben - das ekelt uns, da wollen wir nicht genau hinsehen.“ Wir haben ein verschrobenes Verhältnis zu unserem Essen. Die abgepackte Wurst im Supermarkt hat nichts mit Tieren zu tun, die per Bolzenschussgerät betäubt und anschließend abgestochen werden. Sie ist ein Produkt, das wie von Zauberhand im Regal landet. Das Brathähnchen von der Bude im Supermarkt ist vielen schon zu unappetitlich – schließlich erkennt man das Tier noch. Das Problem an dieser „essen ja, wissen nein“-Haltung ist laut Kepplinger folgendes: „Je weniger direkten Kontakt der Mensch zur Lebensmittelproduktion hat, desto wahrscheinlicher werden Skandale.“ Das heißt, dass wir weiterhin regelmäßig Lebensmittelskandale haben werden, solange wir die anonyme Currywurst-Pommes für 2,50 Euro dem frisch geschlachteten Schwein vom nächstgelegen Bauernhof vorziehen.
Der ewige Verhaltenskreislauf
Doch auch mit dem Bioschwein ist die Gefahr nicht gebannt. „ Zu glauben, wenn man alles an sich heranholt und auf den Biobauernhof verlagert, würde alles verbessern, wäre naiv“, sagt der Skandalforscher. „Auch die Hühner und Schweine vom Biobauern werden geschlachtet.“ Vielleicht würden die Skandale dadurch seltener, aber es gäbe sie. Und wir würden uns wieder nur dann damit beschäftigen, wenn es akut – sprich: medial allgegenwärtig – ist. Ansonsten will man es lieber gar nicht so genau wissen.
Verbraucher hat eine Verantwortung
Die Betrachtungen des Risikoforschers sind erschreckend – vor allem, wenn man einen Blick auf den Konsumenten in diesem Chaos wirft. Wir Endverbraucher erfahren in unzähligen Presseberichten von globalen Lieferketten, die kaum zu kontrollieren sind. Wir lesen mal von Pandemien, mal von Panikmache und dann wieder von Forderungen der Politiker. Es ist ein Kreislauf: Erst ist das Geschrei groß, der Konsument dadurch verunsichert, für eine gewissen Zeit verzichtet er dann auf bestimmte Lebensmittel – bis der Alltag wieder Einzug erhält und damit die gewohnten Verhaltensmuster.
Natürlich konnte kein Verbraucher ahnen, dass Pferdefleisch in der Tiefkühl-Lasagne ist. Dass die Hack-Kost für 1,99 Euro aber nicht sonderlich nachhaltig produziert sein kann, dürfte jedem halbwegs aufgeklärten Menschen klar gewesen sein. Gleiches gilt für die beliebten schwedischen Hackbällchen bei IKEA. Dennoch wurde wider besseres Wissen beherzt zugegriffen. So schwierig die Stellschrauben im Bereich der Lebensmittelkontrollen zu lösen sind, der Verbraucher hat eine Verantwortung, die er durchaus wahrnehmen kann. Dafür muss das Gewohnheitstier Mensch allerdings seine üblichen Verhaltensmuster durchbrechen. Genau hierin besteht ein Problem, das Georg Felser, Konsumpsychologe an der Hochschule-Harz, intensiv studiert hat.
Das Gewohnheitstier Mensch
„Selbst wenn man weiß, was richtig ist, hat man noch lange keine konkrete Vorstellung davon, was man eigentlich tun kann“, sagt er. Konkret bedeutet das, dass man seine gut gemeinten Absichten zu konkreten Arbeitsschritten herunterbrechen muss. Die Idee, auf Billig-Kost zu verzichten, reicht also nicht. Es muss im Gehirn die Entscheidung verankert werden, sich an der Tiefkühltheke auch entsprechend zu verhalten. Die Tatsache, dass wir über vieles nicht mehr nachdenken, sondern einfach machen, erschwert diesen Prozess. „Wenn die entsprechende Situation auftaucht, muss ich mich auch an meinen Entschluss erinnern“, erklärt Felser. Dieser Transfer der Entscheidung, die beim Nachrichten gucken auf dem Sofa getroffen wurden, hin zu einem Handeln im Supermarkt ist ein Vorgang, der sich nicht nur bewusst verankern muss – er muss auch immer wieder wiederholt und so gelernt werden. „Ein Umdenken setzt nur durch Übung ein“, ist sich der Konsumpsychologe sicher.