Schifffahrt Ozeanriesen sollen zu Ökolinern werden

Die Frachtflotten auf den Ozeanen verpesten die Luft und heizen das Klima auf. Neue Techniken machen die Schiffe sparsamer und sauberer.

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Eco Marine Power & NYK Quelle: Javier Zarracina für WirtschaftsWoche

Denkt Kapitän Alf Arne Borgund an sein altes Schiff zurück, steigt ihm wieder der Gestank von Ruß in die Nase. Auch die Ölschmiere hat der Kommandant der norwegischen Küstenwache noch vor Augen, die sich immer über das Patrouillenboot gelegt hat. Ausrutschen konnte man auf dem Zeug. Alle drei Wochen musste Borgund seine Mannschaft losschicken, um die Decks zu schrubben.

Schiffsabgase sind der gröbste Dreck. Noch immer verfeuert die Seefahrt Schweröl, den Abfall der Dieselherstellung. An Land ist die Schlacke Sondermüll – auf dem Meer Treibstoff: Ungefiltert blasen Frachter und Passagierfähren Giftqualm in die Luft, schwarze Wolken aus Feinstaub und Schwefelgasen. Wer die Stoffe einatmet, riskiert Asthma, Herzinfarkt, auf lange Sicht Krebs. 50.000 Menschen sterben laut einer Studie dänischer Forscher in Europa jedes Jahr an den Folgen des Seeverkehrs. Ein Irrwitz.

Auf den Ozeanen, den Schnellstraßen der Globalisierung, hatten Reeder bisher den Freibrief zum Herumsauen. Doch der wird ihnen nun entzogen.

Ab 2015 begrenzen Umweltauflagen der Internationalen Schifffahrts-Organisation (Imo) den Schwefelanteil im Sprit, was die Schadstoffwerte der Abgase senken soll. Die EU-Kommission will den maritimen Verkehr zudem in den Emissionsrechtehandel einbeziehen, um den CO2-Ausstoß in den Griff zu bekommen. Zugleich ist Schweröl in den vergangenen sieben Jahren um das Dreifache teurer geworden.

Dreckschleudern auf See
Crown Princess Quelle: Pressebild
Emerald Princess Quelle: Pressebild
Ruby Princess Quelle: Pressebild
Voyager of the Seas Quelle: Pressebild
Navigator of the Seas Quelle: Pressebild
Adventure of the Seas Quelle: pinguino

Die Gemengelage zwingt die Seefahrt zu einem radikalen technologischen Kurswechsel: Die Schiffe der Zukunft müssen effizienter und sauberer werden. Sie sollen daher mit Gas oder Biosprit fahren – oder sogar wieder mit Segeln. Die Dreckspötte von einst sollen sich in grüne Riesen verwandeln. Die Zeit der grünen Schifffahrt bricht an.

Kapitän Borgund etwa muss sein neues Patrouillenboot nicht mehr schrubben. Die Barentshav verfeuert kein Schweröl – sondern Flüssigerdgas, kurz LNG. „Sie riechen die Abgase nicht mal mehr“, sagt Borgund.

90 Prozent weniger Giftstoffe

Gasbetriebene Schiffe emittieren fast keinen Feinstaub, 90 Prozent weniger Stickoxide und 20 Prozent weniger CO2. Der Ausstoß an Schwefeldioxid – die Ursache des sauren Regens – sinkt gen null.

Heute stößt ein einziges Kreuzfahrtschiff noch so viel Schwefeldioxid aus wie 376 Millionen Autos.

Dreckschleudern auf See

Wie viel Schadstoffe ein Kreuzfahrtschiff im Vergleich zum Auto pro Tag ausstößt

SchadstoffMenge (in kg)

Entspricht den Emissionen

dieser Zahl Autos*:

Schwefeldioxid7 500376 000 000
Stickoxide5 250422 000
Partikel4501 000 000
CO2480 00084 000

*Werte gerundet

Quelle: Axel Friedrich, Verkehrsexperte, 2012

Unter Schiffseignern gilt das Flüssiggas daher als eine Art Zaubertrank: Es soll ihre Flotten gegen die harten Umweltauflagen von EU & Co. wappnen. Bislang aber hat kaum ein Reeder ein LNG-Schiff auch nur aus der Ferne gesehen. Weltweit gibt es überhaupt erst 28 davon. Daher stehen sie Schlange, wenn Kapitän Borgund seine Barentshav bei Konferenzen präsentiert.

