Umweltschutz und Olympia China: Doch keine grünen Spiele

Nie zuvor wurde zu Olympia so viel Geld in modernste Umwelttechnik investiert wie in Peking. Die versprochenen grünen Spiele wird es dennoch nicht geben. Die chinesische Regierung plant schon für den Notfall.

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1/3 weniger Enerige, 520 Quelle: REUTERS

Wie ein silbrig-blau schimmernder Würfel ragt das olympische Schwimmstadion aus der Landschaft. Die Nachmittagssonne spiegelt sich in dem futuristischen Bau. Vor den Eingängen fegen Arbeiter letzte Reste Bauschutt beiseite. Nur noch wenige Tage, dann werden sich unter dem mächtigen Hallendach Athleten, Offizielle und Besucher zu den Schwimmwettkämpfen der 29. Olympischen Sommerspiele drängen.

Pekings nationales Schwimmstadion, wegen seiner charakteristischen Form auch „Water Cube“ (Wasserwürfel) genannt, gehört zu den spektakulärsten Sportstätten in der olympischen Geschichte. 17.000 Zuschauer haben in der riesigen Arena Platz. Dach und Wände bestehen aus 4000 unterschiedlich gestalteten Luftkissen, zusammengehalten von einem Stahlgerippe aus 22.000 Elementen und 12.000 Verbindungsstücken. „Dies ist einer der bedeutendsten Sportbauten der Welt“, schwärmt Zheng Fang, einer der Designer.

Doch die 143 Millionen Dollar teure, vom australischen Architekturbüro PTW entworfene Halle ist nicht nur architektonisch ein Meisterleistung. Der Water Cube, betont Zheng, sei zugleich eines der umweltfreundlichsten Bauwerke Chinas. Dann lässt er Fakten sprechen: Das Stadion verbrauche nur zwei Drittel der Energie einer vergleichbaren Schwimmhalle; der Strombedarf für die Beleuchtung sei sogar um mehr als die Hälfte niedriger.

In fast allen Wettkampfstätten wird neueste Umwelttechnik verwendet

Zu den Einsparungen tragen wesentlich Folienkissen aus Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE) bei, wie sie schon beim Bau der Münchner Allianz-Arena verwendet wurden. Sie sind extrem leicht, lassen viel Licht passieren und fangen Sonnenwärme ein. Diese wird abgeleitet, gespeichert und dazu genutzt, das Wasser in den Schwimmbecken auf 28 bis 29 Grad zu temperieren.

Der Wasserwürfel ist nicht die einzige Olympiastätte, mit der Pekings Planer beweisen wollen, dass Größe und Umweltschonung zusammengehen. Ob Tenniscenter, Olympiasporthalle oder das wegen seiner ungewöhnlichen Form „Vogelnest“ getaufte Nationalstadion: In fast alle 39 Wettkampfstätten wurde neueste Umwelttechnik integriert.

Die Ambitionen gehen weit über ökologisch korrekte Olympiabauten hinaus, auch wenn sie den Kern der Anstrengungen bilden. Die chinesische Regierung will der Welt zeigen, dass sie es mit der viel beschworenen nachhaltigen Entwicklung des Landes ernst meint und ihr Motto von den „grünen Spielen“ keine Leerformel ist. Dafür war sie bereit, tief in die Tasche zu greifen: Mindestens 12,2 Milliarden Dollar hat Peking zur Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, für Abwasserbehandlung, Lärmkontrolle und Abfallentsorgung ausgegeben. Neue Grünzonen wurden ausgewiesen und U-Bahnen gebaut.

Chinesisches Nationalstadion: Quelle: REUTERS

Gebracht haben die Maßnahmen bis jetzt wenig. Wenige Tage vor der Eröffnung am 8. August plagen sich die 17 Millionen Pekinger wie eh und je mit Smog, Abgasen und Feinstaub herum. Schon existieren Notfallpläne, von denen einer vorsieht, bis zu 90 Prozent aller Privatautos während der Spiele von den Straßen zu verbannen. „Sollte sich die Luftqualität verschlechtern, werden wir den Plan noch 48 Stunden vor Beginn der Spiele in Kraft setzen“, kündigt Li Xin vom Pekinger Umweltbüro an.

