Urbanisierung Die größte Völkerwanderung der Geschichte

70 Prozent aller Menschen werden Mitte des Jahrhunderts in Städten leben. Um den Ansturm bewältigen zu können, müssen die Metropolen Verkehr, Arbeit und Wohnen radikal neu organisieren. Ein Ausblick.

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Täglich grüßt der Megastau Chinesische Großstädte wie Chongqing drohen an Verkehr und Abgasen zu ersticken. Quelle: Getty Images

Größer könnte der Kontrast zwischen traditionellem und neuem Stadtmodell kaum sein. Auf der einen Seite Chinas Hauptstadt Peking: Gas, Strom und Wasser für die 20 Millionen Einwohner werden knapp. Weil bezahlbare Wohnungen fehlen, hausen Zehntausende in feuchten Kellern und stillgelegten Luftschutzbunkern. Autoabgase und Qualm aus zahllosen Kraftwerksschloten verdüstern den Himmel. Der Verkehr staut sich zu endlosen Kolonnen. Spötter bezeichnen Peking als größten Parkplatz der Welt.

Die chinesische Hauptstadt steht exemplarisch für die Probleme der chinesischen Megastädte. Ob Shanghai an der Ostküste, Zhengzhou im Landesinneren oder Chongqing am Drei-Schluchten-Staudamm – sie alle drohen am unaufhaltsamen Zustrom von Menschen zu ersticken.

Eine Zugstunde südöstlich von Peking entsteht der radikale Gegenentwurf: Die 30 Quadratkilometer große Ökostadt Tanggu, gelegen am Rande von Tianjin, einer Vier-Millionen-Einwohner-Metropole nahe des Chinesischen Meeres.

Busse fahren auf eigenen Spuren und haben stets Vorfahrt. Um Privatautos aus dem Zentrum herauszuhalten, gibt es am Stadtrand Umsteigeparkplätze in den öffentlichen Nahverkehr, eine City-Maut ist in Planung. Windräder und großflächige Solarkraftwerke decken 20 Prozent des Energiebedarfs. Für Geringverdiener baut die Lokalverwaltung subventionierte Wohnungen. Büros und Fabrikgebäude mischen sich unauffällig unter die Wohnbebauung, sodass viele Arbeitsplätze zu Fuß erreichbar sind.

Wachstum der Mega-Metropolen
Platz 10: N.Y.-Newark (USA)Bereits 1960 lebten rund 14 Millionen Menschen im Großram New York- Newark. Laut Prognosen sollen es 2020 über 20 Millionen sein. Das würde einem Wachstum von 44 Prozent entsprechen. (Quelle: UN) Quelle: dapd
Platz 9: Tokio (Japan)Um 122 Prozent soll Japans Hauptstadt zwischen den Jahren 1960 und 2020 wachsen. Schon 1960 lebten in Tokio 16,5 Millionen Menschen - 2020 sollen es aber fast 38 Millionen sein. Zwar reicht es mit dieser Wachstumsprognose nur für einen der hinteren Plätze - allerdings wäre Tokio mit dieser Bevölkerungszahl 2020 die weltweit größte Stadt! Quelle: Reuters
Platz 8: Shanghai (China)Fast 20 Millionen Menschen sollen im Jahr 2020 in Shanghai leben - 1960 belief sich die Zahl der Einwohner noch auf 6 Millionen. Dieser Anstieg würde einem Wachstum von 180 Prozent entsprechen. Quelle: Reuters
Platz 7: Kalkutta (Indien)Knapp 6 Millionen Menschen lebten im Jahre 1960 in Kalkutta. Die Zahl der Einwohner soll bis 2020 um 227 Prozent steigen - dann soll die Stadt laut Prognosen Platz für über 18 Millionen Menschen bieten. Quelle: Reuters
Platz 6: Mexiko-Stadt (Mexiko)Ein Wachstum von 309 Prozent hat Mexiko-Stadt zu erwarten. 4,5 Millionen Menschen lebten hier 1960 - im Jahr 2020 sollen es bereits über 20 Millionen sein. Quelle: dapd
Platz 5: São Paulo (Brasilien)Noch stärker fällt der Wachstum mit 445 Prozent in Brasiliens größter Stadt aus. 2020 sollen in São Paulo fast 22 Millionen Menschen Platz finden - 1960 belief sich die Zahl der Einwohner auf "nur" 4 Millionen. Quelle: Reuters
Platz 4: Mumbai (Indien)Mit stolzen 484 Prozent Wachstum muss eine der wichtigsten Hafenstädte Indiens rechnen. Auch Mumbai fasste im Jahr 1960 nur knapp 4 Millionen Einwohner. Allerdings soll die Stadt 2020 fast 24 Millionen Menschen Platz zum Leben bieten. Quelle: dapd

Umgerechnet 22 Milliarden Euro stecken die Regierungen Chinas und Singapurs in diese Musterstadt urbanen Lebens, konzipiert für vorerst 350.000 Einwohner – das entspricht der Größe von Bochum oder Wuppertal. Planungschefin Yang Liu verfolgt ein klares Ziel: „Wir wollen beweisen, dass sich China trotz des rapiden Wachstums nachhaltig entwickeln kann.“

Rasanter Wachstum

Mit dieser gewaltigen Herausforderung steht China nicht allein. Mit rund 6,4 Milliarden Menschen wird sich die Zahl der Stadtbewohner bis 2050 gegenüber heute annähernd verdoppeln – rund 70 Prozent der Weltbevölkerung lebt dann in Städten.

Allein Peking wächst jedes Jahr um 100.000 Menschen – die Einwohnerzahl von Cottbus oder Trier. In Indien werden nach Schätzungen von Wissenschaftlern in den nächsten 20 Jahren jede Minute 30 Landbewohner in Ballungsräume ziehen. Um diesen Zustrom zu bewältigen, muss Indien 500 neue Städte bauen. Und die Einwohnerzahl Dhakas, der Hauptstadt Bangladeschs, wird sich bis 2020 gegenüber 1960 um unfassbare 3.585 Prozent auf rund 19 Millionen erhöhen (siehe Grafik).

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