Neue Reaktortypen sollen Comback sichern Schöne neue Atomkraftwerke

Prominente Umweltschützer sind davon überzeugt, dass nur die Atomkraft das Klima retten kann. Angeblich produzieren die neuen Reaktoren weniger Abfall als ihre Vorgänger und sind so sicher, dass Katastrophen wie in Fukushima unmöglich werden.

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Deckel drauf. Die Baukosten des französischen Kernkraftwerks Flamanville haben sich auf 8,5 Milliarden Euro verdreifacht Quelle: Getty Images

Die Stimmung unter den Kinogängern, mehrheitlich Umweltaktivisten, ist aufgeheizt, als das Licht im Jacob Burns Film Center in Pleasantville bei New York angeht. Gerade haben sie den neuen Film "Pandora’s Promise" gesehen, in dem der renommierte Dokumentarfilmer Robert Stone die Ablehnung der Nuklearenergie als große Torheit geißelt.

In der anschließenden Diskussion lässt Robert F. Kennedy Jr. kein gutes Haar an den Aussagen der Dokumentation: Der Film sei eine "große Lüge", empört sich der Anwalt und Sohn des 1968 bei einem Attentat getöteten ehemaligen US-Justizministers "Bobby" Kennedy.

Regisseur Stone genießt den prominenten Widerspruch. Er schafft Aufmerksamkeit für seine Thesen, die für jeden Atomkraftgegner pure Provokation sind. Stones wichtigste Botschaft: Die Gefahren der Kernenergie würden maßlos übertrieben. Er zitiert die Weltgesundheitsbehörde mit der Aussage, dass der 1986 explodierte Block 4 des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl bis heute weniger als 60 Strahlenopfer gefordert habe.

Atommeiler der nächsten Generation

Dagegen rechnet Stone auf, wie viele Menschen an Luftverschmutzung sterben, weil Energiekonzerne Öl und Kohle in dreckigen Kraftwerken verbrennen: "Zwei Millionen – jedes Jahr!", schleudert er in den Saal.

Die Pointe an dieser abendlichen Auseinandersetzung: Der Filmemacher begreift sich als engagierten Klimaschützer. Doch anders als seine Gegner glaubt er nicht daran, dass sich die Erderwärmung allein mit erneuerbaren Energien stoppen lässt. Für den 54-Jährigen ist die Atomenergie die wahre grüne Quelle zur Rettung der Welt. Nur sie könne den wachsenden Energiehunger der Menschheit stillen, ohne den Planeten aufzuheizen, sagt er.

Zumindest in der angelsächsischen Welt wächst die Schar der Unterstützer für diese These. Der britische Klimaaktivist Mark Lynas, der langjährige Klimaforscher der US-Weltraumbehörde Nasa, James Hansen, und Jeffrey Sachs, Direktor des Earth Institute an der New Yorker Columbia-Universität, gehören zu den bekanntesten Köpfen.

"Sie reden die Bedrohung klein"

Sie alle seien aus Sorge um die Folgen des Klimawandels von Gegnern zu Anhängern der Kernenergie geworden, sagen sie. "Ohne Atomstrom sind die CO2-Minderungsziele unerreichbar", behauptet Sachs.

Aus Sicht von Kernkraftkritikern wie Kennedy verfolgt Stones’ Film hingegen ein durchsichtiges Manöver: Unter dem Deckmantel der Klimarettung solle eine Technik wieder hoffähig werden, die zu teuer und zu riskant sei. "Sie reden die Bedrohungen klein", wirft Kennedy dem Filmemacher vor.

CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung (zum Vergrößern bitte anklicken).

Aber was steckt wirklich hinter dieser neuen Auseinandersetzung? Steht die Kernkraft tatsächlich vor einem Comeback, wie ihre Anhänger behaupten?

Wahr ist: Die Kernkraft ist von allen herkömmlichen Energieträgern am wenigsten klimaschädlich. Nur Wind- und Wasserkraft sind ähnlich sauber. Vor allem Braun- und Steinkohle blasen bei der Stromerzeugung bis zum 100-Fachen und mehr CO2 in die Luft. Trotzdem gehen ungebremst neue Schmutzmeiler ans Netz. Sie scheinen der einzige Weg zu sein, dem wachsenden Energiebedarf rund um den Globus Herr zu werden.

