Dicht aneinander drängeln sich die Hühner in ihren Käfigen. Schweine werden regelrecht gemästet und Rinder wie Industriewaren behandelt – es sind Horrorbilder der Tierhaltung, die bei den Verbrauchern zwar nur langsam aber stetig ins Bewusstsein dringen.
Auch wenn viele Deutsche nicht auf Fleisch verzichten wollen – immerhin verzehrt jede Person hierzulande durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr – so legen doch immer mehr Menschen Wert auf hohen Tierschutz. Aktuell zitiert die Süddeutsche Zeitung aus einer Infratest-Umfrage, die im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums durchgeführt wurde. Danach ist es 89 Prozent der befragten Konsumenten „sehr wichtig“ oder „wichtig“, dass Lebensmittel aus besonders artgerechter Haltung stammen.
Um Verbrauchern die Entscheidung an der Fleischtheke zu erleichtern und mehr Transparenz zu schaffen, gibt es ab Mittwoch ein neues Tierschutzlabel. Entwickelt hat es der Deutsche Tierschutzbund in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Göttingen und Experten aus der Fleischwirtschaft. Mit etwa einer Million Euro hat auch der Bund das Projekt unterstützt. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner sprach sich explizit für das Label aus.
Zu finden ist das neue Label zunächst nur auf Produkten aus Schweinen und Hühnern. Allerdings sollen langfristig auch andere Fleischsorten bewertet werden. Einsetzen werden es unter anderem Großschlachter wie Vion und Wiesenhof.
Bewertet werden die Produkte mit einem Stern und zwei Sternen. Die Einstiegsstufe mit einem Stern zeichnet Produkte aus, die laut Tierschutzbund „deutlich über den gesetzlichen Regelungen“ liegen. Konkret bedeutet das, dass Ferkel nur unter Betäubung kastriert werden dürfen, außerdem sollen sie mehr Platz bekommen. Bei Masthühnern soll die tägliche Gewichtszunahme begrenzt werden. Darüber hinaus gibt es für Transport und Schlachtung strengere Anforderungen, außerdem soll ein Verbot gegen den Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel nach Ablauf einer dreijährigen Übergangsfrist eingeführt werden.
Tiere die ein Leben im Zeichen der Premiumstufe mit zwei Sternen leben durften, hatten deutliche mehr Auslauf und wurden im Freiland gehalten. Der Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel ist in der Premiumstufe nach den Richtlinien des Tierschutzbundes verboten. Das entspricht in etwa den Standards, an die sich auch Bio-Betriebe halten müssen.
Heftige Kritik an neuem Label
Ausgerechnet die Biobauern üben heftige Kritik an dem neuen Label. Die Verbraucher würden kaum darauf achten, ob sie Produkte mit einem oder zwei Sternen kaufen – dabei lägen zwischen diesen Kategorien Welten. Der Ein-Sterne-Standard sei von Tierschutz im Sinne der Bio-Haltung weit entfernt, heißt es seitens des Bundes ökologischer Lebensmittelwirtschaft.
Auch Gerald Wehde, politischer Sprecher des Verbands Bioland, kritisiert das neue Label und prangerte in einem Gespräch mit landbau.de an, dass der Tierschutzbund damit lediglich die industriellen Strukturen stärke. Die Organisation favorisiere Systeme, die für die Massentierhaltung, Billiglöhne und Exportorientierung stünden.
Die größten deutschen Fleischkonzerne
Das Unternehmen "Tönnies Fleischwerk" ist hat seinen Sitz im nordrheinwestfälischen Rheda-Wiedenbrück. Es gehört zu den größten Schlachtbetrieben Deutschlands und ist auch in der Fleischverarbeitung tätig. 2011 setzte Tönnies 4600 Millionen Euro um.
Das Unternehmen Vion N.V. besteht aus mehreren Tochterunternehmen mit Schwerpunkten in Deutschland und den Niederlanden. Der Hauptsitz ist in Eindhoven. 2011 machte das Unternehmen 3895 Millionen Euro Umsatz.
Die PHW-Gruppe ist der größte deutsche Geflügelzüchter- und verarbeiter sowie eines der größten Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie mit Hauptsitz in Rechterfeld, Niedersachsen. Pro Woche schlachtet die PHW-Gruppe rund 4,5 Millionen Hähnchen. Außerdem ist die Gruppe ein führender Anbieter von Tierfutter und Impfstoffen für Tiere. Die bekannteste Marke sind Wiesenhof. 2011 setzte das Unternehmen 2228 Millionen Euro um.
Die Westfleisch e.G. ist genossenschaftlich organisiert und die Mutterfirma einer nordwestdeutschen Unternehmensgruppe der Fleischindustrie mit Sitz in Münster. Das Unternehmen setzte 2011 2206 Millionen Euro um.
Die Heristo Aktiengesellschaft ist ein international tätiges Familienunternehmen mit Sitz in Bad Rothenfelde. Sie zählt, gemessen am Umsatz, zu den größten europäischen Herstellern von Heimtiernahrung. 2011 setzte das Unternehmen 1500 Millionen Euro um.
Die Zur-Mühlen-Gruppe ist ein Hersteller von Fleisch- und Fleischerzeugnissen und in Deutschland marktführend bei Wurst und Wurstkonserven. Hauptsitz des Unternehmens ist Böklund im Kreis Schleswig-Flensburg. Die Gruppe hält in Deutschland unter Berücksichtigung der Gesamtproduktion einen Marktanteil von mengenmäßig 22 Prozent. Mit über 3000 Mitarbeitern produziert die Gruppe jährlich 300.000 Tonnen Wurstwaren. 2011 konnte das Unternehmen einen Umsatz von 825 Millionen Euro verbuchen.
Die Rothkötter Unternehmensgruppe ist einer der größten deutschen Fleischproduzenten in Deutschland. Im Jahr 2011 machte die Gruppe einen Umsatz vom etwa 800 Millionen Euro. Rothkötter beschäftige im Februar 2012 etwa 2200 Mitarbeiter, darunter 1800 im Emsland.
Wie irritierend das neue Label für den Verbraucher sein kann, zeigt ein Interview mit Gerd Billen, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Gegenüber der „Welt“ sagte er, dass der Anteil der selbstbewussten und gut informierten Verbraucher in Deutschland bei etwa zehn Prozent liege. Der überwiegende Teil gehöre zu den vertrauenden Verbrauchern, die sich stark an Siegeln orientieren und auf die Glaubwürdigkeit von Unternehmen achten. Billen fordert die Verbraucher immer wieder dazu auf, sich aktiv an der Suche nach „falschen Angaben“ in Bezug auf Lebensmittel zu beteiligen. Das Portal Lebensmittelklarheit.de biete hierzu eine Möglichkeit.
Die neue Information wird den Kunden aber auch vor Augen führen, dass Tierschutz nicht kostenlos ist. Tiere, die vor der Schlachtbank besonders artgerecht gehalten wurden, sind zwanzig bis dreißig Prozent teurer als herkömmliche Fleischprodukte.
Inwieweit die Verbraucher auch die teureren Produkte kaufen wollen und können ist künftig fraglich. Gerade erst wurde bekannt, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland im Dezember 2012 um 4,8 Prozent nach oben geklettert sind – um so viel wie seit 2008 nicht mehr. Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Damals habe es im September einen Preisanstieg von 6,4 Prozent gegeben.
Besonders teuer ist mit einem Anstieg von zwölf Prozent frisches Gemüse geworden. Aber auch Fleisch und Fisch kosteten im Dezember 2012 jeweils 5,6 Prozent mehr.