Umweltproblem Geisternetze in der Ostsee

Jedes Jahr verlieren Fischer Netze in der Ostsee. Als Geisternetze verfangen sie sich an Wracks oder Felsen, gefährden die Tierwelt und verschärfen das Müllproblem. Eine Ausstellung zeigt die Dimensionen des Problems.

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Zehn Prozent des Mülls in den Weltmeeren bestehen nach Schätzungen aus Geisternetzen - rund 640.000 Tonnen. Quelle: dpa

Stralsund Sie sind mit Muscheln und Algen bewachsen und liegen wie ein Schleier über Wracks, verlorenen Ankern oder großen Steinen am Meeresgrund: Fischernetze, die in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen sind.

„Seit 60 Jahren wird auf den Meeren mit Kunststoffnetzen gefischt“, sagt der Vorsitzende des Vereins Archaeomare, Thomas Förster. „Anders als ihre Vorgänger verrotten die Nylon-Netze nicht und haben sich über die Jahrzehnte an Hindernissen gesammelt.“

Im vergangenen Jahr sind Taucher des Vereins in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Meeresmuseum und der Naturschutzorganisation WWF zu 28 Wracks um Rügen getaucht. Das Ergebnis ist alarmierend: „An allen angetauchten Wracks hatten sich Netze verfangen“, sagt Förster, der am Deutschen Meeresmuseum Stralsund arbeitet.

Verloren gegangene Fischernetze sind ein Teil des Müllproblems in allen Meeren, nicht nur in der Ostsee. Schätzungen des WWF zufolge besteht der weltweite Meeresmüll zu einem Zehntel aus Geisternetzen – das macht 640.000 Tonnen. Die Naturschutzorganisation gehe von 5000 bis 10.000 Netzen oder Netzteilen aus, die jedes Jahr neu in der Ostsee landen, so ihr Ostseebüro-Leiter Jochen Lamp.

Der Archaeomare-Vorsitzende Förster formuliert es vorsichtiger, spricht von wenigen Tausenden Netzen. „Wir wissen eigentlich gar nicht genau, wie viele Netze pro Jahr abhandenkommen“, sagt er. Eine Dokumentationspflicht für verlorene Netze gibt es bislang nicht.

Die Kunststoffnetze gehören neben verloren gegangenen Schiffsladungen und Plastikmüll von Stränden oder aus Flüssen zum Zivilisationsmüll, der sich in den Meeren sammelt. Auch nach Jahrzehnten stellen die Netze eine Gefahr für die Meeresumwelt wie auch für die im Wasser lebenden Tiere dar – denn sie erfüllen noch immer ihren eigentlichen Zweck.

„Vor allem bei Tauchgängen in den Wintermonaten haben wir in den Netzen Dorsche, Flundern und Seeskorpione gefunden“, berichtet Förster. Offenbar suchen die Tiere gerade in den kalten Monaten Zuflucht an schützenden Wracks. Die Netze werden dann zu tödlichen Fallen.

Nach Angaben des Umweltbundesamtes kann es um die 450 Jahre dauern, bis sich ein Produkt aus Plastik in der Umwelt zersetzt. Größere Teile werden zu Minipartikeln zerrieben, die mit schädlichen Zusatzstoffen wie Weichmachern von Muscheln und Plankton aufgenommen werden und so in die Nahrungskette gelangen.


Sechs Tonnen Netze in 20 Tagen

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat vor der deutschen Ostseeküste Geisternetze an rund 100 Unterwasserhindernissen festgestellt. Die Experten des Deutschen Meeresmuseums gehen von einer deutlich höheren Zahl aus, da die Schifffahrtsbehörde nur jene Netze dokumentiert, die eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen können.

Derzeit werden für die Küste um Rügen und Usedom alle verfügbaren Ergebnisse aus Tauchgängen und Karten zusammengeführt, sagt Förster. Auch sogenannte Hackerkarten, in denen die Fischer in den vergangenen Jahrzehnten Hindernisse vermerkten, an denen sie Netze verloren, werden ausgewertet.

Im Spätsommer wollen Archaeomare, WWF und Meeresmuseum mit der Bergung von Geisternetzen vor der deutschen Ostseeküste beginnen. Welche Mengen bei solchen Aktionen zusammenkommen können, haben Umweltschützer in Polen gezeigt.

„Unsere WWF-Kollegen haben an nur 20 Tagen auf See rund sechs Tonnen Netze von Wracks und vom Meeresgrund geborgen“, sagt Jochen Lamp. Zum Einsatz kamen Taucher und eine sogenannte Netzegge zum Abharken des Meeresgrundes.

Meeresbiologen und Umweltschützer fordern, dass Netze mit akustischen Signalgebern ausgestattet werden, damit sie bei Verlust geortet und eingesammelt werden können. „Die Rückholbarkeit von Netzen ist entscheidend“, sagt Lamp. Anders lasse sich das jährlich größer werdende Problem nicht in den Griff bekommen.

Das Meeresmuseum zeigt ab sofort an eine Ausstellung, die über die Problematik der Geisternetze informiert. Unter anderem wird dort ein Vogelfelsen gezeigt, der die Situation auf der Nordsee-Insel Helgoland beleuchtet. „Die Basstölpel bauen dort ihre Nester nicht mehr mit Tang, sondern zunehmend mit Resten aus den Kunststoffnetzen“, sagt Förster.

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