Noch hoffen die Planer allerdings auf die Wirkung ihrer Investitionen. Allein 191 Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastung habe man beim Bau der Sportstätten angewendet, sagt Jin Lei vom Beijing Institute of Architectural Design (BIAD). Neun, darunter das Nationalstadion und die Nationalsporthalle, decken zum Beispiel einen Teil ihres Strombedarfs aus Solaranlagen. Zwei Aspekte standen im Mittelpunkt, sagt Jin. „Ein minimaler Ressourcenverbrauch und ein möglichst geringer negativer Einfluss auf die Umwelt.“ Das Motto von den „grünen Spielen“, so Jin, sei eng verbunden mit dem von der Regierung genauso plakativ beschworenen Prinzip der „High-Tech-Spiele“.

Die Verknüpfung hat einige technische Kabinettstückchen hervorgebracht. So wurden in die Dächer von Schwimm- und Nationalstadion Rinnensysteme zum Auffangen von Regenwasser eingelassen. Es wird zur Bewässerung der Grünanlagen und für die Toilettenspülungen genutzt. Mehr als eine Million Euro haben Pekings Planer in die supermodernen Fotovoltaik-anlage des Nationalstadions gesteckt. Sie liefert bei fünf Stunden Sonnenschein täglich rund 520 Kilowattstunden Strom – das entspricht in etwa dem Verbrauch einer vierköpfigen Familie in zwei Monaten.

Unabhängige Experten zweifeln am Erfolg der Umweltoffensive

Nicht ganz so leistungsstark sind die mehr als 1100 Solarpanels im Dach und in den Wänden der Nationalsporthalle. Sie erzeugen rund 100 Kilowattstunden Strom pro Tag. Die Abwässer des olympischen Tenniscenters werden biologisch gereinigt und zur Bewässerung der Grünanlagen genutzt. Über Sonden angezapfte Erdwärme kühlt und heizt die Anlagen.

„Das sind zwar sind alles nur kleine Schritte“, räumt BIAD-Mann Jin ein, „doch wir erwarten davon eine langfristige Signalwirkung für ganz China.“ Umweltschutz, so wie bei den Spielen praktiziert, soll künftig zur festen Größe bei der Planung neuer Bau- und Infrastrukturprojekte werden und die verheerende Lage bei der Luft- und Wasserverschmutzung allmählich bessern. Chinas Führung weiß um die Dringlichkeit. Nach Schätzungen des amerikanischen Umweltexperten Steven Andrews kostet die Verschmutzung China jedes Jahr mehr als sieben Prozent des Bruttosozialprodukts. „Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm.“

Entgegen der offiziellen Propaganda zweifeln unabhängige Experten am Erfolg der Umweltoffensive. Und auch den grünen Anstrich mancher Sportstätten stellen sie infrage. „Da ist vieles reine Kosmetik“, behauptet Robert Watson, Chef der Umweltberatung Ecotech International. Das Nationalstadion etwa sei zwar „ein beeindruckender Bau, aber bei Weitem kein grünes Gebäude“. Das verhindern laut Watson 42.000 Tonnen Stahl für die spektakuläre Konstruktion. „Die Verwendung von zehnmal so viel Material wie in einem normalen Stadion vernichtet jeden positiven Effekt für die Umwelt.“

Olympisches Tenniscenter: Quelle: REUTERS

Darüber hinaus kritisieren Umweltschützer, dass Peking keine spezifischen und verpflichtenden Vorgaben zur Umweltverträglichkeit der Olympiabauten gemacht habe. „Die Absicht ist zwar löblich“, sagt Theodore Oben, Chef des Programms für Sport und Schulen bei der Umweltorganisation der Vereinten Nationen. Wenn es aber keine verbindlichen Parameter für die Ingenieur- und Planungsbüros gebe, lade dies gerade dazu ein, Abstriche zu machen.

