Vorbilder Die innovativsten grünen Ideen

Ob im Verkehr, in Fabriken oder bei Nahrungsmitteln: In einer Welt mit immer mehr Menschen und begrenzten Ressourcen müssen wir radikal anders denken, um nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Weltweit finden sich zahlreiche Projekte, die zeigen, wie es gehen kann.

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Grüner High-Tech für Stadt und Land
Schlafkapsel von Leap-Factory Quelle: PR
Prototyp eines wärmespeichernden Grills Quelle: PR
Mini-Windkraftwerk von MRT Wind Quelle: PR
Leuchtendes Kindle-Cover Quelle: PR
Selbstversorgende Insel in der Südsee Quelle: PR
Tomaten in einem Gewächshaus Quelle: dpa
Ein Schild mit der Aufschrift "Genfood" steckt in einer aufgeschnittenen Tomate neben einem Maiskolben Quelle: dpa/dpaweb

Zwischen Bergrücken, am Rand der Schwäbischen Alb, wo Gasthöfe Lamm und Ochse heißen, führt Wolfgang Grupp sein Burladinger Unternehmen Trigema schon lange nach eigenen Regeln: Niemals in den 43 Jahren an der Firmenspitze hat der 69-jährige Unternehmer auch nur einen Moment daran gedacht, mit seinen Trikotagen, Jacken und Hosen in Märkte außerhalb Deutschlands zu expandieren. „Größenwahn“ tituliert Grupp abfällig solchen Drang.

Sein Streben war immer, solide zu wirtschaften – die 1200 Arbeitsplätze seines Unternehmens zu sichern. Noch nie hat er jemanden entlassen, nicht einmal Kurzarbeit hat er anmelden müssen. Und vor vielen anderen begann Grupp, seine Produktion auf Grün umzustellen – von der Bio-Baumwolle über ressourcensparende Prozesse bis zu kompostierbaren T-Shirts.

Der Textilfabrikant sieht sich nicht als Gönner. „Ich muss Geld verdienen, damit ich sozial sein kann.“ Unternehmerische Verantwortung bedeutet für ihn mehr als Marktanteile, Macht und Größe. „Solidität, Gerechtigkeit und Beständigkeit“ müssen unser Handeln bestimmen, findet er.

Lange war Grupp mit dieser Einstellung ein Exot im Unternehmerlager. Inzwischen steht er für einen Trend: Eine wachsende Zahl von Unternehmen will mehr als nur von Rekordzahl zu Rekordzahl eilen und hohe Gewinne ausschütten. Das belegt eine Umfrage der Beratungsgesellschaft Deloitte. Danach wollen sich 76 Prozent der Führungskräfte weltweit nicht allein am finanziellen Erfolg messen lassen – stattdessen halten sie einen gesellschaftlichen Wertbeitrag für ebenso wichtig.

Sozial, ökologisch, ökonomisch: Gerade in Deutschland wirtschaftet eine rasch wachsende Schar an „Ecopreneuren“ nach diesem Dreiklang. Sie stellen traditionelle Monopole, Strukturen und Denkmuster infrage und erproben neue menschen- und umweltverträgliche Geschäftsmodelle.

Besonders konsequent geht dabei Sina Trinkwalder mit ihrem Mode-Label Manomama vor. Eine Werbeagentur, die sie mit ihrem Mann in Augsburg führt, hat sie wohlhabend gemacht. Doch zugleich bekam die 34-Jährige hautnah mit, wie Kunden Mitarbeiter vor die Tür setzten, um ihre Profite zu steigern. Vor zwei Jahren packte sie das Gefühl, dass hier etwas aus dem Lot geraten sei, dem sie nicht länger zusehen wollte. Und so beschloss sie, ihr unternehmerisches Selbstverständnis im Schaffen von Arbeitsplätzen für Menschen zu verwirklichen, denen der Markt eigentlich keine Chance mehr gibt.

Seit Mitte Februar schneidern 60 Näherinnen auf 1600 Quadratmeter ihre schadstofffreie Ökokollektion. 54 von ihnen hat Trinkwalder neu eingestellt, darunter 48 Kolleginnen, die im Alter von über 50 Jahren die Hoffnung auf einen Job schon aufgegeben hatten.

