Web-TV Die Zukunft des Fernsehens

Was läuft im Fernsehen? Künftig alles – zu jeder Zeit. Innovative Online-Portale und neue Web-Fernseher machen den Zuschauer zu seinem eigenen Programmdirektor. Zur Internationalen Funkausstellung verschmelzen TV und Internet.

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Samsung-Präsentation auf der Quelle: REUTERS

Die Zukunft des Fernsehens, sie ist schnell: Der neue Bond auf dem heimischen Fernseher – schon kurz nach seinem Kinostart, völlig legal. Die verpassten Folgen von Kultserien wie der Werber-Soap-Opera Mad Men – auf Abruf. Und die besten Konzerte von Top-Orchestern wie den Berliner Philharmonikern – gestochen scharf im Wohnzimmer, jederzeit, auf Knopfdruck.

Für Millionen Zuschauer wird genau das gerade Realität – wenn auch nicht mehr im klassischen TV-Programm: Die Zukunft des Fernsehens findet online statt. Rund zwei Drittel der Deutschen nutzen bereits Videoangebote aus dem Netz. Bei jungen Zuschauern sind es fast 100 Prozent. Damit erreichen Internet-Videos schon beinahe so viele Menschen wie das Massenmedium Fernsehen.

Wenn am Freitag in Berlin die Internationale Funkausstellung (IFA) ihre Tore öffnet, wird daher kaum ein Thema so dominieren wie das Zusammenwachsen von Fernsehen und Internet. Die Branche reagiert mit einer Flut neuer hybrider TV-Geräte mit integriertem Online-Zugang auf diesen Trend. Allenfalls der Hype um dreidimensionale Bilder auf dem Bildschirm bekommt auf der Messe einen ähnlichen Stellenwert.

Herausforderung für TV-Sender

Doch während 3-D-Fernsehen vor allem eine technische Neuerung ist, geht es bei der Konvergenz der Medien um eine neue, interaktive Unterhaltungswelt. „Es geht um die Hoheit über den Bildschirm“, sagt André Wiegand, Geschäftsführer der Berliner Strategieberatung Goldmedia. Die Frage also, wer künftig die Filme, Serien und Dokumentationen ausliefert und auf welchen Geräten die von den Zuschauern angesehen werden. Der Kampf um diese Schirm-Herrschaft wird härter geführt, als es bei der Einführung von Privatsendern oder Pay-TV je der Fall war. Denn neue Anbieter wie Google, Apple, Microsoft oder Vodafone drängen in das Geschäft. Sie locken Kunden mit interaktiven Online-Videotheken und fordern damit ARD, RTL & Co. heraus.

Die Vielzahl der Angebote macht vor allem eines möglich: die Emanzipation der Zuschauer von den TV-Sendern. Angesichts der schier unerschöpflichen Medien- und Inhalteangebote aus dem Netz, die jeder nach Belieben zusammenstellen kann, wird der Zuschauer zu seinem eigenen Programmdirektor. Und das Tempo dieses Wandels hat alle überrascht. „Noch vor zwei, drei Jahren hätte niemand gedacht, dass sich Nutzer lange Inhalte, komplette Sendungen, am PC ansehen“, sagte Marc Schröder, Geschäftsführer des RTL-Ablegers RTL Interactive. Doch genau das aber ist nun der Fall.

Dafür sorgt unter anderem die wachsende Zahl der Laptops in den Haushalten, die immer öfter den Fernseher ersetzen oder zumindest ergänzen, wie Studien belegen. Zugleich gibt es in Deutschland dank des jüngsten Breitbandbooms mehr als 25 Millionen schnelle Internet-Zugänge. Damit können Nutzer Filme, Serien und Fußballübertragungen aus dem Netz in TV-Qualität empfangen. „Die Videobilder, die sich die Menschen ansehen, stammen künftig immer öfter aus anderen Quellen als traditionellem Fernsehen“, sagt Robert Amlung, Beauftragter für digitale Strategien beim ZDF.

Das tun sie schon jetzt: Allein in Deutschland zappen mehr als 1,5 Millionen Menschen regelmäßig durch Zattoo. Das Internet-Portal liefert Livebilder von rund 60 TV-Kanälen – von ARD bis CNN, aber auch Spartensendern wie Dmax oder RedBullTV.

Bei ProSieben.de wurde die fünfte Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ rund sieben Millionen Mal aus dem Internet abgerufen. Und die Fußballweltmeisterschaft verschaffte der Online-Mediathek des ZDF hohe Quoten: 190 000 Menschen etwa verfolgten den 4:0-Sieg der Löw-Elf gegen Argentinien im Netz.

