Umwelt Wenn Meeresmüll zu Mode wird

Millionen Tonnen Plastik verdrecken Meere und Flüsse. Start-ups sammeln den Müll – und machen daraus Kleider, Schuhe und schwimmende Parks.

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Plastik-Müll aus dem Meer macht Mode. Quelle: PR

Wenn Ramon Knoester am Rhein fischen geht, ist er nicht auf Aal oder Karpfen aus. Der Architekt aus Rotterdam hat es auf Flaschen und Tüten abgesehen, auf den Plastikmüll, der Tag für Tag zentnerweise den Fluss hinab zum Meer treibt. „Das hier“, sagt er und zeigt auf eine Kiste voller Abfall, „habe ich gestern in einer Stunde aus dem Wasser geholt.“

Knoester will die Menschen aufrütteln für ein Problem globalen Ausmaßes. Riesige Mengen des Kunststoffs, den Menschen Tag für Tag wegwerfen, landen in Gewässern – herangeweht von Straßen, Stränden oder Müllkippen, herbeigespült vom Abwasser. Über die Flüsse gelangt der Plastikmüll in die Meere – laut Fachmagazin „Science“ rund acht Millionen Tonnen im Jahr.

Wie langsam sich Kunststoffmüll im Meer zersetzt (zum Vergrößern bitte anklicken)

Auf den Ozeanen wird das Treibgut zum Killer: Seehunde verklemmen sich in Getränkekästen, Delfine verheddern sich in Plastiknetzen. Neun von zehn Seevögeln verwechseln Müllfetzen mit Fischeiern, verschlingen Feuerzeuge, Ballons oder Modellautos – und viele verenden. Über Fische und Wasser gelangen winzige Plastikteile sogar in die menschliche Nahrungskette. Der Müll treibt ewig im Meer. Seefahrer sichten riesige Plastikteppiche. Der mächtigste, im Pazifik, soll doppelt so groß sein wie Texas.

Was mit unserem Müll passiert
Insgesamt betrug das Abfallaufkommen im letzten Jahr in Deutschland rund 343 Millionen Tonnen, 36,7 Millionen Tonnen davon waren Hausabfälle. Das entspricht also 456 Kilogramm Müll pro Einwohner. Seit dem Jahr 2002 ist das Abfallaufkommen zwar leicht gesunken, jedoch wird laut Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit immer noch zu viel Abfall erzeugt. Immerhin: 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden mittlerweile aus Abfällen gewonnen; entsprechend werden der Abbau von Rohstoffen und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert. Quelle: dpa
Grund ist die am 8. Mai 1991 beschlossene Verpackungsverordnung, die den Grundstein für die Mülltrennung in Deutschland legte. Von den 456 Kilogramm Müll pro Nase und Jahr sind 164 Kilogramm Restmüll, 113 Kilo Biomüll, und 148 Kilogramm getrennte Wertstoffe, also Papier und Pappe (72 Kilogramm), Glas (24 Kilogramm) und Holz (14 Kilogramm). Pro Einwohner fielen zusätzlich rund 30 Kilogramm Sperrmüll an.Quelle: Statista Quelle: dpa
Die Mülltrennung nutzt aber nicht nur der Umwelt und liefert billige Rohstoffe, sie schafft auch Arbeitsplätze: Fast 200.000 Beschäftigte arbeiten in rund 3.000 Abfallentsorgungs- oder Verarbeitungsbetrieben. Sie machen einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro jährlich. Quelle: dpa
Anders als in vielen anderen Ländern landen unsere Abfälle eher selten auf Deponien zum Verrotten. Zuvor müssen sie in irgendeiner Art und Weise verwertet werden. Hausmülldeponien beispielsweise dürfen seit Mitte 2005 nur noch vorbehandelte Abfälle aufnehmen, bei denen organische Bestandteile nahezu völlig entfernt sind. Anders sieht es beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder Polen aus, wo mehr als 70 Prozent der Abfälle auf Deponien landen. Quelle: dpa
Ein großer Teil der Abfälle in Deutschland, nämlich 35 Prozent, werden deshalb in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Die Überreste landen dann auf der Deponie. Die Energie, die bei der Verbrennung entsteht, wird vielfach zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen verwendet. Wir heizen also mit unserem Müll. Quelle: ZB
Immerhin 18 Prozent unserer Abfälle kompostieren wir. Quelle: dpa
47 Prozent der kommunalen Abfälle werden recycelt - damit ist Deutschland der Wiederverwertungskönig innerhalb der 28 EU-Staaten. In keinem anderen Land wird ein so großer Anteil der kommunalen Abfälle noch einmal verwendet. Quelle: AP

Eine Reihe innovativer Gründer will dabei nicht länger zusehen und macht nun mobil gegen den Müll. Im November setzt Knoester im Rhein in Ufernähe eine Plastikfalle aus, einen Ponton mit einem riesigen Fangnetz. Weitere Müllfallen sollen folgen. „Der Abfall darf gar nicht erst das Meer erreichen“, sagt der Umwelt-Architekt.

Er will ihn einsammeln und recyceln und schließlich daraus schwimmende Parks bauen – Pontons mit Bäumen, Bänken und Wasserläufen, in die sich Fische zurückziehen. Bei der Stadtverwaltung von Rotterdam kommt das an. Sie sucht händeringend Platz für neue Grünflächen. Ausgerechnet recycelter Müll könnte nun die Stadt verschönern.

