Umwelttechnik Müll als Rohstoffquelle

Müll wird zur gefragten Rohstoffquelle. Die Goldsucher der Neuzeit arbeiten nicht mehr mit Sieben an Flüssen, sondern an Bergen von Elektroschrott. Oder sie verwandeln mickrige Plastiktüten in teure High-Tech-Produkte.

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Altpapiertonne: der Preis für Quelle: dpa

Obwohl das Windangebot ausreicht, machen die Mühlen im Windpark Schwanebeck bei Magdeburg immer häufiger schlapp. Der Betreiber weiß dann gleich, was passiert ist: In der Nacht zuvor haben Diebe mal wieder die Schlösser zu den Eingängen aufgebrochen und wahllos Kupferkabel herausgerissen – ein gutes Geschäft für Hehler und Diebe. Seit Anfang des Jahres ist der Kupferpreis von 4060 Euro pro Tonne um rund ein Drittel gestiegen. Immer häufiger stehen auch Bahnen still, weil Diebe Signalkabel abmontieren, und auf Baustellen drehen Elektriker Däumchen, weil über Nacht sämtliche Kabelrollen weggerollt und abhandengekommen sind.

Die Preise für Roh- und Abfallstoffe sind so stark gestiegen, dass selbst Papiercontainer nicht mehr sicher sind. In Hasslinghausen im Ennepe-Ruhr-Kreis beispielsweise staunte ein stiller Beobachter über zwei Männer, die tief in der Nacht ungeniert ihren Bollerwagen beluden. Im Hinterkopf hatten sie wohl den Papierpreis. Der ist seit 2006 um stolze 100 Prozent gestiegen.

Schrotthändler und andere Abfallverwerter erleben ein glanzvolles Comeback, nachdem sie fast 40 Jahre lang ein eher freudloses Arbeitsleben fristeten. Denn Müll ist zur wertvollen Rohstoffquelle geworden, weil der Bedarf vor allem in Schwellenländern wie China und Indien sprunghaft größer wird. So hat sich der Zinnpreis seit 2006 verdreifacht. Stahlschrott schaffte allein seit Jahresanfang ein Plus von 30 Prozent.

Den Recyclern ist das recht. Allein in Deutschland bereiten sie jährlich 1,6 Millionen Tonnen Reststoffe auf. „Damit reduzieren wir unsere Abhängigkeit von steigenden Rohstoffpreisen“, freut sich Hubertus Bardt, Leiter der Forschungsstelle Ökonomie/Ökologie vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Derzeit erspart das Recycling der deutschen Volkswirtschaft Importe im Wert von knapp vier Milliarden Euro pro Jahr.

Johannes-Jürgen Albus, Chef des Recyclers Interseroh in Köln, glaubt, dass der Preis für die sogenannten Sekundärrohstoffe stetig weiter steigt. Umso interessanter ist es, Techniken zu entwickeln, mit denen sich sortenreine Abfälle gewinnen lassen. Da trifft es sich gut, dass deutsche Recycler schon seit Jahrzehnten daran arbeiten, beispielsweise an der Verwertung von Kunststoffabfällen. Ließ sich der Inhalt der gelben Säcke und Tonnen noch vor wenigen Jahren ausschließlich zur Herstellung qualitativ geringwertiger Produkte nutzen, gelingt es heute, die Abfälle so präzise in Polyethylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid zu trennen, dass daraus wieder erstklassige Produkte gefertigt werden können, sogar für die anspruchsvolle Autoindustrie. Kameras mit Bilderkennungssoftware, Laserspektrometer und Fluoreszenzmessgeräte identifizieren in Bruchteilen von Sekunden das jeweilige Material. „Kunststoffrecycling ist sexy geworden“, sagt Thomas Pretz, Leiter des Instituts für Aufbereitung und Recycling fester Abfallstoffe an der Technischen Hochschule Aachen.

Vogt-Plastic aus dem Schwarzwald setzt dagegen zunächst auf Mechanik. Die geschredderten Kunststoffabfälle werden gewaschen und stundenlang in riesigen Zentrifugen herumgeschleudert. Da alle Kunststoffe unterschiedliche spezifische Gewichte haben, sammeln sich die schwersten Materialien außen, die leichtesten innen. In einer zweiten Stufe werden sie anschließend zur noch besseren Sortentrennung mit Halogenlicht bestrahlt. Ein Teil des Lichts wird von den Plastikfetzen absorbiert. Jedes Material verschluckt ein anderes Frequenzband. Anhand der Farbe des übrig bleibenden Lichts lässt sich so jeder noch so kleine Schnipsel eindeutig einer Kunststoffart zuordnen und per Luftstrahl aus einer feinen Düse in den entsprechenden Sammelbehälter befördern. Jede Fraktion wird schließlich eingeschmolzen und in ein körniges Pulver verwandelt. Jährlich verlassen 21.000 Tonnen dieses Granulats die Produktionsstätten im Schwarzwald und im Havelland. „Das Interesse der Kunststoffverarbeiter an unseren Produkten ist seit vergangenem Jahr spürbar größer geworden“, freut sich Josef Vogt, der Seniorchef von Vogt-Plastic. Ursache dafür ist der dramatisch gestiegene Ölpreis. Im Gleichtakt verteuerten sich die daraus hergestellten Kunststoffe.

Die Sortiertechnik ist mittlerweile so ausgereift, dass die gelbe Tonne eigentlich überflüssig ist. Außer mit Verpackungsabfällen werden die hochgradig automatisierten Anlagen auch mit anderen Kunststoffen wie ausgedienten Küchensieben, Spielzeugautos oder CDs fertig, die viele Verbraucher ohnehin in die gelbe Tonne stopfen. „Das wäre für uns kein Problem“, sagt Andreas Vogt, Juniorchef von Vogt-Plastic. „Maschinen können Müll besser trennen als Menschen“, sagt auch Professor Klaus Wiemer, Leiter des Fachgebietes Abfallwirtschaft und Altlasten an der Universität Kassel. Zumindest die Entsorger in Nordhessen konnte der Professor von der Richtigkeit seiner These überzeugen. Dort gibt es inzwischen nur noch zwei Tonnen: eine für nassen und eine für trockenen Abfall. In Letzterer landen Kunststoffe, Elektroschrott, aber auch alte Kleiderbügel und Blumentöpfe aus Ton.

Bis 2015 sollen nach den Plänen der Europäischen Union 40 Prozent Altkunststoffe zu sortenreinem Granulat aufbereitet werden. Derzeit liegt die Quote nach Angaben der European Environment Agency (EEA) bei etwa 25 Prozent. Experten rechnen damit, dass die vorgeschriebene Quote wegen der steigenden Verkaufserlöse problemlos erreicht wird. Schon heute gebe es „einzelne Fraktionen, die netto Geld einbringen“, sagt Norbert Völl vom Dualen System Deutschland, das hierzulande den größten Teil des anfallenden Verpackungsmülls recycelt.

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