Lieber die Welt verbessern

Weil Banken in solche Experimente nicht investieren, hat Trinkwalder das Unternehmen mit rund einer Dreiviertelmillion Euro privat finanziert. Garne, Knöpfe und Schulterpolster bezieht die preisgekrönte Unternehmerin ausschließlich aus der Region, um umweltbelastende Transporte zu vermeiden und den Beschäftigungseffekt zu verstärken. Rund 3000 Kunden honorieren ihr Konzept bereits und bestellen online Sakkos, Hemden und Taschen. Künftige Gewinne will Trinkwalder vor allem in weitere 200 Stellen investieren.

Kokettieren hier Unternehmer mit ihrem Gutmenschentum? Die Gründer des Münchner Ökostrom- und Ökogasanbieters Polarstern kennen solche Argumente. Trotzdem geben sie als oberstes Unternehmensziel an, die Welt verbessern zu wollen. Sollen andere das als anmaßend empfinden, sie nehmen es ernst.

Den Freunden Jakob Assmann, Florian Henle und Simon Stadler hätten mit ihren exzellenten Abschlüssen glänzende Karrieren in Unternehmen oder Beratungen offengestanden. Doch dem naturverbundenen Trio aus Bayern war bald klar, dass viel Geld sie nicht glücklich machen würde. Attraktiver schien es ihnen zu sein, gegen den Klimawandel anzugehen.

So stecken sie je verkaufter Kilowattstunde Strom 1,25 Cent in neue europäische Ökokraftwerke und unterstützen Familien in Kambodscha beim Bau von Mikro-Biogasanlagen. Dass dies ihre Gewinnmarge schmälert, stört Assmann nicht. „Uns ist die soziale Rendite genauso wichtig.“

Innovative Landwirte

Eine Kuh steht auf einem Feld Quelle: AP

Die 100 rot-weiß gefleckten Kühe auf dem Hof von Rudi Hooch Antink in Koekange im Norden Hollands haben es richtig gut: Sie können sich von elektrischen Bürsten massieren lassen, von Frühjahr bis Herbst auf die Weide gehen, und sie schlafen auf Gummimatratzen.

Wie Hooch Antink produzieren in der Region westlich des Isselmeers mehr als 500 Bauern Spitzenmilch auf neue Weise: Sie verzichten auf Intensivtierhaltung, schonen die Umwelt und verdienen obendrein mehr. Fachleute sehen in ihrem preisgekrönten Projekt eine Blaupause für eine gesunde Nahrungsmittelproduktion.

Fürsorgliche Milchwirtschaft

Die innovativen Landwirte wirtschaften nach einem gut durchdachten und auf Ressourceneffizienz getrimmten System, das sie Caring Dairy, fürsorgliche Milchwirtschaft, nennen. Einen Teil der jährlich erzeugten 320 Millionen Liter Milch liefern sie an die Käserei Cono Kaasmakers, deren Genossenschafter sie sind. Die macht daraus hochwertigen Gouda der Marke Beemster, der sich auch in Deutschland gut verkauft.

Der Rest geht an ein Werk des britisch-niederländischen Unilever-Konzerns, das die Milch zu Eis der Premium-Marke Ben & Jerry’s weiterverarbeitet.

Wo immer es geht, reduzieren Hooch Antink und seine Mitstreiter die Umweltbelastung ihrer Milchproduktion: Die Kühe kriegen als Futter frisches Gras und nur im Winter nachhaltig angebautes Trockenfutter. In ihren Mägen entsteht so bei der Verdauung weniger Methan, das 23 Mal stärker zur Erderwärmung beiträgt als die gleiche Menge CO2. Die Tiere der Genossenschaftsbauern produzieren dank Weidehaltung geschätzt bis zu einem Drittel weniger Methan – der weltweite Durchschnitt liegt bei 300 Gramm je Kuh und Tag.

Mit der Wärme der Milch temperieren die niederländischen Ökolandwirte das Wasser vor, mit dem sie Melkroboter und Milchtanks reinigen. Ehrensache, dass jeder Hof aus der Gülle der Tiere in einer Biogasanlage Energie gewinnt. Der 46-jährige Hooch Antik verdient heute pro Jahr 7000 Euro mehr als Bauern, die ihre Milch an Marktführer Friesland Campina liefern.

