Kreatives Recycling Das Milliardengeschäft mit unserem Müll

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Vielfalt an Produkten

Die Vielfalt an Produkten ist ein Fortschritt. Denn aus eingesammelten Kunststoffgemischen Lärmschutzwände und Parkbänke herzustellen, wie es vielfach noch geschieht, „macht ökologisch überhaupt keinen Sinn“, kritisiert Fraunhofer-Forscher Franke. Der Grund: Bei diesen Anwendungen verdrängt das Recyclingmaterial das viel klimafreundlichere Holz.

Beim sortenreinen Recycling der Polyolefine aber kann sich die Umweltbilanz sehen lassen. Mit den 27.000 Tonnen Plastik, die Scriba im Jahr herstellt, vermeiden seine Kunden den Ausstoß von 59.000 Tonnen Treibhausgas, wie Forscher der Hochschule Magdeburg-Stendal ausgerechnet haben.

Das entspricht der Menge, die ein Mittelklassewagen ausstößt, wenn er die Erde 8000 Mal umkurvt. Zudem sparen Kunststoffverarbeiter, die statt Neuware die Granulate aus Thüringen einsetzen, pro Jahr insgesamt 32.000 Liter Erdöl ein.

Zehntausende Tonnen Kunststoffabfälle landen in der Verbrennung

Am Ende kann aber selbst Kunststoffretter Scriba nicht alle Abfälle verwerten, die Laster täglich auf seinen Hof kippen. Ein Drittel, rund 20.000 Tonnen im Jahr, sortiert auch er aus und schickt sie Abfallbehandlungsanlagen wie Ecowest. Die sortieren den Müll ein weiteres Mal und verarbeiten ihn zu Fluff. So landen Zehntausende Tonnen Kunststoffabfälle in Deutschland doch noch über Umwege in der Verbrennung.

