IPCC Kritik am UN-Klimarat wird lauter

Viel Aufwand für zu wenig Erkenntnis? Kritiker aus Politik und Wissenschaft diskutieren die Zukunft des UN-Klimarats IPCC. Erste Ideen liegen bereits vor.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Foto einer Grafik zur globalen Erderwärmung Quelle: dpa

Gemessen am politischen Wirbelsturm, den der letzte Weltklimabericht ausgelöst hat, blieb es in dieser Woche bemerkenswert windstill. Statt mit neuen Alarmmeldungen zu schocken, fällt die jüngste Arbeit der Forscher des UN-Klimarats zum Klimawandel durch viel Einerseits-Andererseits auf.

Einerseits, schreiben sie in ihrer am Freitag in Stockholm vorgestellten Analyse, dürften die Meere etwas höher steigen als gedacht. Andererseits klettere die Temperatur etwas weniger als erwartet. So steht es im fünften Bericht der Experten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).

Kopfzerbrechen bereitet den Forschern vor allem, warum sich die Luft an der Erdoberfläche seit 2001 nicht weiter erwärmt hat. Es gibt Hypothesen – etwa eine größere Wärmeaufnahme durch die Ozeane –, aber keine befriedigende Erklärung.

Die Ungewissheit deckt sich mit der Lage des IPCC selbst. Denn auch die Zukunft des zwischenstaatlichen Expertengremiums ist ungewiss. Sowohl auf politischer Ebene als auch in der Wissenschaft fragen sich viele, ob sich Aufwand und Nutzen noch die Waage halten. Immerhin beugen sich für die Berichte Hunderte von Wissenschaftlern fünf bis sechs Jahre lang über Klimastudien, diskutieren deren Wert und fassen sie für die Politik zusammen.

„Das letzte Gutachten“ betitelte denn auch das renommierte Wissenschaftsmagazin „Nature“ einen aktuellen Leitartikel. „Es ist fraglich, ob wir den besten Nutzen aus unseren wissenschaftlichen Ressourcen ziehen, wenn wir jetzt gleich den nächsten Sachstandsbericht vorbereiten – er würde unermesslich viel Zeit und Energie verbrauchen“, heißt es darin.

Zumal es für die Erkenntnisse am Ende zuweilen heftige Kritik hagelt. Gerade der berühmte Fehler im letzten Bericht mit dem angeblichen Abschmelzen der Himalaya-Gletscher bis zum Jahr 2035 wurmt die Klimaforscher. Dabei passierte der Fehler in Arbeitsgruppe 2, die gar nicht zuständig war. Arbeitsgruppe 1 gab den Wissensstand zum Himalaya korrekt wieder; doch das ging im politischen und medialen Getöse unter.