Geld sammeln bei Ökobürgern

Auch in Deutschland konnten die Ökobauern ihre Erlöse laut aktueller Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums deutlich steigern. Sie verkauften 2010 Fleisch, Eier und Gemüse im Wert von 1,3 Milliarden Euro – ein Plus von 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Umsatz aller Bioprodukte ist hierzulande seit 2000 sogar von knapp zwei auf fast sieben Milliarden Euro hochgeschnellt.

Ein besonders nachhaltiges Konzept hat der Freiburger Landwirt Christian Hiß entwickelt. Er sammelte bei ökologisch orientierten Bürgern und Investoren fast zwei Millionen Euro Kapital ein und investierte sie in ein regionales Netzwerk aus Gemüsebauern, Wein- und Obsthändlern. Die Betriebe verpflichten sich, streng ökologisch zu wirtschaften und ihren Beschäftigten faire Löhne zu zahlen.

Hiß geht es aber um noch mehr: Er will neue Vertriebswege für Ökoprodukte aufbauen und neuen Ökobetrieben mit Darlehen auf die Sprünge helfen. Wie wichtig ein Umstieg wäre, zeigt eine Studie des Umweltbundesamts zum Düngereinsatz. Statt 80 Kilogramm pro Hektar und Jahr, was Experten als ausreichend erachten, pflügen traditionell wirtschaftende Landwirte 100 Kilogramm Stickstoffdünger unter ihre Felder. Schlecht für die Umwelt: Denn bei der Herstellung entweichen riesige Mengen CO2 – fünf Tonnen je Tonne Dünger.

Den Stau ahnen

Ein Autofahrer bedient während der Fahrt ein TomTom-Navigationsgerät Quelle: gms

Der Verkehr nimmt weltweit zu. In Deutschland rechnet die Akademie der Technikwissenschaften schon bis 2020 mit 20 Prozent mehr Autos und sogar einem Drittel mehr Lastwagen auf den Straßen. Weltweit steigt die Zahl der Fahrzeuge von etwa 750 Millionen auf rund 1,25 Milliarden. Die Folge: Es wird immer enger auf den Straßen. Um den Verkehrskollaps abzuwenden, arbeiten Forscher an Konzepten, den Straßenraum besser auszunutzen. Der Verkehrsexperte Michael Schreckenberg von der Duisburger Universität setzt dabei auf ein intelligentes Zusammenwirken der Navigationsgeräte. Mit dem niederländischen Navi-Hersteller TomTom hat er dazu das Projekt „Dynamics in Navigation“ ins Leben gerufen.

Die Grundidee: Stockt irgendwo der Verkehr, werden nur so viele Autofahrer auf Ausweichrouten umgeleitet, wie diese an zusätzlichem Fahrzeugaufkommen verkraften können, sodass nicht an anderen Stellen neue Staus entstehen. Damit das funktioniert, sollen die Navigationsgeräte künftig über eine Leitstelle ständig Daten über Verkehrsaufkommen, Straßenzustand, Baustellen und Unfälle austauschen. „Wir wollen die Informationen zur Verkehrslage individualisieren und so eine sinnvolle Nutzung des gesamten Verkehrsnetzes erreichen“, sagt Schreckenberg.

Im größten deutschen Feldversuch SimTD wird dieser Ansatz schon dieses Frühjahr getestet. Rund 400 Autos sind um Frankfurt am Main beteiligt. Um den Verkehrsfluss zu verbessern, werden sogar die Ampelschaltungen berücksichtigt.

Fahren im Gespann

Auch wenn die Autos Stoßstange an Stoßstange fahren könnten, würde Straßenraum gespart. Im EU-Projekt Safe Road Trains for the Environment koppeln Forscher dazu fünf Wagen per elektronischer Deichsel zu einem Gespann: Ohne Sicherheitsabstand fahren sie hintereinander her – erst einmal nur auf einem Testgelände.

Die bessere Auslastung der Straßen hilft die Umweltbelastungen trotz steigendem Verkehrsaufkommen zu begrenzen. Es müssen weniger neue Straßen gebaut werden, zudem bedeutet fließender Verkehr weniger Abgase: Nach Zahlen des Verkehrsforschers Frank Schmid verpesten Autos im Stau die Luft in Deutschland mit jährlich 715.000 Tonnen CO2.

