Klimawandel Die Zeit für eine neue Klimapolitik ist reif

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Forscher in Erklärungsnot

Die gröbsten Schnitzer des Weltklimarats
Die Zahl der Wirbelstürme nimmt zuWahrscheinlich werde die Aktivität tropischer Wirbelstürme – dazu zählen beispielsweise Hurrikane und Taifune – künftig zunehmen, verkündete der Weltklimarat 2007. Belege für diese Entwicklung gab es schon damals kaum überzeugende. Jetzt die Kehrtwende: Die Experten erkennen an, dass die Prognosen über Stürme zu unzuverlässig sind, und behandeln das Thema nur noch als Randnotiz. Nun sehen sie nurmehr eine schwache Tendenz für stärkere Stürme voraus – begrenzt auf den Nordatlantik und den westlichen Nordpazifik. Quelle: dpa/dpaweb
Die Sache mit dem Hockeyschläger2001 veröffentlichte das IPCC die berüchtigte Hockeyschläger-Kurve. Sie sollte zeigen: Die Erdtemperatur auf der Nordhalbkugel war über Jahrhunderte weitgehend konstant. Erst mit der Industrialisierung und dem damit verbundenen verstärkten Ausstoß von CO2 stieg sie steil an. Bald korrigierten neuere Rekonstruktionen der Klimahistorie das eingängige Bild. Sie zeigen, dass die Temperaturen auch früher stark pendelten. So war es vor 900 Jahren schon einmal annähernd so warm wie heute. Es entstand der Verdacht, dass Forscher um den US-Klimatologen Michael Mann die Kurve zum Klimaverlauf „geglättet“ hatten, um die Dramatik zu betonen. Quelle: Creative Commons
Das arktische Meereis schmilztIn ihrem vorherigen Klimabericht aus dem Jahr 2007 waren sich die IPCC-Experten noch ziemlich sicher: Rings um den Südpol werde das Meereis schrumpfen, schrieben sie. Aktuelle Messungen und Satellitenbilder haben diese Prognose widerlegt. Sie zeigen im Gegenteil sogar eine Zunahme des Packeises. Im gerade veröffentlichten fünften Klimabericht gesteht das Wissenschaftlergremium seinen Irrtum ein. Jetzt halten die Forscher es für eher unwahrscheinlich, dass das antarktische Eisschild rasch an Umfang und Volumen verlieren wird. Anders in der Arktis: Am Nordpol schmilzt das Eis tatsächlich. Quelle: dpa
Die Himalaya-Gletscher verschwindenEbenfalls im Bericht von 2007 schreckte der UN-Klimarat die Welt mit der Nachricht, schon im Jahr 2035 seien die Gletscher im Himalaja vollständig aufgetaut. Käme es so, wären 1,4 Milliarden Menschen in der Region ihres Trinkwasserreservoirs beraubt. Doch bald erwies sich das Horrorszenario als Fehlalarm. Es beruhte auf Angaben der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature und schlecht recherchierten Zeitungsartikeln. Erst spät gestand das Gremium den Patzer ein. Er basierte zudem auf einem Zahlendreher: Wenn überhaupt, sollte das Eis frühestens 2350 verschwunden sein. Quelle: dapd
In Afrika drohen große ErnteausfälleAuch die Behauptung, den Afrikanern drohten infolge des Klimawandels massive Ernteausfälle, hatte 2007 den Weg in den vierten Sachstandsbericht gefunden. Die Ernten, hieß es da, würden sich in einigen Ländern bis 2020 womöglich halbieren. In Wirklichkeit bezog sich diese Prognose nur auf drei Staaten am Mittelmeer. Zudem war die wissenschaftliche Qualität der Studie fragwürdig. Offenbar sind die IPCC-Forscher aus dem Schaden klug geworden: Zumindest im Entwurf für den Teilbericht II des Klimareports, den sie kommenden März vorlegen, wiederholen sie die Dürrewarnung nicht. Quelle: dpa

Irgendetwas an den bisherigen Simulationen, so viel ist klar, kann nicht stimmen. Das Klima reagiert offenbar weit weniger sensibel auf den Anstieg der Treibhausgase als befürchtet.

Trotz dieses Befunds wird nicht automatisch alles gut. Die Gefahren einer Erderwärmung sind nicht ausgeräumt. Auch wenn Klimaskeptiker die Ungereimtheiten der Forschung jetzt dazu ausschlachten, dem Publikum genau dies zu suggerieren. Das aber ist ebenso unverantwortlich wie die Horrorgemälde der Mahner.

Nicht auszuschließen ist zum Beispiel, dass die Risiken an ganz anderer Stelle auftauchen, als die Klimatologen bisher vermuteten. Gerade hatten diese in Stockholm verhaltene Entwarnung für die Weltmeere gegeben, da meldeten sich in London Meeresforscher zu Wort. Ihre Warnung: Das CO2 versaure die Ozeane so stark wie zuletzt vor 300 Millionen Jahren. Mögliche Folge: Selbst Gewässer wie vor Maine, wo die Fischbestände wegen der Erwärmung gerade stark zunehmen, könnten sich in Todeszonen verwandeln.

Es wäre kurzsichtig, solche Risiken zu ignorieren. Niemand kann wollen, dass eine Nahrungsquelle für Milliarden Menschen versiegt. Doch der Streit der Experten zeigt auch, auf welch unsicherer Basis sich viele wissenschaftliche Aussagen zu Ursachen und Wirkung des Klimawandels bewegen. Weit öfter gibt es mehr Fragen als Antworten.

Die Verfasser des aktuellen Klimareports räumen diese Unsicherheiten an vielen Stellen erstmals ein, anstatt sie wegzudiskutieren. Das ist ein Fortschritt – und zugleich Anlass, die bisherige Klimapolitik neu zu justieren. Der Däne Bjørn Lomborg, Leiter des Copenhagen Consensus Center, sieht stellvertretend für viele Kritiker des IPCC in dem Report die große Chance, „die Klimadiskussion endlich realistischer und intelligenter zu führen“. Die Triebfedern, so ihr Appell, sollten diesmal Rationalität und wirtschaftliche Vernunft statt Alarmismus und blinder Aktionismus sein.

Die Reiter der Apokalypse dagegen malten wahre Schreckensbilder, um die Menschen auf ihren Kurs einzuschwören. Die Spiegel der Meere könnten bis 2100 um bis zu sechs Meter ansteigen und New York überfluten, prophezeite etwa der frühere US-Vizepräsident Al Gore. Selbst ein besonnener Mann wie der Ex-Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern ließ sich dazu hinreißen, mit Rechentricks einen Schaden von 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts herbeizurechnen Am Ende musste der Professor einräumen, zu hoch gegriffen zu haben.

Politiker fast aller Couleur ließen sich dennoch nicht zwei Mal bitten. Unter Berufung auf den Stern-Report und die Berichte des IPCC, erließen sie in schneller Folge Gesetze und erfanden Instrumente, die Wirtschaft und Verbrauchern Milliardenlasten aufbürden. Es war chic und galt als förderlich für die Wiederwahl, sich als Klimaretter zu präsentieren. Dass viele Maßnahmen auf äußerst unsicheren Annahmen der Klimaforschung beruhten, störte augenscheinlich nur wenige Mahner.

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