Mit seinen kräftigen Händen öffnet der Kommandant eine Luke im Boden des Unterdecks und klettert auf einer Leiter hinab. Mehrere Etagen geht es tief in den Rumpf der Barentshav, bis Borgund eine mannshohe Tür erreicht. Dahinter steht ein riesiger Metallbehälter. Neben dem Ungetüm wirkt sogar der stämmige Kapitän schmächtig.

Der Tank enthält 234 Kubikmeter Gas – Treibstoff, mit dem das Patrouillenboot oft wochenlang durch die aufgewühlte Barentssee pflügt. Eine dicke Isolierschicht hält das Methan auf einer Temperatur von bis zu minus 164 Grad – damit es so flüssig bleibt wie Benzin.

Schiffe mit Gasantrieb sind 20 Prozent teurer. Dafür kostet Gas etwa 30 Prozent weniger als schwefelarmes Marinedieselöl, das die Reeder ab 2015 statt Schweröl tanken müssen. Pro Jahr spare er 300 000 Euro, rechnet Kapitän Borgund vor.

Das könnte sich weltweit durchsetzen. Die finnische Reederei Viking will ab 2013 eine Fähre für 2800 Passagiere mit LNG-Antrieb auf der Strecke Stockholm–Turku einsetzen. Asiatische Werften arbeiten an Konzepten für gasbetriebene Container- und Autotransporter. Und der Hafen Brunsbüttel will 2015 die erste LNG-Tankstelle in Betrieb nehmen.

Sparsame Propeller, leichte Bauteile und effiziente Dieselmotoren

K-Line Quelle: Javier Zarracina für WirtschaftsWoche

„Bis Ende des Jahrzehnts werden 1000 LNG-Schiffe ausgeliefert“, sagt Jan Tellkamp vom norwegischen Schiffsprüfer Det Norske Veritas, der Reeder zu LNG berät. Das wären rund 15 Prozent der Neubauten.

Doch Gas ist kein Allheilmittel. Die Seefahrt muss nicht nur sauberer werden, sondern auch effizienter. Denn steigende Treibstoffpreise und der Handel mit Emissionszertifikaten werden ihre Kosten treiben. Für Martin Stopford, Chef des britischen Schifffahrts-Marktforschungsunternehmens Clarkson Research, steht fest: „Spritspartechnik wird auf dem Wasser so wichtig wie heute schon auf der Straße.“

Auf der Nordsee testet das Startup DK Group aus dem holländischen Amstelveen daher im Herbst eine faszinierende Idee: Die Holländer rüsten ein Transportschiff der dänischen Reederei Dannebrog mit einem System aus, das Luftblasen unter dem Boden erzeugt. Auf dem Luftkissen soll der 13 000-Tonnen-Koloss reibungsarm durchs Wasser gleiten – und zehn Prozent weniger Sprit schlucken.

Auch an sparsamen Propellern, leichten Bauteilen und effizienten Dieselmotoren arbeiten Ingenieure. Siemens stattet 20 neue Containerschiffe der dänischen Reederei Maersk Line mit einem Generator aus, der aus der Hitze der Abgase Strom für das Bordnetz herstellt. Das soll die Energiekosten um zwölf Prozent senken.

Sogar beim Rumpf, sozusagen dem Fundament des Schiffbaus, finden Ingenieure noch Verbesserungspotenzial.

Schmutziges Vergnügen

Welche in Europa fahrenden Kreuzfahrtschiffe bei Abwasseraufbereitung und Luftreinhaltung besonders schlecht abschneiden

SchiffsnamePersonen an BordNote
Adventure of the Seas5020F
Crown Princess4963F
Crystal Serenity1725F
Emerald Princess4963F
Navigator of the Seas5020F
Rotterdam2261F
Ruby Princess4963F
Splendour of the Seas2794F
Vision of the Seas3177F
Voyager of the Seas5014F

* Benotung A (sehr gut) bis F (ungenügend);

Quelle: Umweltorganisation Friends of the Earth, 2010

In Duisburg, keine fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, steht Joachim Zöllner auf einer Plattform über dem wohl längsten überdachten Wasserbecken des Ruhrgebiets. 200 Meter misst der Pool, ein Traum für Ausdauer-Athleten. Aber Schwimmen ist verboten.

Stattdessen fahren Techniker in blauen Overalls auf Fahrrädern zum Ende des Riesenbeckens, um dort Maschinen einzustellen. Es ist das Großlabor des Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportsysteme. In dem Ingenieurbüro entstehen sparsame Binnenschiffe.

