Der Abend war gelaufen, bevor er begonnen hatte. Die Flasche Mazzano Amarone della Valpolicella des italienischen Weinguts Masi aus dem Jahr 2009 war eine von 14.200. Mit 16% Alkohol ein schwerer Rotwein, der schon am Nachmittag geöffnet werden sollte, um am Abend eine glänzende Figur zu machen. Doch schon ein kurzes Schnuppern am Korken offenbarte: Das war nix. Die Geruchsmischung aus muffigem Keller und Sporttasche in der Nase verdarb die Vorfreude auf den kostspieligen Tropfen.
Der Trick, mit Frischhaltefolie den Übelgeruch zu entziehen, entpuppte sich als Legende. Es blieb nichts übrig: Der Gastgeber musste den Hauptgang mit dem Pizzawein für fünf Euro servieren.
Der Schuldige: 2,4,6-Trichloranisol, kurz TCA. Das ist die chemische Bezeichnung für den Stoff, der – seit Wein mit Korken verschlossen wird – den Genuss verhagelt hat. Mal stärker, mal schwächer ausgeprägt, ist der unangenehme Geruch des chlorhaltigen Kohlenwasserstoffs der häufigste Grund für Reklamationen im Restaurant. Verhindern lässt sich die Entstehung nicht.
Wo die Deutschen ihren Wein kaufen
Tankstellen, Restaurants, etc.
2012: 5%
2013: 5%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013.
Fachhandel
2012: 7%
2013: 7%
Lebensmitteleinzelhandel (bis 1500 qm Ladenfläche)
2012: 12%
2013: 13%
Selbstbedienungswarenhäuser und Verbrauchermärkte
2012: 13%
2013: 13%
Winzer
2012: 15%
2013: 14%
Aldi
2012: 27%
2013: 26%
Discounter (mit Ausnahme Aldi)
2012: 27%
2013: 26%
Absatzmengen von Wein in Deutschland nach Einkaufsstätten für die Jahre 2012 und 2013
Quelle: GfK Consumer Scan
Besonders Spitzenweine sind betroffen: Die besten Korken aus der Rinde der Korkeiche kosten rund einen Euro das Stück und sollen bei den allerbesten Weinen auch über mehrere Jahrzehnte die optimalen Bedingungen für die Reife von teuren Bordeaux oder Rieslingen garantieren.
Wenn es nach dem portugiesischen Unternehmen Amorim geht, sollen Szenen wie die eingangs beschriebene aber künftig der Vergangenheit angehören. Statt auf eine chemische Bearbeitung oder Bestrahlung, setzt das Unternehmen auf die Entdeckung einzelner Übeltäter. Sogenannte Gaschromatographen sind in der Lage, Gerüche zu identifizieren.
Fünf Jahre lang entwickelte Amorim in Zusammenarbeit mit einem britischen Unternehmen ein Verfahren, das es erlaubt, einen einzelnen Korken so schnell zu untersuchen, dass es für die benötigte Menge ausreicht. Mehr als vier Milliarden Korken produziert Amorim jährlich. Bislang dauerte es rund 14 Minuten bis ein einzelner Korken untersucht war - nun sind es wenige Sekunden.
Geprüft wird, ob ein Korken weniger als 0,5 Nanogramm TCA pro Liter Kork enthält. Die normale menschliche Nase erschnüffelt den unangenehmen Fehlton ab etwa 10 bis 15 Nanogramm, geübte Nasen von Sommeliers entdecken auch Korkschmecker darunter. Alle Mengen unterhalb von 0,5 Nanogramm liegen aber unterhalb der sensorischen Schwelle des Menschen.
Und über die springen noch immer genug Flaschen. Die Mitglieder der deutschen Sommelier Union sind täglich damit konfrontiert, den Korkton ausfindig zu machen. „Wir sehen, dass in den vergangenen Jahren die Häufigkeit von Fehlern in Flaschen mit Naturkorken nachlässt“, sagt Peer Holm von der Sommelier Union. Dennoch haben einzelne Mitglieder immer noch mit drei bis fünf Prozent Ausfall in diesem Segment zu kämpfen.
Umstieg auf Edelstahl
Für die einfachen Weine stellt sich diese Frage immer seltener. Der Schraubverschluss hat sich selbst bei renommierten Weingütern als Standard für die Gutsweine, die binnen weniger Jahre nach Abfüllung getrunken werden sollen, durchgesetzt. Auch für die höherpreisigen Weine gibt es Alternativen.
Das Unternehmen Vinventions aus den USA ist die Mutter von Marken wie Nomacorc, die neben Analysegeräten auch verschieden Verschlüsse bis zu Glas-Lösungen vertreibt, und des Fussgoenheimer Unternehmens Ohlinger. Das führt neben Schraubverschlüssen auch den sogenannten Safecork, der aus Kunststoff besteht und je nach Wunsch knallbunt oder in Kork-Optik die Flasche abdichtet. Ähnliche Eigenschaften mit edlerem Erscheinungsbild hat das sogenannte Vinolok. Das ist ein Glasstopfen, der eine wertige Anmutung vermitteln soll, die die Käufer von teuren Weinen erwarten.
Wenn es nach dem Winzer Patrick Johner ginge, wäre das alles nicht länger nötig. Im familiären Weingut Karl H. Johner, sind Korken inzwischen Vergangenheit. Das seit jeher für Innovationen bekannte Weingut in Vogtsburg-Bischoffingen wünscht sich eigentlich eine industrielle Lösung, die Flaschen mit Glas verschließt. Bislang gibt es hierfür nur die sogenannte „Gantenbrink“-Lösung, der Kunde knackt die Flasche an einer Sollbruchstelle auf.
Für Johner haben Versuche in Australien über mehr als 25 Jahre gezeigt, dass die Weine mit Edelstahlschraubverschluss gut reifen.
Auswirkungen des Kork-Verzichts
Keine Weinkorken mehr – das klingt für viele Menschen zunächst nach Schutz der Korkeichen. Die sinkende Nachfrage bedroht allerdings die Kulturlandschaft, die zum Beispiel als Heimat des Pardelluchses gilt.
Für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist die industrielle Nutzung der Korkeiche sinnvoll. „Obwohl der Rohstoff fast ausschließlich aus Spanien und Portugal stammt, wird bei Fertigung und Transport eines Korkverschlusses nur etwa ein Viertel so viel Kohlendioxid freigesetzt wie bei einem Verschluss aus Kunststoff oder Metall“, heißt es in einem Ökotipp auf der Webseite. Auch seien die Korkeichenwälder Winterquartier für Zugvögel und bänden fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid.
Der CEO von Amorim, Antonio Amorim, freut sich deswegen auch über eine Steigerung von drei auf vier Milliarden Korken jährlich in den vergangen fünf Jahren. Und mit dem neuen Testverfahren, das laut der Fachzeitschrift Vinum den Winzer 120 Euro für 1000 Korken kostet, sollen fehlerhafte Flaschen Vergangenheit sein.
Ungelöst bleibt nur die Frage, was zu tun ist, wenn kein Korkenzieher zur Hand ist.