Zehn Orte, die ihre Einwohner krank machen
Platz 10: Niger River Delta, NigeriaWie viele Menschen von dem verschmutzten Niger River Delta betroffen sind, kann niemand so genau sagen. Fest steh: es sind zu viele. Jedes Jahr fließen etwas 240.000 Barrel Rohöl in den Fluss. So ist die Gegend neben dem Öl auch noch mit einer Menge Hydrokarbonaten verseucht. Gesundheitliche Konsequenzen für die Menschen der Region sind Unfruchtbarkeit und Krebs. Alles begann mit Operationen von großen Petroleum-Firmen in den 1950er Jahren. Das Delta erstreckt sich über 70.000 Quadratkilometer und bedeckt damit acht Prozent der nigerianischen Fläche. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 9: Matanza-Riachuelo, ArgentinienEntlang des 60 Kilometer langen Matanza-Riachuelo-Flusses haben sich eine Reihe von Mittelstandsunternehmen angesiedelt, viele davon arbeiten mit Chemikalien. Derzeit gehen Schätzungen von 15.000 Unternehmen aus, die regelmäßig Giftstoffe in den Fluss in der Nähe von Buenos Aires ablassen. Untersuchen des Mülls am Ufer ergaben Spuren von Zink, Kuper, Blei, Nickel und Chrom – allesamt mit Werten weit über dem Zulässigen. Alleine der Chrom-Wert beispielsweise ist fast sechs Mal höher als empfohlen. Folgen für die mehr als 20.000 betroffenen Menschen sind Diarrhö, Atembeschwerden und Krebs. Doch es gibt Fortschritte. So spendete die Weltbank zuletzt eine Milliarde Dollar, um die Gegend zu säubern. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 8: Agbogbloshie, Ghana Agbogbloshies größter Segen ist zugleich auch ein Fluch für die Menschen in der Nähe von Accra in Ghana. Die Region ist die zweitgrößte Elektromüll-Verwertungsgegen in West Afrika. Alleine aus Europa werden jedes Jahr 215.000 Tonnen Elektromüll importiert. Circa die Hälfte der Importe kann repariert und weiterverkauft werden. Das Problem stellt der Rest dar: Um an das Kupfer in den Kabeln zu kommen, werden sie verbrannt. Dafür wird auch Styropor verbrannt. Die Kabel enthalten jedoch auch Blei, welches somit in die Luft steigt und auch im Boden verbleibt. Mehr als 40.000 Menschen leiden so unter Bleivergiftungen. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 7: Norilsk, RusslandNorilsk in Russland wurde 1935 als Industriestadt gegründet. Bis in die 2000er Jahre war hier der größte Schmelzstandort für Schwermetalle weltwelt. Fast 500 Tonnen Nickel und Kupfer oxidieren jedes Jahr in die Luft. Durch die Verschmutzung liegt die Lebenserwartung in Norilsk zehn Jahre unter dem russischen Durchschnitt. Etwa 130.000 Menschen in einem 60-Kilometer-Radius rund um die Region sind davon betroffen. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 6: Hazaribagh, BangladeschIn Bangladesch gibt es 270 registrierte Gerbereien – 95 Prozent davon befinden sich in und um Hazaribagh, verteilt auf einer Fläche von 25 Hektar. Viele von diesen Gerbereien nutzen alte, überholte und ineffiziente Methoden. Insgesamt beschäftigen sie zwischen 8.000 und 12.000 Arbeiter. Jeden Tag pumpen die Gerbereien zusammen 22.000 Kubikliter unter anderem chromhaltiges, giftiges Wasser in den Buriganga, Dhaka's größten Fluss und Hauptwasserversorgung. Die Häuser der Arbeiter liegen oft direkt neben verseuchten Flüssen und Kanälen. Neben dem verseuchten Wasser ist die Arbeit in den Gerbereien ein Gesundheitsrisiko an sich: beim mixen von mehreren Chemikalien führt häufig zu schweren Atembeschwerden. So leiden insgesamt mehr als 160.000 Menschen in der Region unter den Gegebenheiten. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 5: Kalimantan, IndonesienKalimantan ist der indonesische Teil der Insel Borneo. In zwei der fünf Provinzen sind Goldminen die Hauptarbeitgeber für 43.000 Menschen. Das geborgene Gold ist allerdings mit Quecksilber verbunden: Dieses muss in einem Schmelzverfahren erst „abgebrannt“ werden. So gelangen jedes Jahr schätzungsweise 1.000 Tonnen Quecksilber in die Umgebung – das sind 30 Prozent der vom Menschen verursachten Quecksilber-Emission. Der Quecksilber-Dampf kann durch die Luft weite Strecken überwinden und wurde so schon zu einem internationalen Problem. Viele Mienenarbeiter schmelzen die Verbindung in ihren Häusern, wodurch die Dämpfe im inneren bleiben. Außerdem gelangt das Quecksilber auch in Flüsse und wird so auch über Fische weiterverbreitet. So sind insgesamt mehr als 225.000 Menschen betroffen. Mittlerweile macht die indonesische Regierung aber Fortschritte und arbeitet mit NGO´s wie zum Beispiel dem Blacksmith Institut zusammen, um die Mienenarbeiter besser zu schulen. Quelle: Blacksmith Institute
Platz 4: Dzerzhinsk, RusslandWährend der Sowjet-Ära war Dzerzhinsk eine der größten russischen Chemie-Standorte des Landes, inklusive chemischer Waffen. Auch heute noch ist es noch ein wichtiges Zentrum der russischen Chemie-Industrie. Zwischen 1930 und 1938 wurden circa 300.000 Tonnen chemischer Abfälle unsachgemäß in Dzerzhinsk und Umgebung entsorgt. Dadurch gelangten 190 verschiedene Chemikalien ins Grundwasser. Wasserproben aus dem Jahr 2007 ergaben Dioxin-Werte, die tausendfach über den zulässigen Werten lagen. Dies veranlasste das Buch der Guinness World Records Dzershinsk den Titel der „am meisten verschmutzten Stadt“ weltweit zu verleihen. Hohe Phenolwerte verursachen Augen-, Lungen- und Nierenkrebs. 300.000 Menschen sind davon potenziell bedroht. Quelle: Blacksmith Institute

Die Kombination aus beidem, aus sortenreinem Recycling und der Produktion hochwertiger Brennstoffe, sei letztlich das ideale Verwertungssystem, sagen die Forscher des Öko-Instituts.