Kunststoff aus Klimagas

 Eine Mitarbeiterin des Bayer-Konzerns arbeitet im Labor Quelle: dpa

Jede freie Minute, die der Aufbau eines Studiengangs für Biotechnologie an der Deutschen Universität in Kairo Hartmut Seliger lässt, widmet der Biochemiker seiner Leidenschaft: Bakterien. Vor sechs Jahren ist es ihm gelungen, die winzigen Organismen dazu zu bringen, Kunststoff herzustellen und ihn zu Verpackungen weiterzuverarbeiten – bis dahin eine Unmöglichkeit.

„Altes Brot genügt, dass sich die Bakterien einen Bauch anfressen“, sagt Seliger. Nach der Verdauung bestehen sie zu 90 Prozent aus Plastik. Genauer gesagt, aus mikroskopisch kleinen Kügelchen, aus denen sich später unter Zugabe von Pflanzenfasern stabile Kunststoffplatten herstellen lassen. Brasilianische Chemieunternehmen haben Seligers Idee aufgegriffen und weiterentwickelt. Sie füttern die Mikroorganismen in 10.000 Liter fassenden Kesseln allerdings nicht mit altem Brot, sondern den Abfallresten aus der Zuckerrohr-Verarbeitung.

Damit sind sie dem Ziel vieler Biochemiker in aller Welt einen großen Schritt näher gekommen: einen Ersatzrohstoff für das Öl im Kunststoff zu finden. Denn das Schwarze Gold wird knapp, und heute enden immerhin rund sechs Prozent der Welterdölförderung in Plastik. Aber nicht nur in Sachen Kunststoffherstellung bezeichnet Alexander Holst, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei der Unternehmensberatung Accenture, die chemische Industrie als „Schlüsselbranche für künftige Ressourceneffizienz“. Ihr falle die entscheidende Rolle bei dem Versuch zu, Technologien und Materialien für ein grünes Wachstum bereitzustellen. Ob in Industrie, Landwirtschaft oder bei der Energieversorgung.

Marktstart in drei Jahren

Weitere viel versprechende Entwicklungen sind bereits unterwegs. So arbeiten Forscher des Leverkusener Chemie- und Pharmakonzerns Bayer mit Industriepartnern daran, das Erdöl in der Kunststoffproduktion durch Kohlendioxid (CO2) zu ersetzen. Dafür will Teamleiter Christoph Gürtler das CO2 aus Kohlekraftwerken nehmen, das bisher in die Atmosphäre entfleucht und dort das Klima erwärmt. Im ersten Schritt sollen aus dem Schaumstoff Gebäudedämmungen und Matratzen entstehen. Die Markteinführung diese Kunststoffs ist für 2015 geplant.

Gold aus Schrott

Ein Arbeiter im Toyota-Werk in Japan Quelle: REUTERS

Dass Altes so gut wie Neues sein kann, musste Tim Rademacker seinen Kunden erst einmal beweisen. Deshalb flog der 33-Jährige mit einem Beutel voller schwarzer Kohlefasern im Handgepäck von Kontinent zu Kontinent und besuchte Kunststoffhersteller. In dem Beutel befand sich recyceltes Karbon und damit eine Weltneuheit. Denn das Unternehmen CFK Valley Stade Recycling, dessen Geschäftsführer Rademacker ist, hat als erstes ein Verfahren entwickelt, um das wertvolle High-Tech-Material, aus dem Fahrradrahmen, Autokarossen und Flugzeugflügel entstehen, wiederzuverwerten.

So gut wie Neuware

„Unser Material ist qualitativ so gut wie Neuware“, sagt Rademacker. Und es ist billiger. 2011 wurden in der Zentrale in Wischhafen bei Hamburg schon 1000 Tonnen des Materials recycelt. Damit erfüllen die Norddeutschen das wichtigste Kriterium, das der Bundesverband der Deutschen Industrie für künftiges Wachstum aufgestellt hat: Die Wirtschaft müsse lernen, knappe Rohstoffe aus alten Produkten in den Produktionskreislauf zurückzuführen.