Grafik: Videoplattformen

Doch all das ist erst der Anfang. Denn auf Dauer werden Internet und Fernsehen verschmelzen. Einen Vorgeschmack auf diese neue Unterhaltungswelt gab die Amtseinführung von US-Präsident Barack Obama: Für das Ereignis verknüpfte CNN das Livebild im Internet mit der Kommentarspalte von Facebook. Weltumspannend konnten die Menschen dadurch sehen und kommentieren, was ihre Freunde dachten. Mehr als eineinhalb Millionen Livemeldungen gingen während der Sendung ein.

Immerhin gut 50 000 Zuschauer verfolgten und diskutierten auf ähnliche Weise den Auftritt von Shootingstar Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest. Auch wer alleine vor dem Bildschirm sitzt: Mit der neuen Technik ist es ein wenig wie gemeinsam fernsehen. Dabei will die Masse der Zuschauer Filme und Serien aus dem Netz nicht bloß auf dem Laptop-Monitor betrachten, sondern auch im Wohnzimmer, auf dem Fernseher: Laut einer Studie der Strategieberatung Deloitte will rund jeder zweite Deutsche seinen nächsten Fernseher ans Internet anschließen. Bei jungen Zuschauern liegt der Anteil noch deutlich darüber.

Für die TV-Hersteller ist das die Chance, gegenüber der Computerindustrie verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Ob Philips oder Sony, Loewe oder Samsung, alle Branchengrößen präsentieren auf der IFA Fernseher, die neben dem TV-Anschluss auch einen Stecker oder einen Funkempfänger für den Internet-Zugang besitzen und so zusätzlich den Weg in die Online-Welt öffnen. „Statt Geräten klassischer Bauart haben wir künftig Multimedia-Plattformen in den Wohnzimmern“, sagt Wolfgang Schuldlos, Geschäftsführer der Münchner Media-agentur ZenithOptimedia.

Internet wächst in den Fernseher hinein

Das Internet wächst sozusagen in den Fernseher hinein. Online-Videotheken wie der ProSiebenSat.1-Ableger Maxdome, das Filmportal der Deutschen Telekom, Videoload, oder der Web-Verleih Acetrax werden direkt per Mattscheibe erreichbar. Maxdome etwa bietet unter anderem Zugriff auf 1500 Kinohits wie Avatar oder Alice im Wunderland. Zudem liefert die Online-Videothek auf Wunsch 5000 Episoden aus TV-Serien und 800 Konzerte und Musikvideos.

Hersteller wie Panasonic, Philips oder Technisat haben Web-Videotheken schon in die Programmübersichten ihrer Fernseher integriert. Ein Druck auf den Knopf fürs Internet-Menü öffnet die Filmauswahl. Kundennummer eingeben, und die Wiedergabe läuft. Die bisher erforderliche Empfängerbox für Internet-Videos wird genauso überflüssig wie die Videothek um die Ecke.

Wo der Trend hingeht, zeigt der US-Online-Videoverleih Netflix. Ab September können Kunden dort Blockbuster der Studios Paramount Pictures, MGM und Lions Gate wenige Monate nach dem Kinostart als Video via Internet ansehen. Geschätzte 900 Millionen Dollar lässt sich Netflix das über fünf Jahre kosten.

Das Geld ist gut angelegt. Denn keine TV-Innovation zuvor hat sich mit ähnlichem Tempo durchgesetzt wie die Hybridfernseher: Obwohl erste Geräte mit Internet-Anschluss erst im Mai 2009 in den Handel kamen, machen sie heute mehr als ein Drittel des deutschen TV-Geschäfts aus. Knapp 167 Millionen Euro setzte die Branche im Juni damit um.

Im Jahr 2015, so die Prognose der TV-Strategen von Goldmedia, sollen bereits 23 Millionen internetfähige Fernsehgeräte in den deutschen Wohnzimmern stehen. Das entspräche fast zwei Dritteln aller 37 Millionen TV-Haushalte.

Nichts illustriert den Wandel der Fernsehwelt stärker als der rote Knopf auf der Fernbedienung. Damit können Zuschauer künftig direkt aus dem Programm heraus Zusatzinformationen abrufen: Wer möchte, kann sich im TV-Bild einen roten Punkt einblenden lassen, sobald die Sender zusätzliche Texte, Bilder und Videos zum Programm im Internet bereitstellen. Beim Druck auf den Knopf erscheinen dann Vorschauvideos, Fotos von den Dreharbeiten oder detaillierte Sportergebnisse aus dem Internet-Angebot der Sender. Selbst Bestellformulare für Produktproben während Werbepausen lassen sich so auf den TV-Schirm holen.