Luftverschmutzung erreicht neuen Rekord

Wo die Energiewende besser funktioniert
Im internationalen Vergleich gibt es kaum ein zweites Land, das sich derart ambitionierte Ziele zur Umstellung seines Energiesystems gesteckt hat wie Deutschland. Daher existiert auch kein Gesamtkonzept, das als Blaupause für die deutsche Energiewende dienen könnte. Dennoch kann Deutschland von anderen Ländern lernen. Eine Studie von McKinsey im Auftrag von Siemens stellt Beispiele aus verschiedenen Ländern vor und zeigt, was davon in welchem Umfang auch in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden könnte. Die Fallbeispiele beziehen sich auf die wesentlichen Elemente der deutschen Energiewende entlang der Energiewertschöpfungskette: Stromerzeugung, Verteilung oder Balancierung von Angebot und Nachfrage sowie Steigerung der Energieeffizienz. Quelle: dpa
Dänemark, Niederlande, Brasilien - Versteigerung von WindparksDer Ausbau von Solar und Windkraft wird die Regierung bis 2020 rund 30 Milliarden Euro kosten. Eine Möglichkeit, den Kostenanstieg zu drosseln, wäre eine Anpassung der Förderung, zum Beispiel durch Auktionierung von Windparkprojekten – wie in Brasilien, Dänemark oder den Niederlanden praktiziert. So kann erreicht werden, dass Windparks an windreichen Standorten mit einer geringeren Vergütung auskommen. Würden in Deutschland die infrage kommenden Windparkprojekte in Zukunft versteigert, könnten allein im Jahr 2020 rund 0,7 Milliarden Euro an Förderkosten eingespart werden. Quelle: dpa
China – bessere Nutzung von AbwärmeAbwärme lässt sich bei Temperaturen ab circa 300 Grad Celsius zur Stromerzeugung nutzen. In Deutschland gibt es unter anderem in der Zement- und Glasindustrie weitere Potenziale, die andere Länder beziehungsweise Pilotanlagen in Deutschland bereits nutzen: So wurden in China in den  vergangenen zehn Jahren knapp 30 Zementwerke mit entsprechenden Anlagen ausgestattet oder werden aktuell umgerüstet. Durch Nachrüsten der in Deutschland infrage kommenden Werke könnten hier im Jahr 2020 etwa 2 TWh Strom erzeugt und so eine Megatonne CO2 eingespart werden. Die Investitionen würden sich bereits nach rund drei Jahren amortisieren, so die Autoren der Studie. Quelle: REUTERS
Shanghai – bessere TransformatorenJetzt wird es technisch, aber im Grunde simpel. Transformatoren sind  für die Stromversorgung unverzichtbar, da elektrische Energie nur mittels Hochspannungsleitungen über weite Entfernungen wirtschaftlich sinnvoll transportiert werden kann; der Betrieb von Elektrogeräten ist aber nur mit Nieder- und Kleinspannung praktikabel und sicher. Transformatoren haben einen magnetischen Kern, meist Eisen, man kann aber auch so genannte amorphe Metalle verwenden. Sie haben bessere magnetische Eigenschaften und senken Übertragungsverluste im Netz.  In Shanghai konnten die Leerlaufverluste der ausgetauschten Transformatoren um 80 % reduziert werden konnten. Allein die Ausstattung der in Deutschland bis 2020 neu zu installierenden Transformatoren mit amorphen Kernen könnte die Übertragungsverluste im Stromnetz im Jahr 2020 um 0,2 TWh reduzieren. Dies entspricht der Stromproduktion von circa 65.000 Aufdach-Solaranlagen. Durch die Einsparungen  würden sich die erforderlichen Investitionen nach circa elf Jahren amortisieren. Quelle: dpa
Schweden – mehr WärmepumpenEine Wärmepumpe entzieht zum Beispiel dem Boden oder der Luft unter Aufwendung mechanischer oder elektrischer Energie thermische Energie und stellt diese zur Raumheizung zur Verfügung. Momentan sind in Schweden bei 9,5 Mio. Einwohnern 1 Mio. Wärmepumpen installiert, gegenüber circa  0,5 Mio. Wärmepumpen in Deutschland bei rund 81 Millionen Einwohnern. Der Ausbau zusätzlicher 0,7 Millionen Wärmepumpen in Deutschland bis 2020 würde zu einer Senkung des Primärenergiebedarfs um 18 PJ und zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 0,6 Mt für das Jahr 2020 führen.Foto: "Tourismusverband Westschweden Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
USA – Stromnachfrage besser steuernDie Stromerzeugung aus Wind und Sonne schwankt wetterabhängig sehr stark. Das belastet das Netz. Die Schwankungen lassen sich durch eine flexiblere Stromnachfrage ausgleichen. Im Nordosten der USA hat man dazu einen Markt für temporäre Nachfragereduzierung geschaffen. Zu Spitzenzeiten reduzieren Stromkunden ihren Verbrauch freiwillig und erhalten hierfür eine Vergütung. Bei diesem Fallbeispiel wurde die Spitzenlast in einem Markt, der größer als der deutsche ist, um circa 8 % reduziert. Würde Deutschland in ähnlicher Weise allein seine industrielle Nachfrage flexibilisieren, könnten 2020 etwa 0,5 Milliarden Euro eingespart werden. Das entspricht den jährlichen Betriebskosten von zwei großen Kohlekraftwerken. Quelle: AP
Los Angeles – LED-StraßenbeleuchtungInternational hat eine Reihe von Städten den Austausch der klassisch verwendeten Natrium-Hochdrucklampen durch LED s vorangetrieben. In den USA installierte zum Beispiel Los Angeles von 2009 bis 2013 in 146.000 Ampeln und Straßenleuchten mit LED. Mit Investitionen von rund 45 Millionen Euro konnte eine Reduzierung des Stromverbrauchs von rund 60 % erreicht werden. Quelle: Presse