Die Ansätze zu solch einem Wachstum, das Substanz bewahrt, statt sie zu vergeuden, kommen voran. In Bielefeld gewinnt das Unternehmen Saperatec schon 95 Prozent der in Dünnschichtsolarzellen eingesetzten Stoffe wieder sortenrein zurück. Der Autobauer Toyota wiederum holt das wertvolle Nickel in den Batterien seines Hybrid-Modells Prius zu beinahe 100 Prozent zurück. Die Recyclingspezialisten des belgischen Aufbereiters Umicore lösen aus Handys, Laptops und anderen Elektronikgeräten beinahe den gesamten Inhalt an Gold, Platin, Blei, Kupfer und Lithium heraus. Fast nichts geht verloren. Gelänge das in ganzer Breite, könnten europäische Unternehmen jährlich rund 450 Milliarden Euro an Rohstoffkosten einsparen, so eine Studie der Ellen MacArthur Stiftung . Die EU-Kommission strebt deshalb bei Auto- und Elektronikabfällen schon 2020 eine Recyclingquote von 85 Prozent an.

Teilen statt besitzen

Ein mit Sonnenkollektoren ausgerüsteter Kuhstall Quelle: dpa

Als Andrew Hyde die Schule besuchte, teilte er den Traum der meisten Menschen: Eines Tages wollte der blonde Amerikaner ein großes Haus voller schöner Dinge besitzen.

Dann brach der junge Designer im August 2010 zu einer Weltreise auf. Hyde trennte sich von fast allem, was er besaß: Laptop, Rennrad, Bücher, dem Fernseher – selbst von seinem Bett. Nur 15 Gegenstände, von denen er annahm, dass er sie auf der Reise unbedingt brauchte, behielt er, darunter ein Rucksack, ein Smartphone, eine Kamera und diverse Anziehsachen.

Hydes siebenmonatige Reise durch 36 Länder wandelte seine Sichtweise auf Besitz und Reichtum radikal. Er lernte, mit wenig auszukommen und dennoch zufrieden zu sein. Die Einstellung hat sich seit seiner Rückkehr nicht geändert. Heute lebt Hyde in New York und besitzt kaum mehr als während seiner Tour. „Wenn du dich einmal an die Schlichtheit gewöhnt hast, erscheint dir das komplizierte Leben, das andere führen, als waghalsig“, schreibt er in seinem Blog andrewhy.de.

Weniger Konsumverschwendung

So weit gehen zwar nur wenige. Doch zumindest in der wohlhabenden westlichen Welt wenden sich breite Schichten neuen, weniger verschwenderischen Formen des Konsums zu. Sie teilen ihr Hab und Gut mit anderen und leihen Bohrmaschine und Fahrzeuge lieber aus, als sie sich zu kaufen.

Die entsprechenden Plattformen im Internet haben enormen Zulauf: Auf tamyca.de vermieten Menschen ihre Autos. Über carpooling.com organisieren Millionen Europäer Mitfahrgelegenheiten. Auf meine-ernte.de verpachten Grundstückbesitzer Beete an Hobbygärtner. Und auf frents.de verleihen Tausende Deutsche Kameras, Rasenmäher und Spielekonsolen.

Im Jahr 2010 wurden weltweit schon Produkte im Gesamtwert von 36 Milliarden Dollar getauscht und verliehen, so aktuelle Schätzungen. Das gemeinsame Nutzen von Gütern ist längst ein Megatrend. Der Gründer der Bettentauschbörse AirBNB, Brian Chesky, kennt die Motive der Nutzer genau. Für sie sei das Teilen kein Verzicht, sondern im Gegenteil ein Zugewinn: an Geld, sozialen Kontakten und neuen Erfahrungen. Mehr als 100.000 Teilnehmer aus 192 Ländern stellen ihre privaten Unterkünfte bereits auf Cheskys Portal zur Miete bereit.

Bewusster Konsum ist dabei nur eine Facette des wachsenden bürgerschaftlichen Engagements für Nachhaltigkeit. Immer mehr Menschen drängt es, die grüne Zukunft aktiv zu gestalten.

Bundesweiter Aufbruch

Am sichtbarsten wird das bei der Energiewende. Während die Bundesregierung über die Regularien noch streitet, schreiten die Bürger zur Tat und installieren Tausende Solaranlagen, Windräder und Biogasanlagen. Landwirte und Privatpersonen besitzen nach einer Übersicht der Bremer Marktanalysten von Trend:research inzwischen fast zwei Drittel aller Erneuerbarer-Energien-Anlagen in Deutschland. Die vier Energieriesen E.On, RWE, Vattenfall und EnBW steuern ganze 6,5 Prozent bei.

