Der erste Schnee ändert alles. Ein paar Tage sind es noch, bis die ersten Gäste kommen, und plötzlich sind all die hässlichen Wunden unter dem weißen Mäntelchen verschwunden. Statt des massiven Betonkanals, der später mal die Schmelzwasserfluten ins Tal tragen wird, sieht man nur eine weiß getupfte Mulde. Die grob geschotterte Lastwagenpiste, die eben noch den sanft gewundenen Wanderweg durchtrennte – verschwunden unter einem Mantel aus unbeflecktem Weiß. Die Schneekanonen, die gerade noch wie illegal entsorgte Flutlichtmasten am Waldesrand standen, auf einmal rahmen sie einen glühend weiß glitzernden Schneeteppich.
Der Schnee verändert alles. Wenn er kommt ebenso wie wenn er wegschmilzt. Oberjoch, Wiege des deutschen Skitourismus. Hier stand vor gut 70 Jahren einer der ersten Skilifte Deutschlands, jetzt haben sie bald den größten. „Wir bauen die erste Achtersesselbahn in Deutschland“, sagt Adalbert Martin. Er ist Bürgermeister der Marktgemeinde Hindelang, zu der Oberjoch gehört, und Aufsichtsratschef der Liftgesellschaft in einem, eine ebenso übliche wie komplizierte Kombination, aber dazu später mehr.
Aktuelle Investitionen in deutsche Skigebiete
10,4 Mio. Euro
13 Mio. Euro
25 Mio. Euro
50 Mio. Euro
50 Mio. Euro
Wenn Marktvorsteher Martin am 18. Dezember die Skisaison eröffnen wird, hat Oberjoch den jüngsten Schub einer Investitionslawine hinter sich, die seit Jahren durch die Alpen rollt. Jedes Jahr werden Millionen in die öffentliche Hand genommen für neue Lifte, neue Schneekanonen, neue Teiche zur Versorgung derselben, Pistenwalzen, Generatoren, Gaudihütten und was man sonst alles braucht für so ein Skigebiet.
Millionen für ein kurzes Vergnügen
Zwischen 2009 und 2015 ist die gesamte in Bayern beschneite Fläche um gut 50 Prozent von 600 auf 900 Hektar gestiegen. Allein die neuen Skilifte für die 1400-Seelen-Gemeinde Oberjoch kosten 23 Millionen Euro. Dabei steht fest: Lange wird der Spuk nicht mehr gehen, auch die größten Schneekanonen werden es nicht ändern.
Anders als bei vielen anderen Folgen der Erderwärmung , die „wahrscheinlich“, „unter bestimmten Voraussetzungen“ oder „wenn wir nichts dagegen tun“ gelten, ist die Perspektive des Skitourismus unverrückbar: In ein paar Jahren hat es sich in den Mittelgebirgen ausgecarvt, ein bisschen später sind dann große Teile der deutschen Alpen dran. Mögen die Klimakonferenzen dieser Welt sich einigen, auf was sie wollen. „Ich habe nichts gegen den Skisport“, sagt Ludwig Hartmann, Grünen-Fraktionschef im bayrischen Landtag, „ich verstehe bloß nicht, warum wir die Augen davor verschließen, dass es damit bald vorbei ist.“ Ja warum? Die Antwort auf diese Frage hat ein bisschen mit den Mechanismen der Politik zu tun, etwas mehr mit den Perspektiven ökonomischer Rationalität und ganz viel mit: der Macht lieb gewonnener Gewohnheiten.
Letzte Ausfahrt Zugspitze
Jürgen Schmude hat die Hornbrille, das offene, weiße Hemd und die betont ungeordneten Haare eines Kreativdirektors, doch den kühlen Blick des Wissenschaftlers. „In 50 Jahren wird es nur noch in einem deutschen Skigebiet, an der Zugspitze, klimatisch funktionieren, dass wir dort Skisport betreiben“, sagt Schmude. Und fügt hinzu: „Außer wir machen die ganz verrückten Sachen.“ Schmude ist Professor für Geografie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, seit Jahren erforscht er die Folgen des Klimawandels für den Alpenraum, ökologisch, vor allem aber ökonomisch. „Noch haben die Regionen es selbst in der Hand, sich auf die Zeit nach dem Skisport vorzubereiten“, sagt Schmude. „Die Alpen sind insgesamt deutlich überproportional vom Klimawandel betroffen“, sagt Schmude.