Das hat Folgen. Laut der Internationalen Energieagentur (IAE) erreichten die CO2-Emissionen vergangenes Jahr einen neuen Rekord. Sie stiegen um 400 Millionen Tonnen oder 1,4 Prozent auf 31,6 Milliarden Tonnen. "Wir verlieren unser Ziel aus den Augen, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen", warnt der IEA-Chefökonom, Faith Birol.

So flammt der Disput um die Nutzung der Kernenergie wieder auf – in neuem Gewand. Machten sich ihre Befürworter bisher mit den Argumenten billigen Stroms und hoher Versorgungssicherheit für sie stark, ziehen sie jetzt die Umweltkarte.

Selbst in Europa gewinnen die Atommeiler neue Freunde: Trotz des Vetos von Bundeskanzlerin Angela Merkel will die EU-Kommission die Förderung von Kernenergie wieder erlauben.

Ist die gefürchtete Atomenergie am Ende gar der Schlüssel für eine bezahlbare, sichere und klimaschonende Energieversorgung – von China bis Südafrika?

Tief sitzende Skepsis

Die Atombefürworter wissen genau, dass sie gute Argumente brauchen, um die tief sitzende Skepsis vieler Menschen gegenüber dieser Technologie auszuräumen. Denn der Reaktor-GAU im japanischen Kernkraftwerk Fukushima hat der Welt im Juli 2011 noch einmal drastisch vor Augen geführt, welche katastrophalen Folgen es hat, wenn die entfesselte atomare Spaltung außer Kontrolle gerät.

Genau an diesen Ängsten setzen die Atomkraftbefürworter an. Sie werben mit neuen Reaktorkonzepten um Vertrauen. Diese, versichern Experten wie Antonio Hurtado von der Uni Dresden, würden den Super-GAU einer Kernschmelze wie in Fukushima ausschließen. "Es ist möglich, sichere Kernkraftwerke zu bauen."

Und das ist nicht die einzige Verheißung. Die modernen Atommeiler wandeln – wie ihre Vorgänger – die bei der Kernspaltung entstehende Wärme in Dampf um, der wiederum eine Turbine für die Stromerzeugung antreibt. An diesem Prinzip hat sich nichts geändert. Sie sollen jedoch zugleich die Menge des Nuklearmülls reduzieren und ihn zu Teilen in weniger radioaktive Bestandteile umwandeln. Die ungelöste Endlager-Problematik würde auf diesem Weg entschärft; das nukleare Höllenfeuer verlöre einen Teil seines Schreckens.