Rüdiger Frey ist darüber glücklich. Die Hände gegen die Kälte tief in die Jackentaschen vergraben, schweift sein Blick auf einer Anhöhe des Städtchens Weissach im Tal, unweit von Stuttgart, über Gemeindehalle, Feuerwehrhaus und Bildungszentrum. Die Dächer sind mit Fotovoltaik-Modulen der örtlichen Energiegenossenschaft vollgepackt, die der Verwaltungswirt vor gut drei Jahren mitgegründet hat. Sein Motiv: Der 64-jährige Atomkraftgegner wollte nicht nur gegen etwas sein, sondern den Ausbau sauberer Energieerzeugung selbst voranbringen. „Auch, um die Macht der Konzerne zu brechen“, schiebt er nach.

Knapp 240 Mitstreiter hat Frey in der 7000-Seelen-Gemeinde gefunden. Viel mehr würden gerne mitmachen, aber erst einmal müssen neue Projekte aufgelegt werden. Die Energiegenossen denken an Windräder und Biogas, auch ein Solarkraftwerk auf einer ehemaligen Müllhalde ist in Planung.

Die Weissacher stehen für einen bundesweiten Aufbruch. Mehr als 300 Energiegenossenschaften zählt die Berliner Agentur für Erneuerbare Energien. Allein vergangenes Jahr sind 111 neu entstanden. Hinzu kommen schätzungsweise einige Hundert Bürgerwind- und Bürgersolarparks .

Weissachs Bürgermeister Ian Schölzel sieht in der Bürgerbewegung eine riesige Chance: „Sie aktiviert jede Menge Kapital, und wo die Bürger beteiligt sind, schwindet der Widerstand gegen Windräder oder neue Stromtrassen.“

Viel Grün und wenig Autos

Blick aus der Luft auf die historische Altstadt von Stralsund Quelle: dpa

Wenn sich jemand ein Urteil zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung erlauben kann, dann Jaime Lerner. Der 74-jährige Stadtplaner war seit 1971 drei Mal Bürgermeister der brasilianischen Metropole Curitiba, südlich von São Paulo. Am Ende seiner Amtszeit 1992 hatte er es geschafft, dass Stadt und Lebensqualität kräftig wuchsen, ohne mehr Ressourcen zu verbrauchen. Der Erfolg hat Lerner gelehrt, dass Bevölkerungswachstum sozial- und umweltverträglich organisierbar ist. „Städte sind nicht das Problem, sondern die Lösung“, sagt er. Inzwischen eifern 80 Großstädte rund um den Globus Curitibas Vorbild nach, und die Weltbank adelte Lerners Projekt, indem sie Curitiba zu einer Modellmetropole für das 21. Jahrhundert kürte.

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Abfall gegen Essen tauschen

Lerner entwickelte ein riesiges, öffentliches Nahverkehrssystem mit im Minutentakt verkehrenden Bussen. Er baute die Straßen radikal um, indem er eigene Busspuren schuf. An den Buslinien entlang wurde dichte Wohnbebauung gefördert, hinzu kamen mehr als 24 Parks. Und er richtete Recyclingstellen ein, bei denen die Armen der Stadt Abfall gegen Essen tauschen können. So werden 70 Prozent des Hausmülls der Stadt wiederverwertet. Europa strebt bis 2020 eine Quote von gerade mal 50 Prozent an.

Gegenüber 1970 drängeln sich heute ein Drittel weniger Autos und Lastwagen auf den Straßen Curitibas. Und das ist gelungen, obwohl sich die Einwohnerzahl seither auf fast vier Millionen verzehnfacht hat.

Weltweit sehen sich die Metropolen einem ähnlichen Andrang ausgesetzt. Leben heute 3,5 Milliarden Menschen in Städten, so werden es 2030 fünf Milliarden sein. Für Lerner, der heute an der Universität in Curitiba Stadtplanung lehrt, kein Anlass zur Sorge: „Die Lebensqualität kann in jeder Stadt auf der Welt in drei Jahren verbessert werden. Egal, wie groß oder arm sie ist.“

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