So ist die Durchschnittstemperatur in den vergangenen Jahren in den Alpen doppelt so schnell gestiegen wie im weltweiten Durchschnitt. Und für die bayrischen Alpen ist die Perspektive am schlechtesten. Hier steigt die Temperatur schneller als anderswo, zudem sind die Skigebiete deutlich niedriger gelegen als in Tirol: „Selbst wenn es gelänge, die Steigerungsdynamik des Klimawandels abzumildern, wird der Skisport in den bayrischen Alpen bis 2050 nahezu unmöglich“, sagt Schmude.
Es wird dann zwar weiter Schneefälle geben, aber das genügt eben nicht, um Skisport zu betreiben. „Um ein Skigebiet halbwegs ökonomisch zu betreiben, braucht man ungefähr 100 Tage Schneesicherheit im Jahr“, sagt Schmude. 100 Tage, als magische Grenze kennt man das auch in Oberjoch. „Wir haben die 100 Tage in den vergangenen zehn Jahren achtmal erreicht“, rechnet Bürgermeister Martin vor, der daraus einen einfachen Schluss zieht. „Solange wir diese Quote halten können, ist der Wintersport für uns ein lohnendes Geschäft. Und das werden wir schaffen.“
Unter dem Strich positiv
Martin ist ein Mann der Zahlen, nicht nur was die Schneesicherheit angeht. Bevor er in Hindelang Bürgermeister wurde, hat er ein paar Serpentinen weiter unten im Tal die Gemeindefinanzen organisiert. Wenn alle Risiken und Chancen in Zahlen erfasst sind, gegenübergestellt und unter dem Strich ein positives Ergebnis steht, dann ist es eine gute Sache. So bewertet Martin die Dinge. „Wir haben lange überlegt, ob wir das Risiko dieser Investition wirklich eingehen sollen“, sagt Martin, in dessen Logik auch die Alpen selbst weniger ein Naturraum als ein raues Wettbewerbsumfeld sind.
„Es gibt in den Alpen 3000 Orte, die vom Tourismus leben, so wie wir“, rechnet er vor. Um gegen die zu bestehen, hilft nur eines: viel Geld. Die 30 Millionen für den Liftneubau hätte Martin trotzdem niemals zusammenbringen können. Doch als Martin vor sieben Jahren Bürgermeister wurde, hatte der Freistaat Bayern gerade das Bergbahnenprogramm aufgelegt, extra für kleine Bahnbetreiber, wie es Oberjoch eines ist.
34 Millionen Euro hat das Land seit 2009 für die Förderung des Wintertourismus ausgegeben. Doch es gab da ein Problem: „Bei dem Programm dürfen nur Orte mitmachen, wo die Liftgesellschaft überwiegend in privater Hand liegt, die Gemeinde also höchstens 25 Prozent der Anteile hält.“ In Oberjoch waren es aber 44 Prozent. Eine Kapitalerhöhung musste her, 4,5 Millionen Euro sollten reichen, so hatte Martin sich das ausgerechnet. „Aber versuchen Sie mal, Investoren zu finden für ein Projekt mit diesem Risiko, bei dem mit einer Dividende eher nicht zu rechnen ist.“
Man könnte auch sagen: ein Projekt,für das es aus marktwirtschaftlicher Sicht keinen vernünftigen Grund gibt. Nur wenige Liftbetreiber in den deutschen Alpen machen echte Gewinne, viele brauchen Zuschüsse aus dem Gemeindehaushalt.
Hilfst du mir, helf ich Dir
Zum Glück aber muss man sich in der Marktgemeinde Bad Hindelang nicht allein auf die Marktwirtschaft verlassen. Denn von so einer Liftgesellschaft haben schließlich viele etwas. „Unser Ort lebt zu mindestens 80 Prozent vom Tourismus“, sagt Martin. Eine Million Touristen im Jahr, 100 Millionen Euro Wertschöpfung. Und so kommt es, dass einem viele Namen hier mehrfach begegnen.
Denn Martin hatte seine Investoren trotz der fraglichen wirtschaftlichen Perspektiven schnell zusammen. 49,5 Prozent der Anteile der Bergbahn, die inzwischen als Aktiengesellschaft fungiert, sind in der Hand einer kleinen Gruppe von Geldgebern, an deren Spitze zwei Herren namens Hubert Holzheu und Gerhard Breher stehen. Letzterer wiederum ist Inhaber der Brefa Bauunternehmung – die baut sowohl auf der Piste mit als auch an einem benachbarten Radweg. So wird aus der kaum profitablen Liftgesellschaft eine höchsteffiziente Gemeinschaft zur Akkumulation staatlicher Fördergelder.