Innovationen aus Deutschland

Doch sind solche Reaktoren der vierten Generation tatsächlich so sicher, wie ihre Erfinder behaupten? Was kostet ihre Entwicklung? Und: Wann wären sie frühestens einsatzbereit?

Eine der spektakulärsten Neuentwicklungen kommt ausgerechnet aus Deutschland: der Dual Fluid Reaktor (DFR). Ihm haben sich Physiker des privaten Instituts für Festkörper-Kernphysik (IFK) in Berlin verschrieben. Die Idee solcher Flüssigsalzreaktoren wurde in den Fünfzigerjahren Jahren geboren – und teilweise getestet.

Das Besondere an diesem Reaktortyp: Er wird nicht mit festen Brennstäben bestückt. Der Brennstoff, aufbereitete Uransalze, fließt stattdessen in einer Schmelze durch den Reaktorraum. Sie transportiert die Hitze von einigen Hundert Grad Celsius, die durch die Kernspaltung entsteht, zu einem Wärmetauscher, der heißen Dampf für die Stromproduktion erzeugt.

Weniger radioaktiver Atommüll

Warum die Energiepreise steigen
Euroscheine stecken an einer Steckdose Quelle: dpa
Logos der vier großen Engergiekonzerne EnBW (l, oben), RWE (r, oben), Vattenfall (l, unten) und Eon (r, unten) Quelle: dpa
Ölpumpen stehen im Sonnenuntergang auf einem Ölfeld bei Los Angeles Quelle: dpa
Bild einer Raffinerie auf einem Bildschirm der Firma Gazprom Quelle: REUTERS
Ein Mitarbeiter eines Heizöllieferanten bereitet die Betankung eines Mehrfamilienhauses mit Heizöl vor Quelle: dpa
Ein Tankwagenfahrer beliefert einen Privathaushalt mit Heizöl Quelle: AP
Ein Monteur verkabelt einen Strommast Quelle: dapd

Die Doppelfunktion als Brennstoff und Wärmetransporteur birgt jedoch ein Problem: Die Schmelze kann keine der beiden Aufgaben optimal erfüllen. Hier setzen die Berliner an. Sie trennen die Prozesse und erweitern den Reaktor um einen zweiten Kreislauf: Flüssiges Blei leitet die Hitze ab.

Die Entkoppelung hat klare Vorteile. Die Physiker können die Salzschmelze jetzt so langsam durch den Reaktor pumpen, dass genügend Zeit bleibt, die in ihr enthaltenen Spaltprodukte in einer angegliederten Aufbereitungsanlage abzutrennen und zwischenzulagern.

Dieser Atommüll ist weit weniger radioaktiv als der aus gängigen Kernkraftwerken. Der Grund: Bereits während des Reaktorbetriebs wandeln Neutronen die schlimmsten Spaltprodukte in harmlosere Elemente um. Ihre Strahlung ist nach wenigen Hundert Jahren abgeklungen statt erst nach einigen Jahrtausenden.

Sicher und wirtschaftlich

Außer weniger problematischem Atommüll versprechen die Entwickler um IFK-Geschäftsführer Armin Huke mehr Sicherheit beim Betrieb. Selbst wenn die Kühlung ausfalle, könne der Reaktorkern nicht schmelzen. Dann fließe das Salz in Becken unterhalb des Reaktors, wo der Spaltprozess nach und nach stoppt.

Überdies soll die Technik auch noch sensationell wirtschaftlich sein: Die hohe Austrittstemperatur des Bleis von 1000 Grad Celsius enthält genug Energie, um damit wahlweise Strom zu erzeugen oder Wassermoleküle zu spalten. Die Berliner Physiker erhalten so Wasserstoff, den sie in mehreren Schritten in Flüssigkraftstoffe umwandeln wollen. Sie versprechen traumhaft niedrige Preise: Die Kilowattstunde Strom soll 0,6 Cent kosten, die Treibstoffe zwischen 20 und 40 Cent je Liter.