Die Plattform, auf der Zöllner steht, wird später über das Becken sausen und ein sechs Meter langes Modellboot durch das Wasser ziehen. Kameras, Drehzahlmesser und Laser erspüren dann jeden Wirbel, legen Reibungsverluste schonungslos offen.

Zöllner ist überzeugt, dass die Geräte nicht viel Beklagenswertes finden werden. Denn sein Sparboot soll fast so mühelos durch das Wasser gleiten wie der kegelförmige Körper einer Seerobbe.

Das Geheimnis ist am Heck zu sehen: Dort schützen bei vielen Schiffen heute Metallplatten den Propeller vor seitlich einströmender Luft, die seine Schubkraft schwächen würde. Obwohl solche Abschirmungen – abhängig von der Ladung – nur hin und wieder gebraucht werden, sind sie bisher fest installiert und erzeugen spritfressende Wirbel.

Zöllner hat eine Abschirmung gebaut, die sich einklappen lässt: Zwei sechs Meter lange Stahlklappen, die links und rechts von der Schraube befestigt sind. Damit könnten Binnenschiffe preiswerter vorangleiten, hofft Zöllner: „Die Technik spart 30 Prozent Treibstoff.“

Es wäre ein enormer Effizienzgewinn. Britische Ingenieure aber haben ein noch ambitionierteres Ziel: Sie wollen einen Frachter bauen, der gar kein Kohlendioxid mehr ausstößt – zumindest netto.

Boote mit Ökoantrieb
Sea-Scape 12 Quelle: Pressebild
Plastik-Kajak von Hobie Quelle: Pressebild
Elektrogleitboot Ecoplane Quelle: Pressebild
Greenline Hybridboot Quelle: Pressebild
Greenline Hybridboot Motorenraum Quelle: Pressebild

Renaissance des Segels

Diane Gilpin hat eine präzise Idee, wie ein solches Null-Emissions-Vehikel aussähe: Wie ein Segelschoner vergangener Zeiten. Gilpin entwickelt beim größten britischen Windparkbetreiber B9 Energy einen Frachter, von dessen Deck drei Segelmasten 50 Meter hoch aufragen. Das Unternehmen will seine Erfahrungen mit Wind und Strömungen auf Schiffe übertragen.

Der mehr als 100 Meter lange Dreimaster soll sich nur mit Wind fortbewegen – in europäischen Gewässern auf rund 60 Prozent der Strecken. Bei Flaute springt ein Motor ein, den Gilpin mit Biogas aus Pflanzenabfällen betreiben will: „Das Schiff wird ganz ohne fossile Treibstoffe fahren.“

Ein ambitioniertes Manöver. Nicht ohne Grund verschwanden Segelschiffe von den Weltmeeren: Das Hissen der Tücher war gegenüber den neuen Dampfern zu arbeitsintensiv. Der Frachtsegler Preußen stach 1902 mit 46 Matrosen in See – das 34-fach größere Containerschiff Emma Mærsk ist heute mit 13 Mann unterwegs.

Um den Schweröl-Antrieben Konkurrenz zu machen, soll Gilpins Frachter eine automatische Takelage erhalten. Der Kapitän drückt einen Knopf, schon breiten sich Segel, die an den Masten zusammengezurrt sind, wie Gardinen nach außen aus.

Planung dem Wind entsprechend

B9 Energy Quelle: Javier Zarracina für WirtschaftsWoche

Dyna-Rigg heißt so ein High-Tech-Segel. Das Konzept dafür entwickelte der fränkische Ingenieur Wilhelm Prölss in den Sechzigerjahren. Umgesetzt wurde es erst 2006, als sich der Amerikaner Tom Perkins, der Mitgründer des Wagniskapitalgebers Kleiner Perkins, eine Luxusyacht mit automatischer Takelage bauen ließ.

Experten wie Uwe Hollenbach von der Hamburgischen Schiffsbau-Versuchsanstalt trauen der Technik auch den Einsatz auf Frachtern zu. „Dyna-Riggs werden aber auf kleinere Schiffe begrenzt sein.“

Windparkbetreiber B9 Energy beginnt diesen Sommer Tests an einem Modell seines Dreimasters. Findet sich ein Kunde, „können wir das erste Exemplar in 36 Monaten vom Stapel laufen lassen“, sagt Gilpin. Vor allem die Betreiber von Feederschiffen, die die Ladung großer Frachter in kleine Häfen verteilen, will sie überzeugen.

