Werkstoffe Elastischer Beton aus Spinnenseide

Spinnenseide lässt sich jetzt biotechnisch herstellen. Daraus entsteht ein elastischer und damit erdbebensicherer Beton.

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Spinnenseide als Laborprodukt Quelle: Illustration: Torsten Wolber

Was Spinnen ganz natürlich herstellen – ihre feinen Fäden für den Netzbau oder zum Abseilen –, fasziniert Wissenschaftler und Ingenieure seit Jahrzehnten. Das Material aus langen Eiweißmolekülen, den Proteinen, zeigt Eigenschaften, bei denen menschgemachte Kunst- und Baustoffe nicht mithalten können: Es ist leicht, elastisch wie Gummi und trotzdem stabil wie Stahl, je nachdem von welcher der weltweit 40.000 Spinnenarten und aus welcher ihrer Spinndrüsen es stammt.

Mehreren Forschergruppen ist es in den vergangenen Jahren zwar gelungen, die eine oder andere Spinnenseide-Qualität im Labor nachzubauen. Doch für den großtechnischen Einsatz waren die Verfahren bisher zu aufwendig. Als erstes Unternehmen hat es im vergangenen Jahr das Biotech-Startup Amsilk aus Martinsried bei München geschafft, einen kostengünstigen biotechnischen Herstellungsweg zu entwickeln: Seit 2009 produzieren gentechnisch veränderte Mikroorganismen bei Amsilk Spinnenseide.

Vater des Spinnenseiden-Imitats

Erfinder des Verfahrens ist Amsilk-Mitgründer Thomas Scheibel, heute Leiter des Lehrstuhls für Biomaterialien der Universität Bayreuth. Bis 2007 lehrte er an der TU München, aus seiner dortigen Arbeitsgruppe heraus gründete sich Amsilk. Das Team konzentrierte sich auf die europäische Gartenkreuzspinne, die sieben unterschiedliche Fäden produzieren kann: Fürs Fangnetz sind sie elastisch und können Stöße gut abfangen – wenn ein Insekt im Flug dort hängen bleibt, darf es nicht reißen. Der Faden zum Einwickeln der Beute wirkt wie Frischhaltefolie. Und der Abseilfaden ist fünfmal stabiler als Stahl.

Scheibel gelang es, die für diesen Abseilfaden verantwortlichen Spinnengene zu identifizieren und in das Darmbakterium Escherichia coli einzuschleusen. Solche gentechnisch veränderten Bakterien produzieren seit Jahren verschiedene biotechnische Medikamente; nun stellen sie in Martinsried auch Spinnenseide her.

Die Bakterien wachsen in Fermentern, die modernen Braukesseln ähneln. Geerntet wird das neue Biomaterial zusammen mit dem wässrigen Nährmedium der Bakterien. Die Brühe wird gefiltert und mit einer Chemikalie behandelt. Daraufhin bildet sich auf der Oberfläche ein Film, aus dem der Faden herausgezogen wird.

Erdbebensicherer Spinnenbeton

Aus dem Faden lassen sich Stoffe weben, die elastisch sind wie Nylon, zart und glatt wie Seide und dennoch dreimal zug- und stoßfester als die Kunstfaser Kevlar. In Zukunft könnten schusssichere Westen und feuerfeste Kleidung aus Spinnenseide hergestellt werden. Für dehnbare Stoffe böte das Material eine Art Langzeitgarantie: Strumpfhosen würden keine Laufmaschen mehr bekommen. Und zu festen Platten verarbeitet könnte Spinnenseiden-Beton für Gebäude in Erdbebengebieten entwickelt werden: zäh und elastisch zugleich.

Prototypen für Produkte liegen inzwischen vor, zum Beispiel Wundauflagen und Beschichtungen medizinischer Implantate. Denn Spinnenseide ist sehr gut verträglich, löst keine Allergien aus und ist bioabbaubar. Auch als Faden zum Vernähen von Operationswunden wird das Material getestet.

Inzwischen haben die Amsilk-Biotechnologen auch Wege gefunden, ihr Protein als Folie oder in Kugelform zu ernten. Spinnenseide-Folien sind optisch aktiv und wirken etwa wie ein Vergrößerungsglas. Forscher Scheibel baut derweil schon neue Spinnseiden-Rezepturen nach. Er möchte eines Tages möglichst viele Eigenschaften in einem einzigen Biokunststoff vereinen: „Eine Art Supermaterial.“

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