Totes Meer Der Todeskampf schreitet voran

Das Tote Meer ist etwas Besonderes auf unserem Planeten: Es ist extrem salzig, es liegt extrem tief und es ist kein Meer, sondern ein See. Doch statt es zu schützen, gefährden wir es. Langsam aber sicher verschwindet es – mit schlimmen Konsequenzen für die Menschen vor Ort.

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Totes Meer in Israel trocknet aus Quelle: dpa Picture-Alliance

Wenn ein Denkmal sich merklich auflöst, sollte etwas getan werden. Das dürfte der allgemeinen Meinung entsprechen. Bei einem der bekanntesten Naturdenkmäler – dem Toten Meer – schaut die Welt aber seit vielen Jahren nur zu. Dabei ist die Entwicklung mehr als dramatisch: Während der Wasserspiegel des Salzsees 1980 noch bei minus 400 Metern lag, sind es heute minus 428 Meter.

Allein in den vergangenen zwei Jahren ging das Wasser um etwa drei Meter zurück. Glaubt man den Prognosen, dann könnte das Tote Meer schon in 50 Jahren verschwunden sein. „Das ist sehr realistisch, denn der Wasserspiegel sinkt im Moment ein Meter pro Jahr und es ist nicht abzusehen, dass sich da etwas ändern wird“, sagt Broder Merkel, Direktor des Geologie-Instituts der TU Bergakademie Freiberg. „In 50 Jahren wird so gut wie nichts mehr übrig sein. Vielleicht noch ein kleiner Resttümpel in der Mitte.“

Die wesentlichen Zuflüsse des Toten Meeres, wie etwa der Jordan, werden schon seit Jahrzehnten nicht mehr konsequent in den Salzsee geleitet, sondern für andere Zwecke genutzt. Dem Toten Meer werden damit die Lebensadern genommen. „Der Jordan liefert dem Toten Meer momentan nur noch ein Zehntel von dem, was vor seiner intensiven Nutzung durch die Menschen im See angelangte“, sagt Christian Siebert, Hydrogeologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Das Tote Meer

Wirtschaftsleistung versus Naturdenkmal

Bewässert werden dafür hunderte Quadratkilometer von Gemüsefeldern – Israels Exportschlager, wenn man so will. Denn Obst und Gemüse, das in der Region des Toten Meeres angebaut wird, landet in erster Linie auf dem europäischen Markt. „Ob es eine gute Idee ist, in einer Region größter Wasserknappheit auf diese Weise Landwirtschaft zu betreiben, um nicht die eigene Versorgung zu gewährleisten, sondern zu exportieren, ist die große Frage“, sagt Merkel.

Für die Menschen vor Ort ist das aber rentabel: Die Landwirtschaft entspricht etwa der Hälfte der lokalen Wirtschaftsleistung. Da werden Zweifel schnell über Bord geworfen. Zudem hat auch die Industrie großes Interesse daran, den Prozess derzeit nicht zu stoppen: Sie gewinnt aus dem Toten Meer zahlreiche Rohstoffe wie Magnesium, Brom und Jod, indem das Wasser verdampft wird.

Würde die Wasserqualität des Salzsees also verändert – etwa dadurch, dass aus neuen Quellen anderes Wasser zugeführt würde – fürchten sie um ihre Gewinnungsmöglichkeiten. Die dürften zwar genauso mit dem Toten Meer verschwinden, sollte nichts getan werden. Aber zumindest wären sie so für die nächsten 50 Jahre versorgt.

Wenn ein Gewässer verschwindet
Ein Steg auf dem Trockenen Quelle: André Künzelmann/UFZ
Eine kamerahülle liegt auf ausgetrocknetem Ufer Quelle: Mandy Hoyer/TU Bergakademie Freiberg
Krater am Rand des Toten Meeres Quelle: Dr. Christian Siebert/UFZ
Ufer des Toten Meeres Quelle: André Künzelmann/UFZ
Ufer des Toten Meeres Quelle: Mandy Hoyer/TU Bergakademie Freiberg
Ufer des Toten Meeres Quelle: Dr. Christian Siebert/UFZ