Doch es bedarf guter Argumente. Denn beim Segelfrachter müssten die Reeder ihre Routen wieder nach dem Wind planen.

Gilpin weiß den Ölpreisanstieg auf ihrer Seite. Ihr Schiff wird zwar bis zu 30 Prozent teurer, soll sich aber nach sechs Jahren rentieren. Gilpins Vorhersage: „Wir stehen vor einer Renaissance des Segels.“

Daran glaubt auch Greg Atkinson. Der Chef des japanischen Ingenieurbüros Eco Marine Power will Segel auf Frachtern nachträglich anbringen. Er entwickelt einen starren Windfänger, so hoch und breit wie ein vierstöckiges Haus. Die Oberfläche zieren Solarzellen, die Strom ins Bordnetz des Schiffes speisen. 16 der sogenannten Aquarius-Segel sollen auf einen Frachter passen. „Vier bis fünf Millionen Dollar wird das System kosten“, sagt Atkinson, „nach sechs bis acht Jahren zahlt es sich aus.“

Gleich, ob Atkinsons Design den Tests standhalten wird: Windkraftexperten wie Heinz Otto vom Bundesverband Windenergie versprechen sich von den Hilfsantrieben eine große Zukunft. Bloß steht die Technik ganz am Anfang.

Das musste vor drei Jahren auch Stephan Wrage einsehen. Aus seinem Büro am Hamburger Binnenhafen, im zehnten Stock eines früheren Getreidespeichers, schaut der Gründer des viel gelobten Startups Skysails auf Kräne, Boote, Hafenbecken. Seine Erfindung, ein Lenkdrachen, soll noch höher hinaus: in die windige Luft bis zu 300 Meter über dem Meer.

An einem Modellboot zeigt Wrage, wie sein Skysails-Antrieb funktioniert: Auf Knopfdruck hebt ein beweglicher Mast am Bug einen Zugdrachen in die Höhe. Gehalten von Spezialkabeln, dick wie Schläuche, steigt das Tuch in die Luft. Dort zieht es computergesteuert seine Bahnen – und das Schiff hinter sich her. „Wind ist billiger als Öl“, sagt Wrage. Und zwar, mit der Skysails-Technik, etwa um die Hälfte.

Eine überzeugende Idee. Doch die Technik funktionierte nicht wie geplant. Mal stand ein Schaltkasten unter Wasser, mal alterte das Tuch zu schnell. Im Atlantik stürzte der Drachen sogar immer wieder jäh ab. Neun Monate dauerte es, bis die Techniker den Grund fanden: Die Atlantikwellen gerieten in Resonanz mit dem Drachen – und ließen ihn zusammensacken.

Tempomat für Ozeanriesen

Diese Probleme seien heute behoben, sagt Wrage. Nun soll eine neue Version des Drachens entstehen – mit bis zu zwei Megawatt Leistung. Der US-Getreidehändler Cargill will damit auf einem Frachter bis zu drei Tonnen Öl pro Tag durch Windkraft ersetzen. Die meisten Reeder aber scheuen derzeit Investitionen. Die Branche hat zu viel Ladefläche und zu wenig Nachfrage.

Wrage verkauft zurzeit vor allem ein System, das Handelsfahrten effizienter macht: Sensoren messen Wellen, Wind, Ladestand und mehr. Aus den Daten berechnet ein Computer die jeweils passende Antriebsleistung. Statt mit gleichem Tempo durchzubrettern, richtet sich der Motor nach Wetter, Ölpreis, Lieferfrist und Einnahmelage des Schiffes. An 20 Frachtern hat Wrage das System installiert. Sie fahren nun täglich um 300 Euro profitabler. Damit rentieren sich die Kosten von bis zu 50 000 Euro nach sechs Monaten.

Das sind erstaunliche Zahlen. Die japanische Reederei NYK geht sogar davon aus, dass selbst die größten Containerschiffe in 20 Jahren grün werden. Ihr Konzept eines „Super Eco Ship“ fährt mit gasbetriebenen Brennstoffzellen, ausfahrbaren Riesensegeln und Solarzellen, die sich als aerodynamische Hülle über die gesamte Ladefläche ausbreiten und bis zu zwei Megawatt Strom produzieren. Zusammen mit einem Dutzend anderer Techniken soll der Gigant rund 70 Prozent CO2-Emissionen sparen.

Nun muss das Schiff nur noch jemand bauen.

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