WirtschaftsWoche: Herr Orphal, auf einer Skala von 1 bis 100: Wie sicher sind Sie und Ihre Kollegen, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist?
Oprhal: Ohne zu zögern: 100. Der Mensch hat mit seinen Treibhausgasemissionen schon heute eine deutliche Erderwärmung ausgelöst.
Der Chemiker und ehemalige RWE-Manager Fritz Vahrenholt hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er behauptet, die Sonne sei schuld an der Erderwärmung und nicht der vom Menschen. Was stimmt denn nun?
Es gibt zwar auch verschiedene natürliche Faktoren, aber die Behauptung, der Einfluss der Sonne wäre wichtiger als die Treibhausgasemissionen ist nicht wissenschaftlich begründbar. Die Variabilität der Sonne hat, soweit wir es heute wissen, einen weitaus geringeren Einfluss als der Mensch.
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Herr Vahrenholt behauptet, dass natürliche Einflüsse wie die Sonnenaktivität noch gar nicht genug erforscht sind, um sie als Hauptfaktor des Klimawandels auszuschließen.
Es ist überhaupt nicht wahr, dass in Deutschland an keiner Universität und keinem Lehrstuhl darüber geforscht werden darf, wie groß der Anteil der natürlichen Einflüsse am Klimawandel ist, wie Vahrenholt sagt. An meinem Institut, wie auch an vielen anderen, wird schon lange zu diesen Fragen gearbeitet. Wir haben vor zwei Jahren am KIT eine neue Forschergruppe sogar ausschließlich zum Thema „Sonnenvariabilität und Klima“ eingerichtet. Bisher zeigen die Ergebnisse aber, dass der Einfluss eher gering ist.
Aber wie erklären Sie, dass in den vergangenen zehn Jahren die Temperaturen global kaum gestiegen sind, wo doch die CO2-Emissionen sehr stark zunehmen?
Es ist keine Überraschung, dass es nicht immer eine einfache, lineare Temperaturzunahme gibt. Das Klimasystem der Erde ist sehr kompliziert. Es gibt viele starke Kopplungen zwischen verschiedenen atmosphärischen Prozessen. Dazu gehört die Wolkenbildung, aber auch die Strömungen in den Ozeanen und Veränderungen auf der Erdoberfläche, wie Schnee, Eisvorkommen und Vegetation.
Wenn die Temperatur nunmehr langsam steigt, können wir dann Entwarnung geben?
Nein, weil ein Betrachtungszeitraum von zehn Jahren viel zu kurz ist, um überhaupt von „Klima“ zu sprechen. Wir betrachten in der Klimaforschung generell viel längere Zeitabschnitte, und da ist die Temperaturzunahme sehr deutlich zu sehen. Ein einzelner frostiger Winter oder sehr heißer Sommer sagen noch gar nichts über den Klimawandel aus.
„Niemand weiß, wie sich die Erde 2100 verhält“
Nun geben auch Skeptiker wie Vahrenholt zu, dass Treibhausgase die Erde erwärmen - aber nur um höchstens ein Grad. Wie kommt es zu den Vorhersagen des Weltklimarates, dass sich die Erde künftig um bis zu sechs Grad erwärmen könnte?
Das hängt unter anderem mit den schon angesprochenen Rückkoppelungseffekten zusammen. Sie sind es, die die vom CO2 ausgelöste Erwärmung noch verstärken. Dazu gehört zum Beispiel die eben erwähnte Wolkenbildung. Allerdings sind diese Rückkopplungseffekte eine der größten Unsicherheiten in der Klimawissenschaft. Deshalb wird darüber derzeit sehr viel geforscht.
Das bedeutet, die Wissenschaftler sind noch gar nicht sicher, wie stark diese Effekte eigentlich sind?
So ist es. Zwar zeigen die heutigen Modelle ohne Ausnahme eine starke Zunahme der Temperatur im kommenden Jahrhundert, und belegen auch mit großer Sicherheit, dass der Mensch für die bislang beobachteten Veränderungen maßgeblich verantwortlich ist. Im Weltklimarat (IPCC) und vielen anderen großen internationalen Initiativen werden jetzt aber hochkomplizierte Computermodelle des Klimasystems und Messungen verglichen, um diese Rückkoppelungseffekte noch besser zu verstehen und ihre Auswirkungen quantitativ abzuschätzen. Es geht ja vor allem darum, wie zuverlässig diese Modelle für Vorhersagen sind.
