Landwirtschaft Angriff der Krabbelkrieger

Schädlinge können ganze Ernten vernichten. Um sie zu bekämpfen, entwickelten die Agrarkonzerne bisher vor allem chemische Spritzmittel. Doch jetzt haben sie neue Verbündete für sich entdeckt: Marienkäfer, Tigerfliegen und Raubwanzen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Schlupfwespe: Terminator. Bekämpft erfolgreich Fliegen und ist dabei noch günstiger als chemische Spritzmittel. Quelle: Fotolia

Wir haben uns schon lange daran gewöhnt: Mitten im Winter gibt es frische Paprika, Tomaten und Gurken, die Gemüse- und Obsttheken in den Supermärkten sind gut gefüllt. Von Holland bis nach Spanien sind dafür riesige Treibhäuser entstanden, in denen das Grünzeug reift. Doch nicht nur der Mensch freut sich über Auberginen oder Erdbeeren im Januar – auch für Blattläuse, Spinnmilben oder Fadenwürmer sind sie ein gefundenes Fressen. Unternimmt der Bauer nichts, zerstören sie ganze Ernten.

Nun wollen die Verbraucher aber nicht nur knackiges Gemüse zu jeder Jahreszeit, sondern auch Karotten, Spinat und Salatköpfe, die möglichst frei von Schadstoffen sind. Doch Schädlinge nur mit herkömmlichen, chemischen Pflanzenschutzmitteln zu bekämpfen wird angesichts strengerer Grenzwerte und wachsender Widerstandskraft der Tiere immer schwieriger.

Diese Lebensmittel sollten Sie besser Bio kaufen
Saftig, knackig, gesund? Obacht, meint die Umweltorganisation Greenpeace, denn frisches Obst und Gemüse enthält nicht nur viele Vitamine, Ballast- und Mineralstoffe, sondern bringt auch unerwünschte Substanzen auf den Tisch. Das ergab eine aktuelle Auswertung von mehr als 22.000 Proben der deutschen Lebensmittelüberwachung aus den Jahren 2009 und 2010. Die Ergebnisse, in einem Einkaufsratgeber für Obst und Gemüse zusammengefasst, sind nicht immer appetitlich... Quelle: AP
PaprikaAuch wenn momentan darüber diskutiert wird, dass Bio-Lebensmittel nur wenig gesünder als konventionelles Essen sind: Sicher ist, dass sie bei der Belastung mit Pestiziden deutlich besser abschneiden. Die Auswertung von Greenpeace hat ergeben, dass vor allem Paprika aus der Türkei die gesundheitlich bedenklichen Konzentrationen besonders häufig überschreitet. Über 20 Pestizide fanden die Experten in dem Gemüse. Das Online-Magazin „Utopia“ berichtet davon, dass beim Paprikaanbau oft die gefährliche Chemikalie Ethephon verwendet wird, um das Gemüse schneller einzufärben. Im menschlichen Körper soll Ethephon wie ein Nervengift wirken. Quelle: dpa
TafeltraubenAuch Tafeltrauben aus der Türkei enthalten im Schnitt zu viele Pestizide. Darauf weist neben Greenpeace auch das Bundesamt für Verbraucherschutz hin. Nicht selten lassen sich Spuren von zehn Pestiziden in den Trauben nachweisen. Bei Tafeltrauben aus Deutschland sind es im Schnitt weniger als fünf. Quelle: dpa
BirnenUnd auch in Birnen, die aus der Türkei importiert werden, finden sich Substanzen, die den Umweltschützern Sorgenfalten auf die Stirn treiben. In ihrer Analyse konnten die Greenpeace-Experten im Schnitt zehn Pestizide finden. Quelle: ZB
GrünkohlAuch wenn das Wintergemüse Grünkohl nicht jedermanns Sache ist: spätestens wenn man sich die Belastungen mit Pestiziden ansieht, kann einem der Appetit vergehen, denn häufig werden die gesetzlichen Höchstmengen für Pflanzenschutzmittelrückstände überschritten. Quelle: dpa
WeinblätterOb türkisch, griechisch oder orientalisch: Weinblätter bereichern die mediterrane Küche. Allerdings sind auch sie besser mit Vorsicht zu genießen. Darauf weist die Zeitschrift „Ökotest“ hin. Das Fazit ihrer Untersuchung: Häufig lauern in den grünen Blättern so viel chemische Stoffe, dass sie den unbeschwerten Genuss völlig verderben. Die Zeitschrift sprach ein vielen Fällen sogar eine Nicht-Kauf-Empfehlung aus. Wer trotzdem darauf zurückgreifen möchte, sollte es auf jeden Fall Bio kaufen. Quelle: dpa
Kirschen Hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln tauchen regelmäßig auch in Süß- und Sauerkirschen auf. Von Kirschen aus konventionellem Anbau sollte man lieber die Finger lassen und sie statt dessen aus Nachbars Garten oder vom Biomarkt naschen. Quelle: gms

Was tun? Die großen Anbieter von Pflanzenschutzmitteln wie BASF, Bayer und Syngenta besinnen sich auf eine alte Kriegslist: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Und so züchtet die lange für ihre chemischen Keulen gescholtene Branche nun immer öfter selbst Insekten, die den Schädlingen den Garaus machen sollen: Marienkäfer, die lästige Blattläuse auf Tomatenpflanzen vertilgen, Tigerfliegen, die gefräßige Heuschrecken jagen, und Raubmilben, die Weiße Fliegen verspeisen, die Kohlpflanzen verschimmeln lassen.

Dabei wollen sie die chemischen Spritzmittel nicht ersetzen, ganz im Gegenteil. „Beide Ansätze gehören zusammen“, versichert Melvin Fidgett, Chef der britischen Zentrale von Syngenta Bioline. Die Tochter des Agrarriesen züchtet eine Vielzahl nützlicher Insekten und Spinnentiere.

Dabei haben die Konzerne den biologischen Pflanzenschutz lange nicht ernst genommen. Zu teuer und zu wenig wirksam erschienen den Managern dort die Produkte. Doch seit konventionell wirtschaftende Landwirte sie verstärkt nachfragen, gehen die Umsätze massiv nach oben. So erlösten die Anbieter der Nützlinge 2011 in der Europäischen Union nach Auskunft des Branchenverbandes International Biocontrol Manufacturers Association rund 200 Millionen US-Dollar, vier Mal so viel wie 2000.

Der Umsatz mit biologischen Pflanzenschutzmitteln, wie nützlichen Insekten, hat kräftig zugelegt. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Daneben zählen Mikroorganismen zum Arsenal wie Bakterien, die Schädlinge bekämpfen. Damit machen die Anbieter EU-weit weitere 70 Millionen US-Dollar Umsatz. Hinzu kommen Sexuallockstoffe, die Insekten von der Paarung abhalten.

Zwar ist der Anteil des biologischen Pflanzenschutzes am Gesamtmarkt von 7,5 Milliarden Euro in der EU noch bescheiden. „Doch das Segment wächst viel schneller als der Rest der Branche“, sagt Bayer-Manager Peter Lüth. Folglich haben die Agrarriesen in den vergangenen zwei Jahren reihenweise kleinere innovative Anbieter übernommen. So auch Lüths 2013 von Bayer übernommenes Unternehmen Prophyta auf der Ostseeinsel Poel.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%