Stromnetze Die Energiewende wird zum Drahtseilakt

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Netzbetreiber setzen auf Gleichstrom

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler lässt sich von dem Mitarbeiter des Übertragungsnetzbetreibers Amprion die Versuchsanlage von Wechsel- auf Gleichstrom erklären Quelle: dapd

Doch die Verteilung des Solarstroms ist eine weitere Herausforderung. Um diese Stromflut aus erneuerbaren Quellen in Zukunft sicher übers Land verteilen zu können, planen die Netzbetreiber eine Premiere: den Bau von sieben Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) von Nord nach Süd; zusammen 2100 Kilometer lang. Anders als Wechselstrom – die übliche Transportform – ändert Gleichstrom weder Stärke noch Richtung. Das senkt den Energieverlust bei der Übertragung um 30 bis 50 Prozent.

Und es erspart den Betreibern, noch mehr neue Trassen in die Landschaft zu schlagen. Allerdings brauchen sie zusätzliche Umrichter, die den Strom an den Ein- und Ausspeisepunkten von Wechsel- in Gleichstrom und zurück verwandeln. Denn aus der Steckdose kommen 230 Volt Wechselspannung. Branchenkenner schätzen die Zusatzkosten auf 200 bis 300 Millionen Euro je Anlage. HGÜ-Anbieter wie Siemens und ABB freuen sich auf einen Boom. Siemens erwartet, dass der weltweite Markt für die Technik in fünf Jahren von drei auf neun Milliarden Euro wächst.

Freileitungs-Monitoring als Übergangslösung

Bis alle Leitungen stehen, werden Jahre vergehen. So rückt eine Technik ins Zentrum des Interesses, die die Übertragungskapazität des Netzes auch kurzfristig und zudem relativ preiswert erhöhen kann: das Freileitungs-Monitoring.

Um eine Überlastung des Netzes zu vermeiden, dürfen die Betreiber nur so viel Strom übertragen, wie eine Leitung bei einer Temperatur von 35 Grad Celsius und lauem Wind verträgt. Wären die Netztechniker jedoch in der Lage, die Temperatur der Luft und des Seils, dessen Neigung und die Windgeschwindigkeit ständig exakt zu messen, könnten sie die Strommenge immer bis zur zulässigen Seiltemperatur erhöhen. Sie würden das Netz auf diese Weise stets optimal auslasten.

Seile mit Sensoren

Der Netzbetreiber Tennet macht genau das seit vergangenem Jahr und regelt den Stromfluss eines mehr als 500 Kilometer langen Höchstspannungsnetzes zwischen Schleswig-Holstein und Gießen abhängig vom Wetter. Bis zu 4000 Ampere fließen dort nun durch Leitungen, die konventionell betrieben nur 2580 Ampere schafften.

Sensoren an den Seilen messen die Daten und schicken sie per Funk an die Steuerzentrale. Die Energie für Messungen und Funktechnik ziehen Thermoelemente in den Sensoren aus der Wärme der Seile. Je nach Wetterlage können die Techniker die Strommenge dann um bis zu 90 Prozent erhöhen. Passenderweise steigt die Übertragungsleistung besonders dann, wenn viel Windstrom anfällt, also in der kälteren Jahreszeit und bei kräftigen Böen.

Daher wären die Protestbürger gut beraten, ihr Interesse auf die Potenziale dieser neuen Techniken zu richten. Anstatt zum Beispiel darauf zu bestehen, die Stromadern möglichst häufig unterirdisch zu verlegen. Denn diese Bauweise ist mit zehn Millionen Euro je Kilometer fast sieben Mal teurer als klassische Freileitungen.

Bei mehreren Tausend Kilometer zusätzlicher Leitungen würden sich die Mehrkosten auf viele Milliarden summieren – der Strompreis noch stärker in die Höhe schießen. Keine schönen Aussichten.

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