Allerdings existiert das so plausibel anmutende Konzept erst auf dem Papier. Ob es wirklich funktioniert, müsste sich experimentell noch erweisen. Ganz zu schweigen von den finanziellen und technischen Hürden, die sich vor der sicherheitstechnischen Zulassung und dem Bau eines ersten Versuchsreaktors auftürmen.

Nur etablierte Techniken

Christoph Pistner, Nuklearexperte des Darmstädter Öko-Instituts, hält die Zahlen daher für Schönrechnerei. "Vieles, was physikalisch spannend klingt, scheitert am Ende daran, dass die technologische Umsetzung weit komplizierter ist als gedacht und die Entwicklungs- und Baukosten meist grob unterschätzt werden."

Welche Länder Kernkraftwerke betreiben und bauen. Zum Vergrößern auf das Bild klicken

Die Berliner erwidern, dass sie ausschließlich etablierte Techniken bräuchten, um ihren Reaktor zu realisieren. Aber was sei zum Beispiel mit einem geeigneten Stahl, der den radioaktiven Dauerbeschuss übersteht und trotz der aggressiven Salze nicht korrodiert, wendet Pistner ein? "Ich glaube nicht, dass es den schon gibt."

In den USA, wo mit 100 Meilern die meisten Kernkraftwerke am Netz sind, machen Pläne für den Bau kleiner, sehr kompakter Reaktoren Furore. Die Idee für die Minimeiler stammt von den Herstellern Babcock & Wilcox und dem Baukonzern Bechtel. Anders als ihre großen Brüder, die auf Kapazitäten bis zu 1000 Megawatt ausgelegt sind, leistet das kleine mPower-Modell nur 120 bis 180 Megawatt.

Verkürzte Stillstandzeit

Was Verbraucher zahlen
Stromverbraucher finden bei der Zusammensetzung des Strompreises einen Posten namens EEG-Umlage. Sie ist seit dem Jahr 2000 im Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) verankert, um Ökoenergien zu fördern. Quelle: dpa
Derzeit sind 3,59 Cent je Kilowattstunde zu zahlen. Bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden pro Jahr sind das für eine Familie Ökoförderkosten von 125 Euro pro Jahr. Gezahlt wird die Differenz zwischen dem Marktpreis, etwa für eine Kilowattstunde Solarstrom, und dem festen Fördersatz. Ein Beispiel: Quelle: dpa
Derzeit bekommt ein Hausbesitzer mit einer Solaranlage auf dem Dach 19,5 Cent pro Kilowattstunde. Wird der Strom an der Strombörse für 7 Cent verkauft, müssen die Verbraucher 12,5 Cent über die EEG-Umlage bezahlen. Quelle: dpa
Die Verwalter des Umlage-Kontos, die Übertragungsnetzbetreiber, berechnen angesichts der Anlagenzahl und Erfahrungswerten beim Wetter die möglichen Förderzahlungen und geben immer zum 15. Oktober eine Umlage für das kommende Jahr an. Verrechnen sie sich, wird das mit der nächsten Umlage korrigiert. Für 2013 werden Steigerungen bei der Umlage vorausgesagt. Quelle: dpa
Diese wären aber nicht primär dem rasant steigenden Anteil erneuerbarer Energien am Strommix (derzeit 20 Prozent) anzulasten. Industrieunternehmen wurden teilweise von Ökoförderkosten befreit, um sie in Deutschland zu halten. Gleiches gilt für Netznutzungskosten. Lasten werden also auf weniger Schultern verteilt. Quelle: dpa
Hinzu kommt eine teure Marktprämie für Besitzer von Wind- und Solarparks, die Strom selbst vermarkten. Und die mögliche Steigerung liegt in der Umlageberechnung begründet. Da immer mehr Solarstrom mittags den Börsenstrompreis senkt, wächst die Differenz zum Fördersatz und damit die Kosten für die Bürger. Der Solarstrom wird so also Opfer des eigenen Erfolges. Quelle: dpa

Sämtliche Komponenten – auch Turbine und Generator – sind in der 25 Meter hohen Reaktorhülle untergebracht. Sie misst im Durchmesser nicht einmal zehn Meter. Babcock & Wilcox wollen die nuklearen Kleinkraftwerke in Fabriken komplett vorfertigen, per Bahn oder Tieflader zum Einsatzort transportieren, komplett in die Erde versenken und mit einem Deckel verschließen. Oberirdisch sind nur die Leitzentrale und der Kühlturm zu sehen.