Schlimmer noch: In mancher Hinsicht verschärfen die Olympischen Spiele die dramatische Umweltsituation in China sogar. Nach Berechnungen der kanadischen Umweltorganisation Probe International wird der Wasserverbrauch während der Spiele um etwa 200 Millionen Kubikmeter in die Höhe schießen – das entspricht fünf Prozent des jährlichen Wasserkonsums der Metropole. Dabei ist Wasser dort ein ausgesprochen knappes Gut. Das tägliche Pro-Kopf-Angebot liegt bei nur einem Dreißigstel des weltweiten Durchschnitts.

Damit Besucher, Sportler und Funktionäre dennoch jederzeit duschen können, leiten die Behörden in großem Stil Wasser aus umliegenden Regionen nach Peking. Für mehr als 60 Millionen Dollar haben sie eine 13 Kilometer lange, unterirdische Röhre gebaut, deren Fluten einen seit einem Jahrzehnt ausgetrockneten Fluss füllt, auf dem die Ruderwettbewerbe ausgetragen werden. Zudem erhöht eine Reihe künstlicher Seen und Springbrunnen den Verbrauch, die zur Verschönerung des Stadtbilds angelegt wurden. So wird im Stadtteil Shunyi, wo die Ruderer um olympisches Metall kämpfen, eine 137 Meter hohe Fontäne in den Himmel schießen – angeblich die größte der Welt.

Chinesische Regierung will um jeden Preis schmucke Olympiastadt präsentieren

Das Nachsehen hat vor allem die an Peking grenzende Provinz Hebei. Die Hauptstadt gräbt den Menschen dort förmlich das Wasser ab. Um die vielen Kanäle Pekings mit Wasser zu füllen, zapfen die Behörden vier große Reservoirs der Nachbarprovinz an. Zur Freude der Pekinger. Aus den schwarzen, stinkenden Kloaken sind in den vergangenen Wochen verhältnismäßig saubere Gewässer geworden. Die Regierung will dem internationalen Publikum um nahezu jeden Preis eine schmucke Olympiastadt präsentieren. Die Leidtragenden sind die Bauern in Hebei. Ihnen fehlt nun das Wasser für den Anbau von Mais und Kartoffeln. Das seit Jahren von Dürren geplagte Umland trocknet weiter aus.

Damit die Athleten saubere Luft haben und nicht aus Atemnot keuchend und hustend über die Ziellinie stolpern, haben die Behörden Hunderte Fabriken im Großraum Peking und den angrenzenden Provinzen stillgelegt. Andere mussten ihre Emissionen um ein Drittel reduzieren. Die Baustellen der Hauptstadt ruhen für zwei Monate. Außerdem gilt für die 3,3 Millionen in Peking registrierten Pkw-Besitzer: Sie dürfen ihr Fahrzeug nur jeden zweiten Tag fahren. Wagen mit schlechten Abgaswerten müssen in der Garage bleiben.

Der Erfolg lässt auf sich warten. Auch rund zwei Wochen nach Einführung der Beschränkungen liegt Peking fast täglich unter einer dicken Smogglocke. Zwar verkündet Du Shaozhong, Vize-Direktor des Pekinger Umweltamts: „Der Schadstoffausstoß ist in den ersten Tagen nach Einführung der Maßnahmen um 20 Prozent gesunken.“ Zu merken ist davon bisher allerdings kaum etwas.

Viele Athleten bereiten sich deshalb lieber in Nachbarländern wie Japan vor und wollen erst unmittelbar vor den Wettkämpfen einfliegen. Einige werden Atemmasken im Koffer haben. Lo Sze Ping, Chef von Greenpeace in China, teilt ihre Skepsis. „Die Sportler haben allen Grund, besorgt zu sein.“ Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat bereits vor Monaten angekündigt, Ausdauerwettbewerbe wie den 10.000-Meter-Lauf zu verschieben, falls die Schadstoffbelastung zu hoch ist.

Vize-Direktor Du vom Pekinger Umweltamt versucht die Bedenken zu zerstreuen. „Atemmasken sind unnötig, sie machen nur das Gepäck schwer.“ Den Weltrekordhalter im Marathonlauf, den Äthiopier Haile Gebrselassie, wird das nicht umstimmen. Er verzichtet wegen der starken Luftverschmutzung auf einen Start über die 42 Kilometer. „Mein Leben und meine Gesundheit sind mir wichtiger.“

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