Grafik: Web-Fernsehen

Die Funktion ist mehr als ein Videotext der nächsten Generation. Denn neben den Angeboten der Sender öffnet der Red Button auch den Weg zur Vielfalt öffentlicher Web-Angebote. Ob das Videoportal YouTube oder die Fotocommunity Flickr, ob das Netzwerk Facebook, der Fußball-Ticker des DFB: „Ein Druck auf den roten Knopf, dann kommt das Internet direkt auf den TV-Bildschirm“, verspricht der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust.

Eine neue Freiheit der Zuschauer, die den Fernsehmanagern auch Kopfzerbrechen bereitet, sagt ZenithOptimedia-Experte Schuldlos: „ Jeder Anbieter muss sehen, wo er bleibt und wie er künftig seine Zuschauer anlockt.“ Die sind in Zeiten verschärfter Konkurrenz zwischen Fernsehen und Online schneller weggesurft, als es den Senderchefs genehm ist.

Technische Voraussetzung, um alle Web-Inhalte auf dem TV-Schirm wiedergeben und per Red Button aufrufen zu können, ist der neue HbbTV-Standard. Er steht für Hybrid Broadcast Broadband TV, die Verteilung von TV- und Web-Inhalten über verschiedene Sendewege. Rund 60 Unternehmen unterstützen die Technik bereits. HbbTV definiert unter anderem Mindestanforderungen an TV-Geräte, damit sie mit der Internet-Sprache HTML umgehen können.

Hersteller erweitern ihr Angebot fortlaufend

Bei Philips, einem der HbbTV-Vorreiter, gehört der Web-Zugang ab der oberen Gerätemittelklasse zum Standard. Ältere Fernseher lassen sich teils per Software nachrüsten. Ähnlich beim Premiumhersteller Loewe, der Updates für die neue Individual-Slim-Reihe anbietet. Kommende Produktlinien sollen durchgängig HbbTV-tauglich sein.

Auf nicht HbbTV-tauglichen Web-Fernsehern können nur Inhalte angezeigt werden, die der jeweilige Anbieter für die spezifische Plattform programmiert und optimiert hat. So etwas bieten etwa Sony (Internet TV), Panasonic (VieraCast), Samsung (Internet@TV) oder LG (WebTV). Hier können Nutzer nur in den geschlossenen Portalen surfen und auf ausgewählte Inhalte zugreifen.

Immerhin: Die Hersteller erweitern ihre Angebote fortlaufend. YouTube, Facebook, Wetter, Börsenticker oder Foto-Communitys aus dem Netz gehören bei vielen zum Standard. Auf einigen vernetzten Samsung-Fernsehern können Nutzer sogar Videotelefonate via Skype führen. Und das Konzertarchiv der Berliner Philharmoniker mit allen Auftritten seit der Konzertsaison 2008/09 gibt es bei Sonys Internet-Video-Plattform – ab 9,90 Euro pro Auftritt.

Letztlich wird das Internet so zum Konkurrenten für etablierte Sendewege wie Antenne, Kabel oder Satellit. Mit ihrem Online-Fernsehen T-Entertain hat die Deutsche Telekom den Kabel- und Satellitenanbietern bereits rund 1,3 Millionen Fernsehkunden abgeworben. Das Angebot: mehr als 70 Fernsehkanäle für knapp 30 Euro im Monat sowie bei Bedarf weitere 7000 Filmtitel und Serienmitschnitte von Videoload auf Abruf. Wer will, kann zudem Liveübertragungen der Fußballbundesliga hinzubuchen. Der zum spanischen Kommunikationsriesen Telefónica O2 gehörende Anbieter Alice meldet rund 40 000 Nutzer seines deutschen Internet-Fernsehdienstes.

Grafik: Onlinenutzung

Zum Weihnachtsgeschäft wird auch Vodafone ein eigenes via Internet verbreitetes TV-Angebot starten. Die Kunden erhalten dabei eine Set-Top-Box, die nicht nur Zugriff auf rund 60 TV-Programme bietet, sondern auch auf beliebige Inhalte im Web. Damit werden auch solche älteren Fernseher online-tauglich, die noch keinen integrierten Web-Zugang besitzen.