Aus diesen Gründen schwitzt die Erde
Die Anzahl der Menschen auf der Erde wächst jedes Jahr um etwa 70 bis 80 Millionen Personen. Das entspricht fast der Bevölkerungsgröße Deutschlands. Bis 2050 soll laut Schätzungen der Vereinten Nationen die Weltbevölkerung auf knapp 10 Milliarden Menschen angewachsen sein. Dass die Kinder nicht hierzulande oder bei unseren europäischen Nachbarn geboren werden, ist hinreichend bekannt. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern in Afrika und Asien wächst die Bevölkerungszahl. Dadurch wächst auch der Bedarf an Rohstoffen, Energie, Wasser und Nahrung.
Trotz Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1992 hat sich der CO2-Ausstoß kaum verringert. Lediglich als 2009 aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise viele Industriestätten weniger produzierten, sank der Wert der Kohlendioxidemission auf 784 Millionen Tonnen. Schon ein Jahr später lag der Wert wieder bei 819 Millionen Tonnen. Dabei entsteht ein Großteil der Emissionen in nur wenigen Ländern wie China, den USA und der EU.
Während Carsharing und der öffentliche Nahverkehr in Ländern wie Deutschland in Zeiten hoher Benzinkosten viele Anhänger findet, ist der weltweite Trend eindeutig ein anderer. Immer mehr PKW fahren über den Globus. 2010 wurde erstmals die Eine-Milliarde-Marke geknackt. Besonders viele Autos pro Einwohner werden in Monaco und den USA gefahren.
Der seit Mai 2012 stetig ansteigende Ölpreis hat dafür gesorgt, dass Kohle wieder an Attraktivität gewonnen hat. Die Wiederauferstehung der Kohle ist für die Umwelt eine Katstrophe. Laut BUND sind Kohlekraftwerke mehr als doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke. Die großen Dampfwolken aus den Kühltürmen der Kraftwerke machen ein anderes Problem deutlich: Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht meist als ungenutzte Wärme verloren.
Das Handout der Umweltschutzorganisation WWF zeigt die illegale Abholzung eines Waldgebietes in Sumatra (Indonesien). Jährlich gehen knapp 5,6 Millionen Hektar Wald verloren. Die fortschreitende Abholzung von Regenwäldern trägt entsprechend mit zur globalen Erderwärmung bei. Denn die Wälder speichern Kohlendioxid.
Rinder sind wahre CO2-Schleudern. Die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch in Brasilien erzeugt genauso viel klimaschädliches Kohlendioxid wie eine 1.600 Kilometer lange Autofahrt. In diese Rechnung fließen mehrere Faktoren ein. Zum einen können auf dem für die Rinder genutzten Weideland keine Wälder mehr wachsen. Zum anderen scheiden Rinder das klimaschädliche Gas Methan aus. Laut WWF sind in Deutschland fast 70 Prozent der direkten Treibhausemissionen auf die Ernährung mit tierischen Produkten zurückzuführen.
Nicht nur Unmengen an Verpackungsmüll produzieren die Deutschen. Wir schmeißen auch jede Menge Lebensmittel weg, pro Kopf etwa 100 Kilogramm pro Jahr. Auch diese Verschwendung wirkt sich massiv negativ auf das Klima aus.
Flugzeuge stoßen CO2, Stickoide, Wasserdampf, Ruß, Sulfat und andere Partikel aus und verpesten so die Umwelt. Die größte Klimawirkung hat laut atmosfair.de das reine CO2, das immer beim Verbrennen von Benzin oder Kerosin entsteht. Außerdem die Bildung von Schleierwolken und Kondensstreifen, der Aufbau vom Treibhausgas Ozon in einem sensiblen atmosphärischen Stockwerk sowie der Abbau von Methan.
„Viele Gemeinden in den Alpen richten ihr touristisches Programm zu einseitig auf den Wintersport aus“, sagt Grünen-Politiker Hartmann. Der hat bei Alpeninvestoren und Bürgermeistern einen Ruf weg, seit er sich an die Spitze der Anti-Olympia-Bewegung setzte und damit die Bürger in München und Garmisch überzeugte. Doch er hat sich so auch Respekt erworben. „Jede Investition, die ich heute in den Wintersport tätige, kann später hinderlich sein, um sich als naturnahe Destination zu empfehlen“, sagt er.
