Klimawandel Wie die Titanic auf Eisberg-Kurs

Brasiliens Millionenmetropole São Paulo durchlebt gerade die schwerste Trockenheit seit Jahrzehnten. Wissenschaftler warnen: Schuld an den fehlenden Niederschlägen ist auch die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes

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Abgeholztes Regenwald-Gebiet im Norden Brasiliens. Wissenschaftler machen den Kahlschlag für die große Trockenheit in Teilen des Landes verantwortlich. Quelle: ap

São Paulo Vera Lucia de Oliveira schaut in den Himmel und hofft inständig auf Regen. In ihrem Haus kommt schon seit Wochen kein Tropfen mehr aus dem Wasserhahn. São Paulo durchlebt derzeit die schlimmste Trockenphase seit Jahrzehnten. Wenn es nicht bald heftig und lange regnet, könnte die 23 Millionen Einwohner zählende Metropole laut Experten bald ganz auf dem Trockenen sitzen.

„Wir denken immer, jetzt kommt endlich Regen“, sagt Oliveira. Aber es bleibt trocken. Inzwischen gehen immer mehr Wissenschaftler davon aus, dass an der Dürrephase auch die zunehmende Abholzung des Regenwaldes schuld ist. Durch die Abholzung fehlen Bäume, die Kohlenstoff aus der Luft absorbieren können. Zudem stört die Abholzung den gesamten Wasserkreislauf: Es gibt nicht mehr genügend Bäume, die Wasser aufnehmen, das dann verdunstet und eine Wolkendecke bildet.

Aber nicht nur Brasilien, sondern ganz Südamerika ist von dem Klimawandel betroffen. Denn auf dem ganzen Kontinent spielt der Wasserkreislauf des Amazons-Regenwaldes eine entscheidende Rolle für das Wetter, wie Brasiliens führender Klimaforscher Antonio Nobre von der Weltraumbehörde Inpe betont. Eine von ihm im Oktober veröffentlichte Studie zeigt, dass der Regenwald einem Kollaps näher ist, als die Regierung bislang zugibt. Die Auswirkungen würden weltweit zu spüren sein.

Die Zerstörung des Amazonas durch die Abholzung wird erst seit dem Jahr 2008 überwacht. Damals schickte die Regierung bewaffnete Sicherheitskräfte in den Regenwald, die die Einhaltung der Umweltgesetze durchsetzen und damit die illegale Abholzung durch Soja-Farmer und Holzspekulanten aufhalten sollten. Das wirkte sich schnell aus. 2012 betrug die Abholzung des Regenwaldes ein Sechstel dessen, was noch vor acht Jahren gerodet wurde.

Aber Nobre und andere Wissenschaftler warnen, dass es nicht reiche, die Zerstörung des Regenwaldes nur zu verlangsamen, sie müsse gestoppt werden. „Mit jedem Baum, der gefällt wird, verlieren wir ein wenig mehr von dem Wasser, das nach São Paulo und in den Rest Brasiliens transportiert wird“, sagt Philip Fearnside, Professor am Nationalen Institut für Amazonasforschung.

Nobre fordert in seiner Studie, mindestens ein Fünftel der abgeholzten Fläche im Amazonas wieder aufzuforsten. Außerdem müssten 1,25 Millionen Quadratkilometer – das entspricht zweimal der Größe Frankreichs – zerstörte Fläche wiederhergestellt werden. „Wir sind wie auf der Titanic, die sich geradewegs auf den Eisberg zubewegt“, warnt Nobre.


Bewaffnete bewachen die Wasserverteilung

Anfang des Jahres erklärten Klimaforscher der Universität Minnesota, dass einmal in einem Jahrhundert Dürreperioden in der Region eintreten würden. Allein in den letzten zehn Jahren gab es aber bereits zwei: 2005 und 2010. Die Forscher nutzten Klima-Simulationen, um festzustellen, welchen Einfluss die Entwaldung des Amazonasbeckens auf die Dürre hat.

Die riesigen Regenwolken werden durch den Regenwald gebildet, der laut der Studie wie eine Pumpe funktioniert. Eine gleichförmige Luftfeuchtigkeit reduziert den Luftdruck im Amazonasbecken. Das ermöglicht, dass mehr feuchte Luftströme aus dem Atlantischen Ozean angezogen werden. Diese Wolken ziehen westwärts, bis sie an die Anden kommen, um dann südwärts nach Buenos Aires und ostwärts nach São Paulo zu schwenken.

Die Bäume pumpen geschätzt 20 Millionen Tonnen Wasser pro Tag in die Atmosphäre. Aktuelle Forschungen zeigen, dass die Regenmenge über abgeholzten Gebieten weniger wird. Mit immer weniger Bäumen sinkt die Luftfeuchtigkeit und die sogenannte Pumpenfunktion des Regenwaldes wird verringert.

Brasiliens Umweltministerin Izabella Teixeira betont, dass die Regierung eine Untersuchung über die Folgen der Entwaldung in den vergangenen 20 Jahren vorbereite. Der Balanceakt, die Reichtümer des Regenwaldes für die Bevölkerung zu nutzen, müsse gelingen. In den Amazonas-Staaten leben rund 25 Millionen Menschen.

Die rund 100 Kilometer von São Paulo entfernte Stadt Itú hatte mehrere Wochen kein Wasser. Nirgendwo anders in Brasiliens reichstem Bundesstaat haben die Bewohner die Trockenheit so zu spüren bekommen. Die Stadtverwaltung ließ Wasser mit Lastwagen verteilen, die sogar von bewaffneten Sicherheitsleuten bewacht werden mussten. „Wir haben große Angst“, sagt die Grundschullehrerin Ruth Arruda. Sie konnte ihr Geschirr nicht mehr waschen und benutzt deshalb nur noch Einweg-Teller. „Es gibt einfach nichts, wo das Wasser herkommen kann“, sagt sie.

Um überhaupt etwas Wasser zu bekommen, fuhr Arruda mit ihrer Tochter zu einem der öffentlichen Wasserhähne und füllte dort leere Plastikflaschen auf. Auf dem Weg dorthin kam sie an Schildern vorbei, die die ganze Verzweiflung der Bewohner zeigten. „Hilfe, Itú braucht Wasser“ stand darauf.

In den 80er Jahren, erzählt Arruda, wurden Wälder rund um die Stadt gefällt, um Häuser für gut verdienende Angestellte zu bauen, die an einem ruhigeren Ort als São Paulo leben wollten. „Wir müssen in uns gehen und uns eingestehen, was wir falsch mit unserer Umwelt gemacht haben“, sagt sie.

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