Die Stromkonzerne können die Minimeiler einzeln betreiben oder zu leistungsstärkeren Einheiten zusammenschalten. Die Risiken seien beherrschbar, sagen die Hersteller: Im Notfall können die Techniker den gesamten Erdschacht mit Bor-haltigem Wasser fluten. Dadurch erstickt sämtliche Spaltaktivität. Weitere Besonderheit: Die Kraftwerksbediener können die 69 Brennstäbe komplett wie ein Kartusche austauschen, statt sie einzeln ersetzen zu müssen. Das verkürzt die Stillstandszeiten.

Energie aus nuklearem Abfall

Das US-Energieministerium unterstützt die Entwicklung zweier Prototypen mit rund 3,5 Millionen Dollar. Nahe dem Clinch-Fluss in Tennessee haben Experten gerade damit begonnen, das Gelände mit Bohrungen geologisch und auf Erdbebenrisiken hin zu erkunden. Wenn alles glattläuft, könnten die beiden Versuchsreaktoren 2022 Strom liefern. Experten erwarten allerdings, dass er teurer ist als der aus Großreaktoren – trotz Serienfertigung.

In der Anlage Myrrha im belgischen Mol unweit von Antwerpen arbeiten Wissenschaftler an einem weiteren ambitionierten Projekt. Ihr Ziel: nuklearen Abfall unschädlich machen und zugleich elektrische Energie produzieren.

Zu diesem Zweck haben sie einen Beschleuniger konstruiert, der Protonen von außen mit mehreren Tausend Kilometer pro Stunde in den Reaktor schießt. Die rasenden Teilchen prallen auf eine heiße Mischung aus Blei und Wismut und setzen dabei eine große Menge Neutronen frei, die sich über den Atommüll hermachen. Sie spalten Uran- und Plutoniumatome zunächst in teilweise stark radioaktiv strahlende Trümmer. Im zweiten Schritt wandeln sie diese in weniger gefährliche Stoffe um. Bei dieser Transmutation werden aus radioaktiven Partikeln Stoffe, die allenfalls noch ein paar Hundert Jahre strahlen.

Die flüssige Blei-Wismut-Mischung transportiert die im Reaktor entstehende Energie zu einem Wärmetauscher, der Dampf für die Stromerzeugung bildet. Insgesamt soll der Reaktor mehr Energie erzeugen, als der Teilchenbeschleuniger verbraucht. Und Myrrha lässt sich leicht abschalten: Sobald die Bediener den Aus-Knopf des Teilchenbeschleunigers drücken, stoppt der Neutronen-Nachschub und damit die Kernspaltung. 2015 soll der Bau des Forschungsreaktors beginnen. Die Inbetriebnahme ist für 2023 geplant. Die Stromausbeute ist allerdings so gering, dass fraglich ist, ob Myrrha jemals wirtschaftlich betrieben werden kann.

Keine Wende in Sicht

Ob Ideen wie Myrrha tatsächlich eine neue globale Atomeuphorie auslösen können, bleibt daher fraglich. Laut dem Mitte Juli dieses Jahres veröffentlichten Welt-Atomindustrie-Report 2013 des Pariser Beratungsunternehmens Mycle Schneider Consulting sinkt die Menge des weltweit produzierten Atomstroms kontinuierlich: seit 2006 um zwölf Prozent.

Auch die Neubaupläne signalisieren keine Wende. Auf dem Papier sind zwar 66 Reaktoren mit einer Leistung von mehr als 63 000 Megawatt geplant. Allein 44 davon, also zwei Drittel, sollen in China, Indien und Russland entstehen. Allerdings stehen neun dieser Reaktoren schon seit mehr als 20 Jahren auf der Liste, und für 45 Projekte gibt es keinen offiziellen Baubeginn.