Das Problem aber ist: Noch immer gelangen – trotz aller deutschen Gelbmüll-Sortier-Freude – zu viele Kunststoffabfälle unsortiert in ineffiziente, klassische Verbrennungsanlagen. Sie decken ihren Bedarf außerdem mit Sperrmüll und Importen. Zu Niedrigpreisen schlucken sie auch unsortierte Firmenabfälle. Viel Plastik, aber auch Holz und Papier geht verloren.

Umweltschonender und billiger

Damit Kunststoffe erst gar nicht in die Hände klassischer Verbrenner geraten, bauen Firmen wie Veka Umwelttechnik aus dem thüringischen Hörselberg-Hainich geschlossene Kreislaufsysteme für einzelne Produkte auf. Zum Beispiel für die PVC-Fenster des Mutterhauses, dem Fensterprofilhersteller Veka.

Das Ziel von Geschäftsführer Norbert Bruns: alle Profile, die Veka verkauft, am Ende wieder einzusammeln. Dafür arbeitet er mit Fensterbauern und Containerdiensten zusammen und bezahlt sie für Altfenster. Bruns verarbeitet die Rahmen zu Granulat, das zu neuen Fensterrahmen wird. Das ist umweltschonender und billiger als Neuware.

Auch für PET-Flaschen gibt es ein solches geschlossenes System. Die Firma Petcycle, mit Sitz im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler und getragen von mehr als 100 Unternehmen aus der Getränke- und Recyclingindustrie, hat mittlerweile 40 Millionen Kästen mit Mineralwasser und Limonaden im Umlauf. Die Kunden bringen sie in die Supermärkte zurück, die sie dann an die Petcycle-Mitglieder schicken, die aus den gebrauchten Flaschen neue machen.

Präferenz für Recycling

Und auch die Verbrenner selbst haben Recyclingpotenzial. Müllverbrennungsanlagen gewinnen heute schon Metalle aus ihrer Asche. 2012 waren es in Deutschland mehr als 300.000 Tonnen Eisen, Aluminium und Kupfer. Selbst der mit Schwermetallen belastete Staub aus der Abgasreinigung, der bislang als Sondermüll unter Tage deponiert wird, birgt große Schätze.

„Die Metallkonzentration im Filterstaub ist höher als in den meisten natürlichen Lagerstätten“, sagt der Berliner Experte Thomé-Kozmiensky. Vor zwei Jahren errichtete das Schweizer Unternehmen BSH Umweltservice in Zuchwil nördlich von Bern für rund neun Millionen Euro die weltweit erste Anlage, die täglich fast eine Tonne reines Zink aus Giftmüll herausholt.

Am Ende der Tour zu Recyclinghöfen, Wertstoffsammlern und Müllverbrennern steht damit die Erkenntnis, dass die Präferenz fürs Recycling zwar im Grundsatz richtig ist – aber eben kein Dogma. Was zu aufwendig zu trennen und zu säubern ist, sollte zu Brennstoff oder Sprit werden, um Kohle oder Öl zu ersetzen.

Aus Kunststoffen, die in Bechern, Bobby Cars und Elektrogeräten stecken, sollten Recycler neues Plastik herstellen, für das Erdöl im Boden bleibt. Und was sich gar nicht verwerten lässt, kann in Verbrennungsanlagen wandern. Müllwerker wie Uwe Greye in Hamburg haben also auch künftig zu tun.

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