Um es vorwegzunehmen: Es ist ein Bestseller, der mit den Worten schließt: "Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten." (Was im englischen Original, wenn ich mich recht erinnere, nichts anderes heißt als: "I think we're fucked."). Um seine These zu erhärten, geht Emmott, der seinen Text auch als eine Art Apokalypse-Theater auf die Bühne gebracht hat, nicht den Weg der Argumentation, sondern den der (ikono)grafischen Animation sowie der Fakten- und Projektions-Suggestion. Man sieht die von oben fotografierte Erde in beeindruckenden Bildern als schwer verwundeten Ort (Diamantenmine, Highway-Kreuz, Sojaplantage).
Man nimmt exponentiell verlaufende Steilkurven im Dutzend zur Kenntnis (Überfischung, Artensterben, Flächenbrände, Überschwemmungen, Verlust an tropischen Regenwäldern, Anstieg der Meerestemperatur, CO2-Konzentration in der Atmosphäre etc.) und wird mit Extremdaten traktiert, die sich wie Pfeile ins Gedächtnis bohren:
- "Die Anzahl der Autos, die seit seiner Erfindung produziert wurden, liegt bei 2,6 Milliarden. In den nächsten 40 Jahren werden vier Milliarden von den Bändern rollen."
- "Der Bedarf an Nahrungsmitteln wird sich bis 2050 verdoppeln."
- "Bis 2050 wird eine weitere Milliarde Hektar Wald abgeholzt werden - das entspricht einer Fläche größer als die der Vereinigten Staaten."
- "1960 flogen wir 100 Milliarden Passagierkilometer. Dieses Jahr werden es knapp sechs Billionen sein."
- "Die Eisschilde Grönlands und der Antarktis verlieren jährlich um die 475 Milliarden Tonnen Masse ans Meer."
Das Ergebnis ist eine Art Wissenschafts-Reader, oder besser: eine Science-Performance, die schon rein äußerlich nach Aufmerksamkeit schreit - das Cover leuchtet in fluoreszierendem Rot. Offenbar ist es Stephen Emmott, dem wissenschaftlichen Leiter eines Microsoft-Labors für Computational Science (Datenanalyse, Computersimulation) ernst. Er sieht den Planeten nicht nur in fast allen Hinsichten (Überbevölkerung, Nahrungsmittelversorgung, Wasserknappheit, Anstieg der Meeresspiegels, Phosphorkrise) vom Menschen ausgebeutet, überlastet und bedroht, sondern in in "diesem hochgradig interdependenten System" auch keinen Ausweg mehr. Statt dessen nur noch Lösungen, die Anzahl und Ausmaß der Probleme vergrößern.
Welche Daten auch immer Emmott in seine Computer einspeist - der Rechner spuckt verlässlich Variationen einer vom Menschen ausgelösten terrestrischen Katastrophe aus. Mag sein, so Emmott, dass wir eine neue "Grüne Revolution" hinbekommen und nicht nur sieben, sondern auch zehn Milliarden Menschen ernähren können - der Preis dafür werden "Land Grabbing", Artensterben, eine Phosphorkrise, die Abholzung weiterer Regenwälder sowie eine Beschleunigung des Klimawandels sein. Mag sein, dass wir unseren Energiebedarf aus fossilen Quellen noch viel länger als erwartet decken können, weil der Klimawandel uns Zugang zu Öl- und Gasquellen im Nordpolarmeer eröffnet - aber das wird die CO2-Speicher leeren, den Aufstieg von Methanwolken beschleunigen, den Meeresspiegel ansteigen lassen und Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen, die an die Türen der Wohlstandszonen klopfen werden.
Kurzum, wo immer Stephen Emmott auch hinsieht, er sieht die Menschen und die Erde nicht nur auf lauter Kipppunkte ("tipping points") zusteuern, sondern er zerstört dabei auch die Hoffnung, wir könnten uns aus den multiplen, sich wechselseitig hoch schaukelnden Krisen "heraustechnologisieren" - nicht zuletzt mit dem lapidaren Hinweis, dass wir uns in dieselben Krisen ja zunächst einmal "hineintechnologisiert" haben. Geoengineering, CO2-Abscheidung, die Düngung der Ozeane, die Anreicherung der Atmosphäre mit Schwebstoffen - alle Hintertüren werden von Emmott mit einem lauten Knall zugeworfen.
Konsumverzicht als Lösung?
Und - was jetzt? Emmott rät zu radikalem Konsumverzicht in den saturierten Volkswirtschaften des Westens und fordert "eine vollkommen neue Unternehmenskultur". In der soll es nicht darum gehen, Regierungen zu beeinflussen und Steuern zu sparen, um einem exklusiven Kreis von Stakeholdern möglichst satte Gewinne zu bescheren, sondern um die Pflege eines Innovationsklimas, das auf einen schonenderen Umgang mit Ressourcen und auf die Befriedigung von Ansprüchen aller gesellschaftlicher Gruppen abzielt. Glimmt da etwa ein Fünkchen Hoffnung? Ach was. Ob er selbst an die Realisierung seiner Vorschläge glaubt, fragt sich Stephen Emmott am Ende seines Büchleins. Aber nein, sagt Stephen Emmott, das glaube er gewiss nicht.
Was die Frage aufwirft, ob das ikonographische Bild von der Erde aus Raumfahrerperspektive tatsächlich unser Weltverhältnis entscheidend verändert hat, wie Blumenberg und Lübbe meinten. Zweifel sind angebracht. Das Bild scheint uns weder eine Warnung, noch eine Versicherung zu sein; eher schätzen wir es wohl deshalb, weil es uns augenblicklich, also folgenlos fasziniert - weil es uns einen flüchtigen Moment beschert, in dem wir glücklich unserer kosmischen Bedeutungslosigkeit innewerden.
Unendlich viele Satellitenbilder, die Ozonlöcher und schmelzende Polkappen zeigen, sich ausbreitende Wüsten und versandende Binnengewässer, haben die ikonografische Reinheit des ikonografischen "blauen Planeten" in den vergangenen Jahrzehnten zerstört. Seither ist der Blick von oben keine Versicherung mehr für "dazugedachtes Wachstum". Aber er taugt offenbar auch weniger denn je als Warnung, die uns erreichen, unser Denken und Handeln beeinflussen könnte. Wenn aber ein sagenhaft schönes Bild es nicht kann - wie bloß kommt Stephan Emmott darauf zu glauben, sein Text könne es? Der Hoffnungslosigkeit Ausdruck geben, um auf Hoffnung zu hoffen? Was soll's. Ein Versuch ist es wert.