Kein Boom der Atomenergie

Weltweit lagern riesige Mengen Erdgas in schwierig zu erreichenden Gesteinsschichten. Neue Fördertechniken ermöglichen es jetzt, sie wirtschaftlich zu erschließen.

Befürworter der Atomkraft verweisen gerne auf das ambitionierte chinesische Kernenergieprogramm und orakeln, das Riesenreich würde die Welt außer mit billigen Solarmodulen bald auch mit der fortschrittlichsten Atomtechnologie überfluten. Doch so schnell wird es dazu nicht kommen. Vergangenen Oktober hat die Regierung in Peking zwar den Baustopp für 28 geplante Meiler aufgehoben, den sie nach der Katastrophe in Fukushima verhängt hatte. Doch sie hat das Ausbautempo massiv reduziert. Ursprünglich wollten die Chinesen bis 2020 Kernkraftwerke mit einer Leistung von 200 000 Megawatt installieren – gegenüber 10 000 Megawatt heute. Jetzt visieren sie 58 000 Megawatt an.

Noch weniger Zuversicht kann momentan das Land mit den meisten Kernkraftwerken, die Vereinigten Staaten, unter den Atomenthusiasten auslösen. Dabei sah es noch vor wenigen Jahren so aus, als stände die Nuklearenergie wegen des wachsenden Energiebedarfs der größten Volkswirtschaft der Welt und möglicher CO2-Auflagen vor einem Boom. Angelockt von Subventionen, kündigten mehrere Energieunternehmen an, in neue Reaktoren zu investieren, und bewarben sich um Genehmigungen.

Doch seit die USA mithilfe des sogenannten Frackings gigantische Mengen Erdgas aus heimischem Gestein sprengen können, ist die Begeisterung abgekühlt. Denn Gaskraftwerke kosten viel weniger; und sie können mit dem preiswerten Gas auch viel günstiger betrieben werden.

Atommeiler der nächsten Generation

Dagegen verteuern verschärfte Bau- und Sicherheitsauflagen die Kernkraftwerke. Gut 30 Jahre nachdem das bisher letzte Atomkraftwerk in den USA ans Netz ging, entsteht in Georgia die erste neue Anlage. Experten schätzen die Kosten der beiden 2234 Megawatt leistenden Meiler auf 16 bis 20 Milliarden Dollar. Vergleichbare Gaskraftwerke sind höchstens halb so teuer.

Die innovativen Kleinreaktoren von Babcock & Wilcox sollen die finanziellen Risiken mit Baukosten von etwa zwei Milliarden Dollar pro Stück zwar überschaubar halten. Doch sie produzieren die Kilowattstunde letztlich nicht billiger als ein gängiges Atomkraftwerk. Für Thomas Flaherty, Energieexperte bei der Beratungsfirma Booz & Company, ist klar: "Die Investitionen rechnen sich häufig nicht."

Selbst unser atombegeisterter Nachbar Frankreich macht derzeit ähnlich ernüchternde Erfahrungen. Mit 8,5 Milliarden Euro hat sich der Reaktor, den der staatliche Versorger EDF in Flamanville am Ärmelkanal baut, um mindestens das Dreifache verteuert. Nach neuesten Schätzungen wird der Strom, den er produziert, zehn Cent je Kilowattstunde kosten – zwei Cent mehr als Windstrom.

Zu allem Überfluss für die Atomfans könnte der Brennstoff Uran knapp werden. Das besagt eine Studie des Physikers Michael Dittmar vom europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf. Ihm zufolge erreicht der Uranabbau 2015 mit weltweit 58 Kilotonnen seinen Höhepunkt und sinkt bis 2030 auf 41 Kilotonnen. Seine Schlussfolgerung: "Diese Menge genügt nicht, um alle bestehenden und geplanten Kernkraftwerke zu betreiben."

Stimmt die Prognose, würde sich der Entwicklungsaufwand für neue Reaktortypen kaum lohnen. Die Nuklearenergie wäre ein Auslaufmodell – allerdings eines, das uns wegen der vorhandenen Brennstoffreserven noch Jahrzehnte zuverlässig mit sauberem Strom versorgen kann.

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