Neue Aufgaben: Kurzberichte zu spezifischen Einzelthemen

Diese Regionen drohen zu verschwinden
NildeltaDer afrikanische Strom Nil versorgt Menschen in sieben Ländern mit Wasser und sorgt für fruchtbaren Boden. Von Ruanda und Burundi fließt er durch Tansania, Uganda, den Südsudan und den Sudan, durch Ägypten und mündet dann ins Mittelmeer. Gerade in Ägypten gilt der Fluss als Lebensader. In den nächsten zwölf Jahren könnte sich seine Bedeutung jedoch umkehren: Wenn die Meeresspiegel weiter ansteigen, würden die Menschen aus dem Nildelta von Überschwemmungen vertrieben. Quelle: obs
HalligenGenauso bedroht vom steigenden Meeresspiegel sind die zehn deutschen Halligen rund um die Insel Insel Pellworm vor der Küste Schleswig-Holsteins. Steigt der Meeresspiegel weiter, können die Bewohner der Halligen die Landwirtschaft nicht aufrecht erhalten - ihre Lebensgrundlage wäre bedroht. Stürme, häufigere Überflutungen und damit verbundene Bodenerosionen könnten die Halligen im Laufe der Zeit vollständig wegspülen. Quelle: dpa/dpaweb
WattenmeerSteigt der Meeresspiegel sehr schnell und hoch, könnte auch Wattenmeer komplett verschwinden. Damit würden tausende Vögel ihre Lebensgrundlage verlieren. Quelle: dpa
KilimandscharoDoch auch die Berge sind bedroht: Durch die Klimaerwärmung sind die Gletscher auf dem ostafrikanischen Kilimandscharo um 80 Prozent geschrumpft. In den nächsten drei bis vier Jahren soll die Schneedecke ganz verschwunden sein. Da wegen der globalen Erwärmung auch der Wolkenkranz, der die Spitze des Berges umschließt, weniger wird, ist die dortige Wasserversorgung gefährdet. Am Fuß des Mount Kilimanjaro lebt die Volksgruppe der Massai, außerdem tausende Tierarten wie Affen, Büffel, Elefanten, Pelikane, Raubkatzen, Nashörner, Zebras und Gazellen. Verschwinden die Wolken um den Kilimandscharo herum, verschwindet auch die Lebensgrundlage von Mensch und Tier. Quelle: dapd
GletscherAllgemein verschwinden Schnee und Eis von der Erdoberfläche - nicht nur in Ostafrika oder an den Polen. So sind beispielsweise auch die österreichischen Skigebiete wie Kitzbühel betroffen. Schon ein Temperaturanstieg von drei Grad reicht laut Geologen aus, um 80 Prozent der Alpengletscher abzutauen. Forscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 alle Alpen gletscherfrei sein werden. Quelle: gms
Namib-WüsteDeutsche Forscher sind erst im vergangenen Sommer in der Nähe der Wüste Namib in Namibia im Südwesten von Afrika auf riesige unterirdische Wasservorräte gestoßen. Trotzdem bleibt das Land vom Klimawandel gefährdet: Trocknet die Wüste noch stärker aus, könnten Wanderdünen Mensch, Tier und Pflanzen bedrohen. Laut Geologen reicht ein Temperaturanstieg von 2,1 Grad, damit Sandstürme und Wanderdünen aus der Namib-Wüste rund die Hälfte der Tier- und Pflanzenwelt auslöschen und das Leben der Menschen gefährden. Quelle: dpa
Amazonas-RegenwaldGut sechs Prozent der Vogel-, Amphibien- und Säugetierarten müssten im brasilianischen Amazonasbecken mittlerweile ausgestorben sein - weil der Regenwald dort seit vier Jahrzehnten zerstört wird. Ein Fünftel des Amazonas-Regenwalds ist bereits vollständig zerstört. Quelle: dpa

Tatsächlich mehren sich Forderungen, man möge die großen Zusammenfassungen abschaffen – selbst wenn manche Wissenschaftler und Politiker beteuern, die großen Klimaberichte des IPCC seien als Grundlage für den Klimaschutz unverzichtbar. Bloß: Zu einem globalen Abkommen über verpflichtende Emissionsminderungen haben die kiloschweren Klimaberichte bisher nicht geführt. Dabei wird der IPCC im November schon 25 Jahre alt.

Möglicherweise steht ihm deshalb nun eine große Reform ins Haus. Denn in Fachkreisen grummelt es schon länger. Als Reaktion darauf bat das IPCC-Sekretariat die Mitgliedsländer im März 2013, Vorschläge zur Zukunft des Gremiums zu machen.

Erste Ideen liegen bereits vor. Ein Teil der Informationen in den Berichten sei schnell veraltet, die Schlussfolgerungen seien nicht immer nachvollziehbar, heißt es etwa aus Den Haag. Statt Universalberichten wie bisher wünschen sich Niederländer und US-Amerikaner daher vom IPCC mehr spezialisierte Arbeiten zu Einzelthemen.

Extremwetter als Vorbild

Als positives Beispiel gilt etwa der Bericht zum Extremwetter, der 2012 erschien. Der Klimaforscher Martin Claußen am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg sieht das ähnlich: „Ich kann mir gut vorstellen, dass kürzere Berichte zu spezifischen Themen nützlicher wären.“

Der Wert der wissenschaftlichen Begutachtung durch den IPCC liegt auch darin, dass sich die Welt auf den Klimawandel vorbereitet – da sie ihn schon nicht verhindert. Dann aber sollten Informationen zu den regionalen Auswirkungen der globalen Erwärmung besser aufbereitet werden, fordern viele.

Hans von Storch vom Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht bei Hamburg schlägt etwa vor, dass die Regionalberichte von Experten vor Ort verfasst werden – und nicht von Auswärtigen. Die wissenschaftliche Güte der Regionalberichte, so meint von Storch, sollte dann aber der IPCC bescheinigen.

So viel zumindest scheint bei aller Ungewissheit klar: Die Funktion des Gremiums wird sich wandeln, überlebt hat es sich noch nicht.

Klima | Kritiker fordern, die Aufgaben des UN-Klimarats IPCC neu zu definieren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%