Straßen aus Müll

Anderswo wird Plastikfischen gar zum Volkssport. In Amsterdam verleiht das Start-up Plastic Whale für Firmenevents Boote an Unternehmen, deren Mitarbeiter in den Grachten mit Netzen im Wettbewerb nach Plastik angeln. Das kanadische Sozialunternehmen Plastic Bank wiederum richtet weltweit Tauschstellen für Plastikmüll ein. Den Start machte Perus Hauptstadt Lima. Wer dort bei Plastic Bank Kunststoff abgibt, kann ihn gegen Haushaltswaren tauschen; Schüsseln, Teller, Eimer, produziert auf 3-D-Druckern aus eingeschmolzenem Kunststoff.

Der niederländische Student Boyan Slat plant das ganz große Reinemachen auf dem Meer. Vergangenes Jahr sammelte er mit seinem Unternehmen The Ocean Cleanup per Crowdfunding 2,2 Millionen Dollar ein, um schwimmende Müllsammler zu entwickeln. 2016 will Slat einen zwei Kilometer langen Prototyp vor Tsushima testen, einem Eiland zwischen Japan und Südkorea.

Die am meisten verschmutzten Orte weltweit
Agbogbloshie (Ghana)Der Stadtteil der Millionenmetropole Accra ist schon mehrfach zu trauriger Berühmtheit gekommen: Hier leben 40.000 Ghanaer auf einer Fläche von etwa 1.600 Hektar Land und sind dabei den Giften der sie umgebenden Elektromülldeponie ausgesetzt. Handys und Laptops werden hier zerlegt, um noch verwertbare Rohstoffe, wie Eisen und Kuper, zu finden. Quelle: Blacksmith Institute
Tschernobyl (Ukraine)Die Katastrophe von Tschernobyl ist vielen noch im Gedächtnis als dort im April 1986 ein Nuklearunfall ereignete. Damals waren über über 150,000 Quadratkilometer und Millionen von Menschen betroffen. Bis heute besteht eine Sperrzone um den Reaktor. Die Stadt Prypat wurde zur Geisterstadt. Quelle: Blacksmith Institute
Dserschinsk (Russland) Dass die Stadt heute noch zu den am meisten verschmutzten Städten der Welt zählt, hängt vor allem mit seiner Geschichte zusammen. Während des Kalten Krieges wurden hier sowjetische Chemiewaffen wie das Nervengas Sarin und Senfgas hergestellt. Bis heute befindet sich hier eines der Zentren chemischer Industrie. Viele der Chemikalien befinden sich mittlerweile auch im Grundwasser. Quelle: Blacksmith Institute
Citarum River (Indonesien)13.000 Quadratkilometer auf denen insgesamt neun Millionen Menschen leben für die der Fluss der Lebensmittelpunkt ist. Allein 2000 Firmen bedienen sich des Wassers und leiten ihrerseits giftige Chemikalien in das Wasser. Quelle: dpa
Hazaribagh (Indien)270 registrierte Gerbereien gibt es in ganz Bangladesch, allein in der Region gibt es 90-95 Stück mit bis zu 12.000 Angestellten. Jeden Tag erzeugen diese 22.000 Kubikliter giftigen Müller, darunter krebserregendes Chrom. An diesem Giftfluss leben die Arbeiter. Quelle: Blacksmith Institute
Kabwe (Sambia)Wie so oft ist auch in der viertgrößten Stadt der Zentralprovinz der Arbeitsort, gleichzeitig auch der Ort mit den großen Risiken für Gesundheit und das Leben. In der Region wird besonders hochwertiger Blei abgebaut, der zu Boden- und Wasserverseuchung führt. Eine Viertel Million Menschen sind von der Verschmutzung betroffen. Quelle: Blacksmith Institute
Kalimantan (Indonesien)Auch hier sind rund eine Million Menschen durch die Verseuchung von Quecksilber und Cadmium betroffen. Aber Goldminen sorgen dort für das Einkommen von 43.000 Menschen. Quelle: Blacksmith Institute

US-Musikstar Pharrell Williams macht mit etwas Marketing aus dem fiesen Abfall inzwischen sogar einen hippen Rohstoff. Seine neue Kollektion Raw for the Oceans entstand zusammen mit der niederländischen Modemarke G-Star: Jacken, Jeans und T-Shirts bestehen aus Meeresplastik. Denn das lässt sich, einmal recycelt und eingeschmolzen, zu Garn verarbeiten.

Auch der Sportartikelhersteller Adidas hat – wenn auch bisher nur als Prototyp – einen Turnschuh entwickelt, der aus dem Material gerissener oder illegaler Fischernetze gefertigt ist. Der belgische Reinigungsmittelanbieter Ecover wiederum vertreibt eine limitierte Version seines Spülmittels, dessen Plastikflasche aus recyceltem Meeresmüll besteht. Den Müll sammeln Fischer im Auftrag der Umweltorganisation WWF.

Sogar ganze Straßen könnten bald mit Meeresmüll gepflastert sein. Daran arbeiten Ingenieure des niederländischen Bauunternehmens VolkerWessels. Ihre Plastic Road soll aus Recyclingkunststoff vorgefertigt und vor Ort verlegt werden. Das Material sei hart genug, sagt Entwickler Anne Koudstaal, um Lastwagen zu tragen. Obendrein halte es mindestens doppelt so lang wie Asphalt.

Ende 2017 will Koudstaal in Rotterdam die erste Plastikstraße testen. Der Rohstoff dazu treibt nebenan den Rhein hinab.

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