Softwaregigant Microsoft hat ebenfalls jüngst angekündigt, das TV-Angebot seiner Online-Plattform MSN auszubauen. Und Apple will gerüchteweise bereits im Herbst ein Internet-Fernsehangebot für seinen Video-Computer AppleTV starten.

Online-Gigant Google hat den Schritt bereits vollzogen und seine Videoplattform YouTube mit einer optimierten Programmoberfläche für die Wohnzimmerwiedergabe aufgehübscht. Leanback heißt das Angebot, das sich weitgehend ohne Computertastatur bedienen lässt und deutlich schneller reagiert als der normale YouTube-Dienst. Zudem muss der Zuschauer nicht mehr einen Clip nach dem anderen aufrufen. Stattdessen laufen thematisch verwandte Videos nacheinander ab, bis der Zuschauer den Bilderstrom stoppt, ein anderes Thema wählt oder selbst ein Video sucht. Damit ähneltLeanback viel mehr herkömmlichem Fernsehen als Googles PC-Angebot.

Youtube fürs Wohnziemmer aufgehübscht

Welch immenses Potenzial der Online-Gigant dem Web-TV beimisst, zeigt sich auch an einer neuen Softwareplattform für den Internet-Konsum im Wohnzimmer, die Google im Frühjahr angekündigt hat: Google-TV umfasst neben dem bisher vor allem in Handys genutzten Betriebssystem Android auch Googles Internet-Software Chrome. Zum Jahresende sollen in den USA die ersten webtauglichen Fernseher des Elektronik-riesen Sony sowie Geräte des Zubehörspezialisten Logitech mit Google-TV-Software in die Läden kommen.

Für Google bringt der Sprung auf den TV-Bildschirm zwei Vorteile: Zum einen erschließt der direkte Zugang zum Wohnzimmer dem Suchkonzern eine weitere Möglichkeit, die Interessen seiner Nutzer zu analysieren. Zum anderen bietet die neue Fernsehwelt die Chance, die defizitäre Videoplattform YouTube doch noch zum profitablen Geschäft aufzuwerten. Bedingung ist, dass sich über Dienste wie Leanback ähnlich lukrativ personalisierte Werbespots verkaufen lassen wie in Googles regulärem Online-Angebot.

Vor allem die privaten Sender fürchten diese Werbekonkurrenz aus dem Netz. „In Zukunft können Internet-Anbieter einen Teil des Fernsehschirms nutzen, um die gesamte Sendezeit neben dem Fernsehbild Werbung zu zeigen, während die TV-Sender mit zwölf Minuten pro Stunde beschränkt sind“, sagt RTL-Boss Gerhard Zeiler. Die Sender, fürchtet er, locken mit ihren Programmen Zuschauer an – die dann jedoch auch bei Online-Anbietern für Werbeeinnahmen sorgen.

Um das Geschäft nicht gänzlich an die Online-Konkurrenz zu verlieren, aber auch um die Angebote der Raubkopierer zu kontern, haben die US-Medienriesen NBC, News-corp und Disney eine gigantische Online-Videothek namens Hulu aufgebaut. Rund 100 Millionen Dollar haben sie nach eigenen Angaben seit 2007 in die Plattform investiert, über die inzwischen fast alle großen US-Sender ihre Serien im Internet verbreiten. Mehr als eine Milliarde Videos rufen Zuschauer inzwischen Monat für Monat bei Hulu ab.

Finanziert wird die Online-Videothek durch Werbeclips. Rund 200 Millionen Dollar Umsatz will Hulu in diesem Jahr erzielen. Und die Chancen stehen nicht einmal schlecht: Marktforschern zufolge ist eine Werbeminute bei Hulu mittlerweile doppelt so teuer wie im normalen Fernsehen. Gerade berichtete die „New York Times“, Hulu plane einen Börsengang – und ein Emissionsvolumen von zwei Milliarden Dollar.

Und so wird Hulu nun auch zum Vorbild für deutsche Sender: Anfang August bestätigten RTL Deutschland und ProSiebenSat.1, eine deutsche Hulu-Kopie aufbauen zu wollen. In dem neuen Netzangebot sollen nach den Vorstellungen der Initiatoren neben TV-Inhalten der Privatsender auch ARD- und ZDF-Sendungen abrufbar sein. Angesichts der massiven Konkurrenz der Web-Giganten rät Goldmedia-Stratege Wiegand den zerstrittenen Sendern denn auch zum vorläufigen Schulterschluss: „In der Online-Welt sollten die Grabenkämpfe zwischen den Senderfamilien erst einmal ruhen.“

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