Wer schon einmal auf pistenraupenbreiten Schotterbahnen zwischen Liftmasten und Kanonenseen entlang gewandert ist, weiß, was Hartmann meint. „Den Gemeinden fällt der Abschied vom Wintersport auch deshalb so schwer, weil sie bereits sehr viel Geld in den Wintersport investiert haben“, sagt Hartmann. Der Sommerurlauber will wandern und dabei vielleicht auf einer Alm einkehren. Im Winter aber wird erst die Liftkarte bezahlt, dann der Skikurs, Nachmittag ist Wellness und abends Menü. Ein Ortsvorsteher, der versuchen würde, die Investitionen auf den Sommertourismus zu konzentrieren, würde es sich daher mit all seinen Einwohnern verscherzen.
Dabei spräche der Trend für eine radikale Entscheidung. Während die Alpen im Winter unter dem Klimawandel leiden, profitieren sie im Sommer. So sagt der Klimabericht Bayern voraus, dass ab 2030 die Zahl der Schneetage um 30 bis 60 sinken werde, zugleich steigt aber der Anteil der warmen Tage. Schon heute verzeichnen fast alle Tourismusorte in den deutschen Alpen im Sommer deutlich steigende Besucherzahlen, während sie im Winter bestenfalls stagnieren.
Eine Handvoll Gemeinden gibt es in den deutschsprachigen Alpen, die keine Skilifte mehr haben und sich als Zentren des sanften Tourismus vermarkten. In Immenstadt, am Eingang ins Oberstdorfer Tal gelegen, gab es mal Lifte am Gschwendner Horn. In den Neunzigerjahren wurden die abgebaut, heute wird der Berg gerne als Beispiel für die neue Nachhaltigkeit genannt, in den deutschen Alpen ist es das einzige. Bad Hindelangs Bürgermeister Martin relativiert: „Der Liftbetreiber ist schlicht und einfach pleitegegangen.“
Martin war in Immenstadt für die Finanzen zuständig, als das geschah. „Wäre damals nicht die Allianz Stiftung eingestiegen, hätte das nicht geklappt.“ Die Stiftung steckte Millionen Euro in den Abbau der Lifte, heute ist das Horn ein schöner Wanderberg. Das Beispiel zeigt, dass die Liftinvestitionen nicht nur eine teure Wette auf ein paar letzte gute Jahre sind, sie stellen auch die Altlasten von morgen da. Denn der Liftbetrieb endet meist zeitgleich mit der Auflösung der Liftgesellschaft. Und dann? Demontage, Abtransport, Renaturierung – alles teuer.
Diese Sorgen blendet Martin aus. „Wir haben hier noch 30 Jahre Schneesicherheit, wie es danach weitergeht, können wir uns also noch lange genug überlegen.“ Mit dieser Zahl argumentiert auch die Landesregierung, wenn sie prognostiziert: „Mit Unterstützung einer effizienten Beschneiungstechnologie ist in den nächsten 30 Jahren von einer sehr hohen Schneesicherheit selbst unterhalb von 1500 Metern Höhe auszugehen.“ Dabei ist das keineswegs so sicher. „In Durchschnittswerten kommen die 30 Jahre schon hin“, sagt Geograf Schmude. „Durchschnitte sind für den Tourismus aber nicht entscheidend.“ Denn der Durchschnitt blendet Sonderereignisse aus.
100 Tage nützen nichts, solange an Weihnachten, Karneval oder Ostern kein Schnee liegt, da machen die Orte einen Großteil ihres Umsatzes. Im vergangenen Jahr hat sich Schmude daher die Klimaveränderungen konkreter angeschaut. „Nicht nur die Anzahl der kalten Tage verändert sich, auch ihre Verteilung, sie verschieben sich ins Frühjahr“, sagt Schmude. „Schon bald könnte Weihnachten regelmäßig aus der Skisaison herausfallen.“ In Oberjoch heißt die Perspektive 18. Dezember. Zur Eröffnung der 30-Millionen-Lifte hat die Gemeinde ein Festzelt organisiert. „Das wäre natürlich nicht schön, wenn wir dann ohne Schnee daständen“, sagt Martin. Noch aber hält das weiße Mäntelchen.