Streitgespräch Ist Wachstum zerstörerisch?

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Die Belastung des Planeten

Schmutziges Wachstum
Brasilien Quelle: dpa
Platz 12: ChinaVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +10,4% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +10,3% Quelle: dpa
Platz 11: IndienVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +9,1% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +9,7% Quelle: dapd
Südkorea Quelle: AP
Japan Quelle: AP
Russland
USA Quelle: Reuters

Haben wir denn noch die Zeit, darauf zu warten, dass der technische Fortschritt das Wachstum möglicherweise umweltverträglich macht? Die Belastung des Planeten stößt doch längst an Grenzen.

Miegel: Das ist der Punkt. Herr Paqué verbreitet einen wirklich ansteckenden Optimismus.

Paqué: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich Sie hätte anstecken können.

Miegel: Zu recht. Aber ich frage mich schon, woher sie diesen Optimismus nehmen. Fakt ist doch, dass ein Großteil des heutigen Wachstums durch aufgebauschte Nutzlosigkeiten erzielt wird: durch Marketingaktionen, die verbergen sollen, dass angebliche Innovationssprüngen in Wahrheit nicht anderes als kleine Produktmodifikationen sind. Als ich vor rund 50 Jahren meinen ersten elektrischen Rasierapparat in Gebrauch genommen habe, war der nicht so viel anders als mein heutiger. Er rasierte.

Paqué: Ich rasiere mich nass – aus Energiegründen.

Miegel: Sind Sie sicher, dass die Rasierklingen eine bessere Ökobilanz haben? Aber im Ernst: Ob Auto, Flugzeug, Eisenbahn: Keine bedeutsame Innovation der Moderne hat das Grundproblem gelöst, nämlich die Hebung materiellen Wohlstands ohne Beeinträchtigung der Lebensgrundlagen.

Ressourcenverbrauch der Industrieländer im Überblick (zum Vergrößern bitte Bild anklicken).


Es gibt heute Computer, Mobiltelefone, Windräder und das Internet – alles Erfindungen, auf die auch Sie nicht werden verzichten wollen.

Miegel: Wer will das schon. Dennoch ist es aberwitzig, den Durchsatz von mehr oder minder gleichen Produkten zu forcieren, um Umsatz und Gewinn zu steigern. So nach dem Motto: Weg mit den alten Klamotten – her mit den neuen, den flotten. Da ist weit und breit keine Innovation.

Paqué: Wollen Sie wirklich behaupten, der Großteil neuer Produkte sei nutzlos? Wollen Sie zurück vom Handy zum Festnetztelefon, vom iPad zur Schreibmaschine, vom Internet zur gelben Post? Und wollen sie Produktinformation, Marketing und Werbung verbieten?

Miegel: Das nicht. Aber wenn an jeder Straßenecke steht: Iss was, trink was, kauf was, dann darf dies gesellschaftlich geächtet werden.

Paqué: Was wollen Sie dagegen tun? Es ist doch eine merkwürdige Vorstellung Unternehmen verbieten zu wollen, für ihre Produkte zu werben.

Miegel: Diese Vorstellung ist durchaus nicht merkwürdig, wenn Herstellung, Verbrauch und Bewerbung eines Produkts Schäden verursachen, die dessen Nutzen übersteigen.

Paqué: Umso größer ist die Notwendigkeit für technologische Innovationen. Ein Beispiel: Israel hat eine hervorragende Wassertechnologie, die Pflanzen genau so viel Wasser zuführt, wie diese brauchen. Praktisch nichts verdunstet oder versickert ungenutzt. Das versetzt Israel in die Lage, in einer wasserarmen Region große Mengen landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen und so die eigene Ernährungsgrundlage zu sichern. Nur auf solchen Pfaden kommen wir ökologisch voran.

Tatsache ist dennoch, dass die Kurven des Ressourcenverbrauchs steil steigen. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?

Paqué: Technischer Fortschritt entsteht als Reaktion auf veränderte Preise. Die Ölpreiskrisen sind dafür ein wunderbares Beispiel – sie haben zu einer völligen Revision des Kapitalstocks in den Industrieländern geführt. Oder nehmen Sie die Seltenen Erden. Diese Hightech-Metalle sind plötzlich knapp und teurer. Und wenn sie teurer werden, werden wir das tun, was vernünftig ist: Unsere Handys recyceln. Kurzum: Krisen erzeugen Anpassungsdruck.

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