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Und, wie zuverlässig sind sie?
Das hängt neben den Rückkopplungen auch stark von anderen Parametern ab, darunter besonders die zukünftigen Emissionen von Treibhausgasen. Das Problem ist, dass wir die Zukunft niemals mit absoluter Sicherheit vorhersagen können. Die Modelle stützen sich auf gut dokumentierte Klimabeobachtungen in den vergangenen 100 Jahren und rechnen sie in die Zukunft weiter. Das ist die vernünftigste und zuverlässigste Methode. Aber ob die Erde sich bis 2100 genauso weiter verhält, wie sie es im 20. Jahrhundert getan hat, kann heute niemand vorhersagen.
„Die Wirtschaft muss den Wandel begreifen“
Entgegen der weit verbreiteten Darstellungen von Politikern und Medien gibt es also noch Unsicherheiten, was den Klimawandel betrifft?
Natürlich und darüber müssen wir die Öffentlichkeit informieren! Im IPCC findet diese Diskussion auch statt und sie wird in den Berichten, die übrigens im Internet öffentlich zugänglich sind, sehr gut dargestellt. Ganz besonders die Fragen, wie stark sich der Klimawandel regional auswirkt und wie wir die existierenden Klima-Modelle noch weiter verbessern können, sind heftig umstritten. Aber daran wird fieberhaft gearbeitet. Außerdem: Wir haben zwar schon viele Messdaten, aber die reichen noch lange nicht aus, damit wir wirklich alle diese komplexen Prozesse so gut verstehen, wie es Politik und Öffentlichkeit von uns erwarten. Dass Vahrenholt jetzt behauptet, er könne die Entwicklung des Klimas genauer vorhersagen als der Weltklimarat, ist angesichts der vielen offenen Fragen ziemlich unglaubwürdig.
Also ist Vahrenholts Buch viel Lärm um Nichts?
Die Argumentation des Buches ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr dilettantisch. Ein interessanter Nebeneffekt ist aber durchaus, dass eine wichtige Debatte jetzt auch in der Öffentlichkeit stattfindet. Wir müssen die Unsicherheiten in der Klimaforschung noch klarer kommunizieren. Denn die gibt es in vielen Punkten. Aber genau daran arbeiten die Forscher.
Außer, dass der Mensch die Erde mit Treibhausgasen erwärmt und die Erwärmung stetig zunimmt, scheint also vieles ungeklärt. Wie sollen Politik und Wirtschaft auf diese Unsicherheiten reagieren?
Wenn ein Mensch erkrankt, dann bemüht sich der Arzt erst einmal um eine möglichst genaue Diagnose, bevor er ihn behandelt - sonst besteht das Risiko, dass er die falsche Therapie einsetzt. Es besteht allerdings die Gefahr, dass wir es beim Klimawandel anders herum machen: Wir Klimawissenschaftler werden jetzt schon zu Anpassungsstrategien an den Klimawandel befragt, wo doch die genauen Folgen, besonders auf regionaler Ebene, noch nicht wirklich gesichert sind.
Also machen wir einfach weiter wie bisher?
Nein, natürlich nicht. Denn was Fakt ist: Der Mensch schadet der Umwelt massiv. Die Atmosphäre, die Flüsse, das Grundwasser und die Luft sind heute schon verschmutzt, und die fossilen Rohstoffe gehen ganz sicher irgendwann zu Ende. Klimawandel hin oder her, unsere Technologien müssen sauberer werden, und wir brauchen in Zukunft Ersatz für Öl, Gas und Kohle in Form erneuerbarer Energien. Das müssen Politik und Wirtschaft verstehen und entsprechend handeln. Aber die wachsenden Emissionen von Treibhausgasen werden mit Sicherheit zu einer zunehmenden Erwärmung führen, das ist nun einmal die Physik des Treibhauseffekts. Darum ist es wichtig, auch diese Emissionen in Zukunft zu begrenzen.