Hässlich veränderte Landschaft

„Die Veränderungen der Landschaft ist dramatisch“, sagt Merkel. Hässliche Küstenstreifen seien unter anderem durch die Landabsenkungen und den Rückzug des Salzwassers entstanden. „Alleine schon die Geschwindigkeit, mit der es passiert, ist beängstigend“, so Siebert. Als er das erste Mal vor zwölf Jahren an dem Salzsee gewesen sei, hätte vieles noch sehr viel anders ausgesehen. „Ich bin von einem der Bootsanlegestege damals noch in ein Boot gestiegen, um auf den See hinauszufahren“, beschreibt der Hydrogeologe. Ein paar Jahre später sei das kaum noch möglich gewesen – mithilfe von Leitern sei man dann hinabgestiegen. „Heute liegen diese Anleger in zwölf Metern Höhe auf dem Trockenen.“

Die getrockneten Terrassen zeugen davon, wo früher einmal Wasser stand. Wie Baumrinde, sagt Siebert, die die Lebensjahre zeigt, stehen sie für vergangene Jahre und Wasserstände des Toten Meeres. „Die Quellen und damit die Landschaft ändern sich so rasend schnell, dass man manchmal das Gefühl hat, man war noch nie da“, so Siebert.

Ufer des Toten Meeres Quelle: Mandy Hoyer/TU Bergakademie Freiberg

Betreten des Seeufers birgt Lebensgefahr

Das Absinken des Toten Meeres hat auch große Einflüsse auf das Grundwasser: Alle umliegenden Gewässer beziehen sich mit ihrem hydrostatischen Gefälle auf das Niveau des Toten Meeres. Die Folge: Sinkt der Wasserspiegel des Salzsees, so folgen die Grundwasserspiegel. Neben den schwierigeren Bedingungen zur Gewinnung der wertvollen Tropfen birgt das ein weiteres Problem: massive Einbrüche an der Erdoberfläche.

Seit in den 1950er Jahren dem Toten Meer das Wasser so extrem abgeschöpft wurde, verlagerten sich auch die Trinkwasserquellen rund um den Salzsee immer weiter in die Tiefe. Dadurch erreichen sie jetzt dicke Salzschichten, die sich dort tief unter der Erde abgelagert haben. Die können zig Meter lang und einige Meter dick sein und lösen sich auf, wenn das süße Quellwasser auf sie trifft. „Das können Sie sich im Grunde vorstellen wie beim Bergbau“, erläutert Merkel. „Es entsteht unter der Erde ein Hohlraum, der irgendwann zusammenbricht.“

Ein

Sinkholes heißen diese Löcher von mehreren Metern Durchmesser, die dann auch mal 30 oder 40 Meter tief sein können. Ganze Bereiche rund um das Tote Meer müssten im Grunde abgesperrt werden, damit niemand Gefahr läuft, in einem solchen Loch zu versinken, denn selbst Häuser verschwanden schon darin. „Diese Einbrüche können jederzeit überall passieren und man weiß nie wo“, warnt Merkel.

Wie leicht das passieren kann, erfuhr Hydrogeologe Siebert indirekt am eigenen Leib: Drei Wochen, nachdem seine Forschungsgruppe im November 2014 aus der Toten-Meer-Region zurück in Deutschland war, erhielt er ein Foto eines Kollegen vor Ort. Darauf zu sehen: ein 18-Meter-Durchmesser-Loch mit einer Tiefe von rund fünf Metern. Und das an der Stelle, wo zuvor ein Parkplatz war und zwar nicht irgendeiner – es war der Parkplatz, auf dem Siebert und sein Team jeden Tag ihr eigenes Auto geparkt hatten. „Es ist wie ein Krater, in dem der Parkplatz verschwunden ist“, beschreibt es Siebert. „Wenn man weiß, das hätte auch drei Wochen früher geschehen können, ist das schon ein ziemlich komisches Gefühl.“

Das gesamte Ufer des Toten Meeres ist gefährdet und breite Gebiete am Ufer des Toten Meeres nicht mehr begehbar. „Das ist schlichtweg gefährlich“, so Siebert.

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